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Tove

Generationen von Kindern haben sich in der Welt der Mumins zu Hause gefühlt. Tove Janssons mit ausdrucksstarkem schwarz-weißen Strich gezeichnete Geschichten um die pummelige Trollfamilie, um das Snorkfräulein Klein My oder die Hatifnatten sind seit ihrer Entstehung in den 1940er Jahren erfolgreich. Nur die finnisch-schwedische Schöpferin selbst hat den künstlerischen Wert ihrer Zeichenfiguren nie recht anerkannt. Die 1914 geborene Tochter eines Bildhauers und einer Grafikerin sah sich selbst als bildende Künstlerin, die Mumins dienten ihr zum Broterwerb. Als Malerin hingegen verkaufte sie allein ihre Selbstportraits gut, einige städtische Auftragsarbeiten an Kita-und Stadthauswänden kamen hinzu.

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Regisseurin Zaida Bergroth greift dies als künstlerisches Dilemma auf, das auch auf den berühmten Vater zurückgeht. Der gibt der Tochter zu verstehen, ihre Zeichnungen seien keine Kunst. Das sitzt natürlich. Tove zieht in eine Studiowohnung. Und hier rückt der Film ein zweites Leitthema in den Fokus: die Entschlossenheit, mit der die junge Frau ihr Leben und Lieben als unabhängiger Freigeist und Teil der Bohème angehen wird. Sie liebt Männer und Frauen, aber letztere liebt sie etwas mehr. Tove, die zu Benny Goodman tanzt, als wäre es Punkrock, pflegt dabei wechselnde Beziehungen.

Der Film konzentriert sich exemplarisch auf ihre Verbindung zum Politiker, Schriftsteller und Förderer Alto Wirtanen und der stürmischen Beziehung zur Theaterregisseurin Vivican Bandler. Während der eine ihr Raum für ihr "sexuelles Experiment" gewährt, erforscht sie das erotische Neuland mit Vivican, einem "wunderschönen Drachen, der sie aufgreift und mit ihr davonfliegt". Allerdings lässt dieser Drache sie fallen und Tove landet hart auf dem Boden der Untreue. Eine unstete Handkamera folgt diesem Spiel des harmonierenden Ensembles; ruhig folgt sie dagegen den starken Szenen der Verführung und erotischen Kraft des Paares.

Jansson lebte später mit ihrer Lebensgefährtin Tuulikki Pietilä allein auf einer winzigen Insel im finnischen Meerbusen und soll sich im Alter mit ihren Mumins versöhnt haben. Es gibt noch viele unbekannt gebliebene Aspekte im Leben dieser vielseitigen Frau. Bergroths bislang auf queeren Festivals gezeigter Film wirft ein erstes, überfälliges Schlaglicht auf eine Künstlerin, die sich auf unterschiedlichste Weise kreativen Ausdruck verschafft hat. Ob sie ihr inneres Dilemma je für sich lösen konnte, bleibt am Ende offen. Jenny Mansch

SWE 2020. R: Zaida Bergroth. D: Alma Pöysti, Krista Kosonen, Shanti Roney, 107 Min., Kinostart 24.3.22

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Drei Etagen

Nach einem Autounfall, bei dem eine Frau zu Tode kommt, steht Andrea, der die Schuld daran trägt, vor existenziellen Einschnitten und dies nicht allein wegen der Gefängnisstrafe: Die Spannungen mit seinem Vater, einem strengen Richter, steigern sich ins Unerträgliche und führen zu einem Bruch zwischen Eltern und Sohn. Gekonnt verwebt Nanni Moretti diese Tragödie mit zwei weiteren Episoden um starke Erschütterungen in Beziehungen im selben Mietshaus. Ihre Tiefgründigkeit verdankt die Erzählung den ambivalenten Charakteren; kein Erwachsener erscheint unfehlbar. Exemplarisch zeigt sich das an dem Familienvater, der zu Unrecht einen alten verwirrten Nachbarn des sexuellen Missbrauchs an seiner kleinen Tochter verdächtigt, plötzlich aber selbst vor Gericht steht, weil er sich an einer Minderjährigen vergangen haben soll. Der subtile, nicht gänzlich auserzählte Film beschönigt nicht, dass der Weg zur Versöhnung mitunter schmerzhaft und lang, wenn nicht unmöglich ist. Und dass das Schicksal absurde Wendungen bereithält wie bei der vereinsamten psychisch kranken Mutter, die ihre Kinder verlässt, als ihr Ehemann nach Jahren der Abwesenheit endlich bei ihr heimisch wird. Kirsten Liese

I/F 2022. R: Nanni Moretti, D: Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher u.a., 117. Min., KinoStart 17.3.22

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In den besten Händen

Die exaltierte Comic-Zeichnerin Raf erhält von ihrer Lebensgefährtin Julie den Laufpass und rastet aus. Sie rennt der Freundin nach, rutscht aus und landet mit gebrochenem Ellbogen in einem Pariser Krankenhaus. Zur selben Zeit wird der LKW-Fahrer Yann mit verletztem Bein eingeliefert. Er war bei der Gelbwesten-Demo auf den Champs Elysee. Als Raf und Yann aufeinandertreffen – er der Wutbürger, sie die linke Bürgerliche, knallt es. Die beiden geraten aneinander, und während draußen der Zusammenstoß zwischen Polizei und Demonstranten eskaliert und die Notaufnahme die Türen schließen muss, finden die beiden Schreihälse sogar Gemeinsamkeiten. In dieser Nacht zeigen sich die Risse einer Gesellschaft. Doch alle sitzen im gleichen Boot: Keiner kommt mehr finanziell über die Runden, jeder ruft nach Hilfe und flicken muss es eine Krankenschwester in ihrer sechsten Nachtschicht – eine Gesellschaft im Pflegenotstand. Eine hoch politische Tragikomödie, die Regisseurin Catherine Corsini hier mit Hochspannung, viel Komik und klarem Blick für die Perspektive aller Beteiligten inszeniert hat.

Jenny Mansch

F 2021. R: C. Corsini. D: V. Bruni Tedeschi, M. Fois, 100 Min., Kinostart 21.4.22