Ausgabe 02/2022
"Unsere Perspektive muss ein Europa mit weniger Waffen bleiben"
verdi.de: Krieg in Europa – hast du dir das vorstellen können?
Frank Werneke: Nein – bis zum Morgen des 24. Februar, bis zum von Präsident Putin angeordneten Überfall der russischen Armee auf die Ukraine, hatte ich gehofft und auch erwartet, dass dieser Krieg durch Verhandlungen abgewendet werden kann. Insbesondere die deutsche Bundesregierung hat alles Mögliche versucht, um Moskau Brücken zu bauen und das war meines Erachtens auch richtig. Mein Bild zu Russland war nie verklärt, seit Jahren entwickelt sich das Land zu einem durch und durch autoritären, kapitalistischen Staat. Bereits vor dem Kriegsbeginn sind die Repressionen gegen Bürgerrechtler*innen und gegen Journalistinnen und Journalisten immer weiter ausgebaut worden. Umso bewundernswerter sind die Demonstrationen von Friedensaktivist*innen in Moskau, Sankt Petersburg und anderen Städten, selbst noch in diesen Tagen. Auch die Kriegsverbrechen der russischen Armee in Syrien zur Unterstützung des Assad-Regimes waren bekannt. Ich hätte dennoch nicht erwartet, dass Putin so weit geht, einen Angriffskrieg mitten in Europa zu beginnen. Das ist eindeutig völkerrechtswidrig und durch nichts zu rechtfertigen. Putin ruiniert mit seiner Entscheidung, die Ukraine anzugreifen, auch die Zukunftsperspektiven seines eigenen Landes.
ver.di hat Kontakte in die Ukraine, was hörst du?
Es erreichen uns jeden Tag Hilferufe unserer Kolleginnen und Kollegen, ihr Leben ist bedroht. Die Gewerkschaftshäuser in den Teilen der Ukraine, in denen der Krieg noch nicht tobt, sind wichtige Anlauf- und Versorgungsstellen für Geflüchtete im Inland. Wir wollen unterstützen, wo es geht. Wer das möchte – über den Verein "Gewerkschaften helfen" gibt es eine gute zielgerichtete Spendenmöglichkeit. Für Kriegsflüchtlinge, die bereits in Deutschland sind, werden wir einige unserer Bildungsstätten öffnen. Die Solidarität und Anteilnahme unter den ver.di-Mitgliedern ist riesig – wie in der gesamten deutschen Bevölkerung.
ver.di versteht sich auch als Teil der Friedensbewegung – was bedeutet dieser Krieg politisch, müssen wir unseren Standpunkt neu bestimmen?
Für mich persönlich ist dieser Krieg auch eine politische Erschütterung. Ich gehöre zur Generation des Kalten Kriegs und des Hochrüstens zwischen West und Ost und bin als Westdeutscher auf den großen Friedensdemos der 80er Jahre politisch groß geworden. Und ja – ganz sicher verändert der Krieg die politische Situation in Europa. Und zwar grundlegend und vermutlich auch für mindestens eine Generation. Niemals mehr wird irgendjemand Friedensbekundungen von Wladimir Putin vertrauen. Länder wie beispielsweise Estland, Litauen und Lettland, werden darauf drängen, dass die Nato sie stärker schützt und ihre Präsenz ausbaut. Und wer könnte ihnen das verdenken? Länder, die bislang noch nicht Mitglied der Nato sind, werden in das Bündnis hineinwollen. Putin hat mit seinem Angriff auf die Ukraine das politische Koordinatensystem grundlegend verändert und erweist den Interessen seines eigenen Landes damit einen Bärendienst. Aber so nachvollziehbar das erhöhte Sicherheitsbedürfnis in den Nachbarstaaten Russlands und auch in der deutschen Bevölkerung ist – das darf nicht zu einer Spirale rein militärischen Denkens führen. Und auch nicht zu einem neuen Rüstungswettlauf. Ganz unmittelbar muss weiter über alle diplomatischen Kanäle versucht werden, einen Waffenstillstand in der Ukraine zu schaffen. Und unsere Perspektive muss ein Europa mit weniger Waffen bleiben, insbesondere durch den Abbau atomarer Bewaffnung.
"Es ist jetzt endlich an der Zeit, dass sich auch die Reichen und Superreichen an den finanziellen Herausforderungen angemessen beteiligen."
Die Bundesregierung plant die Schaffung eines Sondervermögens für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro, langfristig sollen jährlich mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts militärischen Zwecken dienen. Wie bewertest du das?
Der derzeitige Verteidigungshaushalt beträgt jährlich 50 Milliarden Euro, bei der Erreichung des sogenannten 2-Prozent-Ziels würde er Stand jetzt auf 70 Milliarden Euro steigen. ver.di hat viele Tausend Mitglieder bei der Bundeswehr – überwiegend Zivilbeschäftigte. Richtig ist, dass der Zustand der Bundeswehr in Teilen wirklich schlecht ist, trotz der vielen Milliarden, die jetzt schon im System sind. Das betrifft die Ausrüstung, den Zustand von Kasernen, aber auch die Attraktivität als Arbeitgeber. Tarifflucht ist in Einrichtungen der Bundeswehr leider an der Tagesordnung. Geld ist für teure Auslandeinsätze ausgegeben worden, horrende Beraterhonorare und Waffensysteme, die am Ende nichts taugen. Ich will eine Bundeswehr, die funktioniert als Verteidigungsarmee und die auch ein guter Arbeitgeber ist. Auf dem Weg dahin gibt es viel zu tun. Eine Rechtfertigung für einen dauerhaft höheren Militärhaushalt ergibt sich daraus für mich nicht. Das 2-Prozent-Ziel im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ist zudem eine ideologisch getriebene Festlegung. Sie würde dazu führen, dass mehr Wachstum und Wohlstand in Deutschland immer automatisch zu mehr Militär führt. Das ist sinnentleert und freut lediglich die Waffenindustrie.
Also auch kein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro?
Doch, ich bin absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen zu schaffen. Übersetzt heißt das nichts anderes, als dass der Staat zusätzliche Kredite aufnimmt, um Reserven angesichts des Krieges in der Ukraine zu bilden. Das ist notwendig und 100 Milliarden Euro werden da vermutlich bei weitem nicht reichen. Ich sehe allerdings ganz andere dringende Handlungsbedarfe, als die Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr. Wir stehen in Deutschland vor der größten Flüchtlingswelle seit dem zweiten Weltkrieg. Falls Putin den Krieg gewinnt, werden Millionen von Menschen in Deutschland und Europa bleiben, sie brauchen dann Arbeit und Wohnraum, die öffentliche Daseinsvorsorge muss ausgebaut werden. Derzeit steigen die Preise für Gas und Öl sprunghaft. Menschen mit durchschnittlichen und eher niedrigen Einkommen in Deutschland gehen angesichts der stark steigenden Preise in die Knie. Daher muss die Bundesregierung jetzt die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom aussetzen und zusätzlich mit einem staatlichen Energiegeld unterstützen. Unser Vorschlag als ver.di ist, das dieses pro Kind mehrere hundert Euro beträgt. Entsprechende Beträge soll es auch für Menschen mit durchschnittlichen und niedrigen Renten geben und für Menschen, die in der Grundsicherung sind.
Wo sollen die Milliarden dafür herkommen?
Zusätzlich zum Aussetzen der Schuldenbremse ist es jetzt endlich an der Zeit, dass sich auch die Reichen und Superreichen an den finanziellen Herausforderungen angemessen beteiligen. Zumal ihre Vermögen in den letzten zwei Jahren der Corona-Pandemie nochmal weiter angewachsen sind, auf über 13 Billionen Euro, allein in Deutschland. Deshalb fordern wir neben einem gerechteren Steuersystem eine Abgabe auf Vermögen oberhalb einer Million Euro bei Privatpersonen und oberhalb von fünf Millionen bei Unternehmen. Das ist jetzt absolut angebracht. Um unabhängiger von Gas- und Ölimporten zu werden, brauchen wir auch mehr Tempo beim Ausbau von Wind- und Sonnenenergie und von Wasserstofftechnik. Das alles kommt noch auf die ohnehin schon bestehenden Aufgaben, die die Politik in der Daseinsvorsorge, der Pflege, dem Gesundheitswesen und in den weiteren Feldern der sozialen Arbeit zu erledigen hat. Auch deshalb wollen wir als ver.di die Reichen und Superreichen stärker in die finanzielle Verantwortung nehmen.
INTERVIEW: Cornelia Berger/Petra Welzel
Spendenkonto
Ukraine Gewerkschaften helfen e.V., Nord LB
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BIC: NOLADE2HXXX
Stichwort: Gewerkschaftliche Ukraine-Hilfe