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Foto: Vennenbernd/dpa-Bildfunk

Ja, wir werden zurzeit von weltbedrohlichen Nachrichten überhäuft, aber deswegen sind sie nicht weg, die im Vergleich mikroskopischen Ärgernisse des Alltags. Insbesondere wenn einem das Geld fehlt. Dazu gehört das Aufsuchen eines stillen Örtchens, wenn man in der Stadt unterwegs ist und es dringend braucht. Dafür ins Café zu gehen, kostet etwas. Während des Lockdowns durfte jeder spüren, wie es sich anfühlt, wenn diese Alternative wegfällt. Sogenannte öffentliche Toiletten werden nur noch von privaten Dienstleistern betrieben, und um sie zu betreten (wenn man sie endlich gefunden hat), muss eine Zwei-Euro-Münze rechtzeitig herausgerückt werden, was in der Dringlichkeit des Augenblicks nicht immer gelingt. Unlängst hat ein Rentner aus Essen vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Toilettengeld begehrt. Um seine kleine Rente aufzustocken, bezieht er Leistungen der Grundsicherung, doch reichen diese nicht, so sein Argument, um sein Bedürfnis verrichten zu können. Da er viel Zeit außerhalb seiner Wohnung verbringt, was ja sein gutes Recht ist, muss er dreimal täglich eine öffentliche Toilette aufsuchen, sprich: 180 Euro im Monat für etwas zahlen, worauf er nun einmal nicht verzichten kann. Wenn eine Stadt kostenlose Aborte abschafft, so seine Klage, dann sollte doch die Grundsicherung die gleichberechtigte Erleichterung der Notdurft ermöglichen. Am 31. Januar mussten sich also die Sozialrichter mit dieser heiklen Frage beschäftigen. Das Problem war, dass sich ein entsprechender Paragraph im Sozialgesetzbuch nicht finden lässt. In Erwägung gezogen wurde die "Annahme eines ernährungsbe-dingten Mehrbedarfs aus medizinischen Gründen", doch dafür lagen die Voraussetzungen nicht vor. Vom Kläger wollten die Richter wissen, ob dieser altersentsprechend gesund sei. Nach seiner bejahenden Antwort entschieden sie, dass sein dreimal täglicher Toilettengang "jenseits des üblichen Verhaltens der Durchschnittsbevölkerung" lag. Insofern sei der geltend gemachte Anspruch "eine Frage der Freizeitgestaltung", wofür eine Erhöhung der Grundsicherung nicht zulässig sei. Wie der Rentner sein Geld einsetze, liege in seiner Eigenverantwortung. Wenn jedoch die Verrichtung der Notdurft als Freizeitaktivität gilt, fragt sich, ob diese auch in Freiluft ausgeübt werden darf.

Guillaume Paoli