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In fair gehandelter Bio-Baumwolle können die Arbeiterinnen in Indien sorglos badenFoto: Kathrin Harms/laif

Auf dem Bürgersteig wirbt ein Schild für das Genussprodukt des Monats: "Coffee for Future". Die Bio-Bohnen stammen von Kleinbäuerinnen und -bauern in Mexiko und Uganda – durch Wiederaufforstung und holzsparende Öfen tragen sie zum Klimaschutz bei. Der Aufsteller gehört zum Weltladen in der Berliner Wörtherstraße. Das Schaufenster ist Ton in Ton mit türkis-blauen Angeboten dekoriert, drinnen gibt es Baumwoll-Unterhosen und Postkarten, geschmackvolle Keramik, Tücher, Schokolade, Gewürze und Wein. Alles hier ist unter anständigen Bedingungen hergestellt und zu fairen Preisen eingekauft. Das aber interessiert längst nicht alle Kund*innen, die hier im Weltladen im Prenzlauer Berg vorbeikommen. Viele wollen sich einfach schöne oder köstliche Dinge besorgen. "Vor allem junge Leute aber fragen häufiger nach. Ihnen ist es oft wichtig, wie etwas produziert wurde", beobachtet Geschäftsführerin Lavern Wolfram.

Die 60-Jährige ist ohne Zweifel eine Überzeugungstäterin. Einen Großteil der Arbeit im Genossenschafts-Laden leistet sie ehrenamtlich, seit vielen Jahren engagiert sie sich in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Häufiger gibt es Verkostungen mit Hintergrundinformationen, aber auch politische Veranstaltungen – zum Beispiel zu den katastrophal niedrigen Milchpreisen für Landwirte in Deutschland. Manchmal macht Lavern Wolfram auch Aktionen wie die, den ganzen Laden leer zu räumen und mit den Vorbeikommenden zu diskutieren: Was braucht es für ein gutes Leben?

Anfänge in den 70ern

Der faire Handel hat heute viele Ausprägungen. Neben den 900 Weltläden und zahlreichen Gruppen, die ausschließlich fair gehandelte Produkte verkaufen und dafür strenge Kriterien anlegen, gibt es auch Angebote für den Massenmarkt. Die tragen meist das grün-blaue Logo der Siegelorganisation Transfair. Aber auch Rainforest Alliance behauptet von sich, fair zu handeln. Weil der Begriff nicht geschützt ist, nutzen ihn viele.

Angefangen hat alles in den 1970er Jahren: Auf westdeutschen Straßen machen christliche Jugendorganisationen mit "Hungermärschen" auf die ungerechten Welthandelsbedingungen aufmerksam: In den Ländern des globalen Südens schuften Menschen für extrem wenig Geld, um die reichen Länder mit billigen Rohstoffen zu versorgen. Auch aus den betroffenen Ländern kommt Protest: Statt Entwicklungshilfe und andere Almosen verlangen sie gerechte Handelsbeziehungen. Mit dem ersten importierten Kaffee aus Lateinamerika geht es vor allem darum, politische Botschaften zu transportieren.

Produkte aus aller Welt

Bald wird klar, dass die Bewegung Strukturen braucht, um bedeutsamer zu werden. 1972 gründen ein paar Hochengagierte in Hildesheim die erste Fair-Handelsorganisation El Puente. "Sie haben das damals von den Holländern abgeguckt", berichtet der langjährige Geschäftsführer Stefan Bockemühl. Inzwischen hat das Unternehmen El Puente mit Sitz in Niedersachsen 8.000 Produkte aus aller Welt im Angebot; dazu gehören auch zwei Bio-Kaffees für ver.di.

Genauso wichtig wie der Umsatz ist Bockemühl das politische Engagement des Unternehmens. El Puente gehört zu den Gründungsmitgliedern der Welthandelsorganisation des Fairen Handels WFTO. Zusammengeschlossen sind darin Produzent*innen-Kooperativen, Importfirmen und Organisationen wie der Weltladen-Dachverband – summa summarum 400 Organisationen aus 70 Ländern. Damit repräsentiert die WFTO die gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten. Gemeinsam haben die Beteiligten strenge Kriterien für einen partnerschaftlichen Handel auf Augenhöhe erarbeitet. Wer nach Produkten von El Puente und Gepa greift oder in einem Weltladen shoppen geht, kann deshalb sicher sein, dass alles im Einkaufskorb strenge Fairhandels-Kriterien erfüllt.

Die Mittelamerika Kaffee Im- und Export GmbH (MITKA) importiert seit Jahrzehnten fair und solidarisch gehandelten Kaffee aus sechs lateinamerikanischen Ländern im Auftrag von El Puente und einigen kleineren Händlern. Regelmäßig besucht Geschäftsführerin Anne Löwisch die Produzent*innen vor Ort, laufend tauscht sie sich mit ihnen am Telefon aus. Ziel ist es, die Kooperativen zu stärken und den Mitgliedern ein besseres Leben zu ermöglichen. Der garantierte Mindestpreis und die Aufschläge gegenüber dem Weltmarktniveau sind dabei nur ein Aspekt. Vor allem geht es um langfristige Sicherheit und eine Verbesserung der Chancen.

Zehn Jahre ist es her, dass die MITKA die ersten Säcke von der Kooperative Combrifol in Honduras importierte. "Sie hatten keine Ahnung, wie sie ihren Kaffee außerhalb des Landes vermarkten konnten", berichtet Anne Löwisch über die Genossenschaft in einer armen, infrastrukturell vernachlässigten Region. Zusammen haben sie erreicht, dass die gelieferten Bohnen europäischen Qualitätsstandards entsprechen. Combrifol konnte dank der Preisaufschläge ein Grundstück kaufen und errichtete dort eine Trockenverarbeitungsanlage. Mit Hilfe der MITKA ist inzwischen ein zweiter internationaler Abnehmer gefunden. "Für uns wäre es natürlich viel einfacher, mehr Kaffee von bereits gut laufenden Kooperativen abzunehmen – aber wir sind selbst klein und wollen die Kleinen unterstützen", sagt Löwisch.

Ein Stipendienprogramm vom Heidelberger Partnerschaftskaffee gibt Jugendlichen bei Combrifol Starthilfen, um sich eine Zukunft in der Region aufzubauen. Manche arbeiten in einer Pflanzenschule, andere setzen auf Fischzucht oder Lebensmittelanbau für sich und die Nachbarschaft. "Es ist wichtig, dass die Kooperativen mehrere Standbeine entwickeln. Der Klimawandel macht das Wetter immer unberechenbarer", sagt Löwisch und verweist auf eine erschreckende Studie: Bis 2050 soll die Hälfte der heutigen Kaffeeanbaugebiete in Zentralamerika dafür nicht mehr geeignet sein.

Massenmarkt mit Fairtrade

Die 1992 gegründete Siegelorganisation Fairtrade Deutschland setzt den Schwerpunkt dagegen klar auf eine Mengenausweitung. Auch hier erhalten die Lieferanten einen Preis, der über dem Weltmarkt liegt. Bei Plantagenprodukten wie Tee oder Rosen können die Arbeiter*innen über das Geld aus einem Fonds bestimmen. Doch ganz klar: Nur bereits gut organisierte Betriebe sind in der Lage, die Bürokratie zu bewältigen und die Kosten für die Kontrollen zu tragen.

90 Prozent des Fairen Handels in Deutschland laufen inzwischen über das Zertifizierungssystem, verkündete der Chef von Fairtrade Deutschland, Dieter Overath, kürzlich zum 30. Jubiläum. Der Großteil der Produkte wird in Supermärkten verkauft. Lidl hat seit 2006 sogar eine eigene Marke und damit im vergangenen Jahr 20 Millionen umgesetzt.

"Die Macht- und Steuerungsformen haben sich somit den Gepflogenheiten des traditionellen globalisierten Lebensmittelhandels angeglichen", schreibt die Wirtschaftsgeographin Jutta Kister, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt. Nicht die Werte des Fairen Handels stünden hier im Zentrum, sondern das Kerngeschäft der Supermärkte. Trotzdem sind etwas höhere Preise und sichere Arbeitsplätze für die Produzent*innen Schrittchen in die richtige Richtung. Doch der Marktanteil des fairen Handels liegt selbst beim Hauptprodukt Kaffee erst bei gut 6 Prozent. Die extrem ungerechten Handelsbeziehungen lassen sich allein durch gutwilige Konsument*innen nicht beseitigen. Es braucht andere politische Rahmenbedingungen.

Großer politischer Schritt

Einzelhandelskonzerne nutzen ihre Marktmacht, um immer niedrigere Preise zu erzwingen – sei es bei Textilien, Elektronik oder Schokolade. Dabei setzen sie auf Ausbeutung und nehmen sogar den Tod von Beschäftigten in Kauf wie 2013, als eine Textilfabrik in Bangladesch einstürzte und 1.135 Menschen starben. Viele Organisationen setzen sich deshalb seit Jahren für ein Gesetz ein: Die hiesigen Unternehmen sollen endlich Verantwortung übernehmen für die Arbeitsbedingungen bei den Firmen, die Billigwaren für sie herstellen. ver.di hatte sich mit anderen Gewerkschaften, kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen sowie Verbraucher- und Umweltverbänden zur Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen.

"Ein wichtiger, erster großer Schritt ist geschafft", sagt Jenny Jungehülsing, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei ver.di. Anfang 2023 tritt in Deutschland endlich das "Lieferketten-sorgfaltspflichtengesetz" in Kraft. Es nimmt zunächst Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in die Pflicht, bei ihren Lieferanten für die Achtung der Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards zu sorgen. Dazu gehört die Einrichtung von Beschwerdeverfahren und eine regelmäßige Berichterstattung über Abhilfemaßahmen. Zwar sieht Jungehülsing noch deutlichen Nachbesserungsbedarf. "Doch im Prinzip hat das Gesetz Zähne." Jetzt kommt es darauf an, dass die Behörden sie auch nutzen.