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Foto: JoJo Whilden/Universal Picture

She said

In einer der beklemmendsten Szenen dieses fesselnden Films sehen wir den Flur eines teuren Hotels, während zu hören ist, wie hinter einer der Türen ein Mädchen von Anfang Zwanzig vergeblich versucht, sich gegen die Vergewaltigung durch den mächtigsten Filmproduzenten von Hollywood, Harvey Weinstein, zu wehren. Man hört ihre Angst und ihr Flehen; er habe ihr gestern schon an die Brust gefasst, sie wolle das nicht und möchte bitte gehen dürfen. Er schwört daraufhin, bei seiner Ehefrau, bei seinen Kindern, dass er ihr nichts tun wolle, nur ein bisschen auf die Couch solle sie kommen, und bedroht sie immer aggressiver nicht nur mit dem Ende ihrer Karriere.

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Die Verfilmung der Investigativrecherche von Jodi Kantor und Meghan Twohey für die New York Times, die 2017 die "MeToo"-Bewegung ausgelöst hat, ist Maria Schraders (Ich bin dein Mensch) erste Regiearbeit in Hollywood und für die Emmy-Gewinnerin ein echter Coup. Sie stellt die Arbeit der beiden Reporter*innen ins Zentrum und setzt ihnen ein Denkmal wie einst der Film All the president's men dem Reporterduo Bernstein und Woodward beim Watergate-Skandal. In She said geht die Reporterin Jodi Kantor den Gerüchten über sexuelle Übergriffe Weinsteins nach und trifft einige der traumatisierten Frauen. Die wagen es nicht, sich für die Story zitieren zu lassen. Kantor tut sich mit ihrer Kollegin Meghan zusammen, die bereits über die sexuellen Übergriffe Donald Trumps berichtet hatte. Die beiden stoßen auf ein ganzes System, das Männer wie Weinstein nicht nur in ihrem Tun unterstützt und vor der Justiz abschirmt. Es ist ein System, das die Justiz selbst vor ihren Karren gespannt hat.

Der Film beantwortet unter anderem eine Frage, die ausgerechnet von Trump aufgeworfen und seither gern nachgeplappert wird: Wenn das alles stimme, warum meldeten sich die Frauen erst Jahre später? Antwort: Weil man sie vertraglich und mit Geld zum Schweigen gebracht hatte. Bei Nichteinhaltung drohten Millionen Dollar an Strafe und: Weinstein hätte ihre Karriere beendet. Keine der rund 90 Frauen, die nach der Veröffentlichung des New York Times-Artikels den Mut fanden zu sagen "me too", hatte eine Kopie dieser Schweigeverträge erhalten. Ihre Handys mit Beweisen wie SMS von Weinstein hatten sie seinen Anwälten übergeben müssen und waren so jeder Möglichkeit beraubt, den Täter zu verklagen. Betroffen waren nicht nur berühmte Schauspielerinnen, sondern auch Angestellte in allen weltweiten Büros von Weinsteins Unternehmen. She said zeigt auch die komplexe Arbeit eines*r Investigativjournalist*in. Das langwierige Ringen, bis die Fakten geprüft und verifiziert sind, der Quellenschutz, die unzähligen Gespräche und Telefonate – das braucht Zeit, Geld und Unterstützung durch eine unabhängige Redaktion. Dann kann eine Recherche die Welt verändern und einen Vergewaltiger 23 Jahre ins Gefängnis bringen. Jenny Mansch

USA 2022, R: Maria Schrader, D: Carey Mulligan, Zoe Kazan, P. Clarkson, A. Judd, L. 130 Min., Kinostart: 8.12.

Werner Herzog – Radical Dreamer

Gleich zu Beginn behauptet Werner Herzog: "Ich träume nie, zumindest nur sehr selten." Der Rest des Dokumentarfilms über den legendären deutschen Regisseur scheint nur einem Zweck zu dienen: zu beweisen, dass Herzog sehr wohl ein Träumer ist, oder doch zumindest einer, "der Träume sammelt", wie die Regiekollegin Chloé Zhao es formuliert.

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Thomas von Steinaecker erzählt in Radical Dreamer"Herzogs Leben von der kargen Kindheit in der bayerischen Provinz über die Aufbruchsjahre des Jungen Deutschen Films in München, die berühmte Hassliebe zu Klaus Kinski und das zweite Leben als Erfolgsregisseur in den USA bis zur allseits verehrten, nahezu mystisch umflorten Figur. Eine Riege aus Prominenten wie Robert Pattison, Patti Smith, Nicole Kidman oder Christian Bale darf staunend von seiner Außergewöhnlichkeit künden, der alte Weggefährte Wim Wenders ein paar Witzchen reißen. So entsteht aus alten Archivaufnahmen von abenteuerlichen Dreharbeiten und neuen Interviews das Porträt eines einzigartigen Künstlers hinter der Kamera, der oft ohne Budget, aber mit eisernem Willen abgedrehte Meisterwerke schuf. Und mitunter mindestens so irre erscheint wie sein ewiger Gegenspieler Kinski.

Thomas Winkler

D/USA 2022, R: Thomas von Steinaecker, 102 Min., Kinostart: 27.10.

Ein Triumph

Etienne ist Schauspieler, hat aber seit drei Jahren schon kein Engagement mehr bekommen. Gegen den Frust übernimmt er den Theaterworkshop in einem Gefängnis – eigentlich eine Maßnahme zur Integration der Gefangenen.

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Das aber sieht Etienne ganz anders. "Wir machen hier Theater und keine Resozialisierung!", stellt er seine Priorität klar, als seine Laiendarsteller den nötigen Ernst zunächst vermissen lassen. Nach Gesprächen mit den Insassen hat sich Etienne nämlich Großes vorgenommen. Er sieht eine Parallele zwischen dem endlosen Wartezustand der Inhaftierten und dem Harren der beiden Landstreicher in Becketts "Warten auf Godot" – und genau dieses Stück absurdes Theater will er nun auf die Bühne bringen. Für einen Zugang zu den Talenten der Eingesperrten erweist sich das Stück als ideal. Kad Merad, bekannt als Postbote bei den Schti's, spielt diese Komödie mit großer Ernsthaftigkeit und im Zusammenspiel mit dem Ensemble sieht man hier exzellente Schauspielkunst. Jenny Mansch

F 2020. R: Emmanuel Curcol. D: Kad Merad, David Ayala, Lamine Cissokho, Pierre Lottin u.a., 103 Min., Kinostart: 15.12.