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Foto: Shai Franco

Liraz: Roya

Die Zusammenkunft war streng geheim. Niemand durfte wissen, wer sich da in einem Aufnahmestudio in Istanbul traf. Dass eine Sängerin aus Israel zusammen mit Musikerinnen und Musikern aus dem Iran vor den Mikrofonen stand, dass Erzfeinde zusammen Musik machten, das darf bis heute niemand erfahren. Vor allem nicht die iranische Geheimpolizei, denn dann könnten einige der Beteiligten im Gefängnis landen.

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Foto: promo

Wenn sich die 44-jährige Liraz Charhi an die Aufnahmen ihres neuen Albums Roya erinnert, dann fallen ihr nicht zuletzt die Tränen ein, die flossen, als sie endlich jene Menschen in die Arme schließen konnte, die sie schon lange kannte, aber nie zuvor getroffen hatte. Doch die Geschichte des Geheimtreffens in Istanbul beginnt früher, Jahrzehnte früher.

Ihre Eltern, sephardische Juden, emigrierten in den 60er-Jahren aus dem Iran nach Israel, sie selbst lebt heute in Tel Aviv. Liraz wuchs auf mit beiden Kulturen, mit Liedern, Filmen und Serien aus dem Iran, den die Familie nach der islamischen Revolution 1979 nicht mehr besuchen durften. Und sie wuchs auf mit der Frage: „Was wäre, wenn ich im Iran leben würde und mir das Singen verboten wäre?“, erzählt sie. „Was ich aber weiß: Ich muss singen, schon für die stummen Frauen im Iran.“

So wurde die Musik für Liraz auch ein politisches Projekt. 2018 sang sie auf dem Album Naz erstmals nicht Hebräisch, sondern Farsi, und schlug eine musikalische Brücke zwischen den beiden verfeindeten Ländern. Die Platte wurde ein Erfolg in Israel, erreichte aber auch den sich abschottenden Iran. Übers Internet meldeten sich Musiker*innen aus dem Land, das Israel sein Existenzrecht abspricht, bei Liraz: Sie wollten mit ihr zusammenarbeiten. Die Kooperation mit den Künstler*innen, die zuhause im Iran oft von Verfolgung bedroht sind, wurde für das darauffolgende Album Zan dann virtuell übers Netz organisiert.

Roya nun, eingespielt von Angesicht zu Angesicht mit zum Teil denselben Musiker*innen, bekommt durch die aktuellen Proteste im Iran eine Bedeutung, die nicht abzusehen war, als das Album aufgenommen wurde. Doch das Drama ist dem Album anzuhören: Zwar sind Junoonyani oder Mimiram aufgeräumte Hits, die persische Harmonien mit einem globalen Popverständnis verbinden. Die Balladen aber, die epischen Liebeslieder, sind nahezu traditionelle Klagegesänge. „Morgen wird es keine Grenzen mehr zwischen uns geben“, singt Liraz in Gandomi, einem Liebeslied, das aber auch eine Utopie beschreibt, nicht nur für die Menschen in Israel und dem Iran.

Thomas Winkler

Liraz: „Roya“ (Glitterbeat/Indigo)

Gyedo-Blay Ambolley and High-Life Jazz

Vorbei die Zeiten, in denen Afrikas Musiker als Exoten galten. Schon lange spielen sie eine wichtige Rolle im globalen Konzert. Dabei sind sie nicht nur Bewahrer der Tradition, sondern sichern sich auch selbstbewusst ihre Teilhabe an modernen Konzepten.

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Foto: promo

Schon das CD-Cover mit seinem blauen Farbverlauf legt die Verwandtschaft zu den klassischen Platten des US-Labels Blue Note nahe. Mit 75 stellt der Altmeister-Saxophonist und Sänger Gyedo-Bly Ambolley aus dem westafrikanischen Ghana sein neues Album vor. Aus westafrikanischem Highlife, Afrobeat und Jazz hat Ambolley einen überaus ansteckenden und coolen Party-Sound geschaffen, in dem auch die sozialen Botschaften nicht zu kurz kommen. Aufgenommen in seinem Heimatland, in Los Angeles und den Niederlanden, ist eine durchweg tanzbare Musik aus Eigenkompositionen und groovigen Arrangements von Jazz-Klassikern entstanden. So hat man Love Supreme (John Coltrane), Round Midnite (Thelonious Monk) und All Blues (Miles Davis) noch nicht gehört. Peter Rixen

CD, Agogo Records

Stella Sommer: Silence Wore A Silver Coat

Englisch oder Deutsch, wie will ich singen? Die alte Frage, die sich fast jede Popschaffende hierzulande stellen muss, beantwortet Stella Sommer eindeutig: sowohl als auch. Im schönen Wechsel veröffentlicht sie mal mit ihrer Formation Die Heiterkeit schlauen deutschsprachigen Diskurs-Pop und unter ihrem bürgerlichen Namen englische Songs.

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Foto: promo

Als Fan steht man vor der Qual der Wahl, denn auch in der Fremdsprache schreibt die Wahlberlinerin wunderschöne Lieder, bei denen sie einen Trick anwendet. Sommer singt mit einem leichten deutschen Akzent, der Abstand schafft zu den unvermeidlichen anglo-amerikanischen Vorbildern. So kann sie sich den Luxus leisten, die großen Momente der Pophistorie zu zitieren, ohne direkt mit ihnen verglichen zu werden. Auf ihrem neuen Album wird das so deutlich wie nie zuvor. Denn das Mammutwerk mit sage und schreibe 24 Songs ist überdeutlich inspiriert von der goldenen Ära des us-amerikanischen Folk, der sogenannten Laurel-Canyon- Szene der 60er-Jahre um Künstler*innen wie Joni Mitchell oder Crosby, Stills, Nash & Young. Stücke wie das wundervolle In My Darkness halten grandios die Balance zwischen Folk-Naivität und dunkler Melancholie – und klingen nun tatsächlich wie zu Unrecht vergessene Schätze aus seligen Hippie-Zeiten.

Thomas Winkler

CD, buback/indigo