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Kinderarbeit: Die lederverarbeitende Industrie ist bekannt für Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in ihren ProduktionskettenFoto: G.M.B. Akash/Panos Pictures — www.gmb-akash.com

Am 1. Januar 2023 tritt in Deutschland das Lieferkettengesetz in Kraft. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen in Deutschland, ihrer Verantwortung in ihren Lieferketten in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards nachzukommen. Bezug nimmt das Gesetz dabei auf die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Unternehmensverantwortung. Allerdings: Zu wenige Unternehmen orientieren sich auch daran.

Damit sich das ändert, brauchen wir Lieferkettengesetze. Die, die es bereits auf nationaler Ebene gibt, gehen allerdings nicht weit genug. Das gilt auch für das deutsche Lieferkettengesetz. Die Unternehmen haben mit dem Gesetz eine lange Leine bekommen, viel Spielraum und ausreichend Schlupflöcher. In Bezug auf umweltbezogene Pflichten etwa sind die Biodiversität und Auswirkungen aufs Klima gar nicht berücksichtigt. Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis von 130 Organisationen, dem auch ver.di angehört, erwartet von der Bundesregierung deshalb, dass sie sich jetzt auf europäischer Ebene – wie im Koalitionsvertrag angekündigt – für ein stärkeres Lieferkettengesetz einsetzt.

Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben die globalen Lieferketten nahezu zusammenbrechen lassen. Wegen der chinesischen Null-Covid-Strategie waren die Exporte aus dem weltgrößten Hafen in Shanghai um 40 Prozent zeitweise eingebrochen. Deutschland bezieht 15 Prozent an Vorprodukten für die heimische Industrie aus China. Wenn von dort nichts mehr kommt, stehen hier Räder still. Was zu Beginn der Pandemie zudem nicht ankam, aber dringend gebraucht wurde, waren Desinfektionsmittel, Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Viele Menschen mit chronischen Leiden mussten auf lebenswichtige Medikamente aus Indien teils wochenlang warten.

Die Abhängigkeiten in den weltweiten Wertschöpfungsketten – es zeigt sich immer wieder – haben einschneidende Folgen. Mit Blick auf den Krieg zeigt sich das etwa im Getreidehandel. Solange die Ukraine in der Ausfuhr von Weizen behindert wird, müssen in vielen Regionen Afrikas Menschen hungern. Hier bei uns sind wegen unterbrochener Lieferketten die Preise für Lebensmittel und Energie enorm gestiegen. Und bereits die ersten Corona-Lockdowns hatten dramatische Auswirkungen auf die Textilindustrie. Die Branche steht seit vielen Jahren beispielhaft dafür, was in den Lieferketten schiefläuft, unter anderem mit tausenden Todesopfern durch Fabrikbrände und -einstürze in asiatischen Produktionsstätten. Im März 2020 stornierten große Textilkonzerne einfach ihre Aufträge. Für bereits produzierte Waren zahlten sie nicht mehr. Oder sie forderten von ihren Zuliefererbetrieben hohe Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent.

Grob fahrlässig

In Bangladesch vor allem kam es zu Massenentlassungen, Millionen Näherinnen und ihre Familien gerieten in Existenznot. Die Textilunternehmen, die hierzulande ihre Beschäftigten in staatlich finanzierte Kurzarbeit schicken konnten, entzogen sich jeglicher Verantwortung gegenüber den Menschen, die bis heute häufig für Hungerlöhne und in langen Schichten und teils sieben Tage die Woche ihre Milliardengewinne erst ermöglichen.

Der aktuelle Referentenentwurf für ein EU-Lieferkettengesetz ist in einigen Punkten stärker als das deutsche Gesetz. Doch laufen genau deshalb deutsche Unternehmensverbände seit Monaten Sturm gegen den Entwurf, versuchen ihn ebenso abzuschwächen, wie ihnen das schon beim deutschen Gesetz gelungen ist. Die ARD-Monitor-Sendung vom 27. Oktober zeigte, wie erfolgreich sie damit offenbar sind. In der Stellungnahme der Bundesregierung zum EU-Lieferkettengesetz wurden zwei Reißleinen eingezogen: So soll eine Unternehmenshaftung nur noch bei "grober Fahrlässigkeit" und "Vorsatz" eintreten, was beides kaum nachzuweisen ist. Und statt einer vollständigen Risikoanalyse in der gesamten Lieferkette, soll eine Untersuchung auf Risiken eingeschränkt werden, auf die die Unternehmen direkte Einflussmöglichkeiten haben.

Von diesen Einschränkungen betroffen wären vor allem diejenigen, die am Anfang der Lieferketten unter unmenschlichen Bedingungen zum Beispiel seltene Erden aus dem Boden kratzen, gesundheitsgefährdenden Chemikalien in der Lederindustrie ausgesetzt sind, zu Armutslöhnen Baumwolle ernten oder eben die Textilarbeiter*innen in Bangladesch und anderen Billiglohnländern.

Als drittgrößter Wirtschaftsraum der Welt steht die Europäische Union in der Verantwortung für ein Lieferkettengesetz, das einen entscheidenden Beitrag zu einer global gerechten Wirtschaft leistet. Sollte die Bundesregierung unter Führung von Olaf Scholz, SPD, ihre Einschränkungen im EU-Lieferkettengesetz durchsetzen, werden sich die Arbeitsbedingungen von Millionen Beschäftigten nicht wirklich bessern.

Die Initiative Lieferkettengesetz sammelt noch bis zum 30.11. Unterschriften für ein starkes EU-Lieferkettengesetz. Die Petition soll im Dezember 2022 Olaf Scholz überreicht werden.

Unterzeichnen unter

lieferkettengesetz.de

Mehr erfahren unter

verdi.de/themen/internationales/ initiative-lieferkettengesetz