In den letzten Wochen lebten die Ukrainer im Halbdunkeln. Und das ist keine Übertreibung. In ukrainischen Haushalten ist man derzeit häufiger ohne Licht als mit Licht. Wenn der Strom ausfällt, verschlechtert sich auch die Mobilfunkverbindung. Manchmal ist sie gar nicht da, manchmal besteht die Möglichkeit, Internet zu haben, wenn man eine autonome Stromversorgung findet. Doch auch diese funktioniert nicht immer.

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Olha VorozhbytFoto: privat

"Ich danke Gott, dass er nur Geld genommen hat", sagt mir Oksana Nowikova, Unternehmerin aus Lwiw, wenn ich in ihrer Bäckerei sitze, die mich rettet, wenn es kein Internet in meinem Haus gibt. Bei ihr kann ich dann arbeiten. Ein Tag vor unserem Gespräch fielen russische Raketen in der Nähe ihres Wohnhauses in einem Vorort von Lwiw. Die Schäden zu beseitigen, kostet Geld.

Viele Menschen glauben dennoch, dass es einfacher wird, in Privathäusern auf dem Land durch den Winter zu kommen. Selbst die Kellnerin der Bäckerei will in eines der beschädigten Gebäude in Oksanas Dorf umziehen, sollte der Winter in Lwiw zu "hart" werden, weil die Russen dort die Energieinfrastruktur zerstören. Nur: Die Renovierung des Hauses im Dorf kostet viel Geld, das ebenso schnell verstreut ist, wie die Fensterscherben des zerstörten Hauses. Als Oksana an diesem Tag ihr duftendes Gebäck aus dem Backofen holt ist sie einfach froh, dass an anderen Orten der Strom abgeschaltet wurde.

Energiearbeiter am meisten nachgefragt

Der "harte" Winter ist leider nicht mehr nur ein Albtraum. "Ein Blackout ist nicht das Ende der Welt, es ist eine schwierige Prüfung", sagte Wolodymyr Kudrytskyi, der Chef von Ukrenergo, kürzlich in einem Interview. Ukrenergo und auch DTEK sind zwei Unternehmen, auf deren Schultern die Last des gesamten Wiederaufbaus der ukrainischen Energieinfrastruktur fällt. Zusammen mit den Soldaten an der Front und den Rettungshelfern im Hinterland sind die ukrainischen Energiearbeiter heute die Helden in diesem Krieg. Die Mitarbeiter beider Firmen arbeiten trotz der bestehenden Gefahr, Opfer eines russischen Angriffes zu werden.

Bereits 22 Energiearbeiter von DTEK wurden verletzt, drei getötet. Auch Ukrenergo berichtet über verletzte und getötete Mitarbeiter. Obwohl der Wiederaufbau der Stromversorgung nach massiven Raketenangriffen die größte Herausforderung zu sein scheint, ist jene Aufgabe, die darin besteht, eine Energieanlage in einem kürzlich befreiten Gebiet zu reparieren, in Wirklichkeit noch schwieriger. Ende Oktober explodierte in der Region Charkiw ein Auto der Mechaniker von Ukrenergo. Sie waren über eine Landmine gefahren, als sie versuchten, ein Umspannwerk zu erreichen, das repariert werden sollte. Der Minenräumer, der sie dorthin fuhr, wurde getötet, der Ukrenergo-Ingenieur verletzt.

Laut dem Portal grc.ua, das die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beobachtet, waren im November dieses Jahres Energietechniker am meisten nachgefragt. Angesichts des russischen Terrorismus wird dies auch in Zukunft so bleiben. Gleichzeitig werden Elektriker und Netz-Manager auf dem Arbeitsmarkt noch gefragter sein, wenn Russland ukrainisches Territorium nicht mehr beschießen kann. Schließlich muss das zerstörte Stromnetz der Ukraine neuen Standards entsprechend wieder aufgebaut werden. Was ukrainische Netzingenieure derzeit tun, um das Licht so schnell wie möglich wieder in die Häuser zu bringen, ist kein Wiederaufbau, es sind nur Krisenlösungen. Der Neuaufbau wird deshalb einen positiven Effekt haben – die Ukrainer werden ein neues, modernes Energiesystem aufbauen müssen, viel besser als das, was wir vor der russischen Invasion hatten.

Die dunkelste Stunde ist kurz vor der Morgendämmerung, sagt man in der Ukraine. Die Morgendämmerung, mit der der Wiederaufbau beginnen wird, rückt jeden Tag näher.

Olha Vorozhbyt ist stellvertretende Chef- Redakteurin des ukrainischen Nachrich- tenmagazins Ukrajinskyi Tyschden. Seit der Ausgabe 03_2022 schreibt sie regelmäßig für uns ein Update aus der Arbeitswelt in der Ukraine.