John Cale: Mercy

Klänge wie aus dem Äther, ein Rhythmus aus dem Geisterhaus, und wenn die Stimme anhebt zu singen, klingt sie brüchig wie aus dem Jenseits. Der mittlerweile 80-Jährige John Cale war einst Teil eines kongenialen Duos bei den legendären Velvet Underground, er war die avantgardistische Antipode zum Rock’n’Roller Lou Reed.

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Seither hat der aus der Minimal Music kommende Cale von der Klavierballade bis zum atonalen Experiment musikalisch nichts ausgelassen, aber sich trotzdem niemals in den Mainstream verirrt. Wie sehr er dafür von den jungen Musikerkolle­g*innen verehrt wird, lässt sich auf der Gästeliste seines neuen Solo-Albums ablesen. Von Weyes Blood über das Animal Collective und Laurel Halo bis zu Sylvan Esso wechseln sich ausschließlich Spitzenkräfte des Indie-Pop ab, um dem Altmeister unter die Arme zu greifen. Sie hinterlassen allerdings erstaunlich wenig eigenen Eindruck. Opa John benutzt die Stimmen seiner ­Indie-Enkel bloß, um seine Vision einer alptraumhaften Vision eines Klimakatastrophen-Pop aus eisgrauen Synthie-­Gletschern und karstigen Beat-Gebirgen zu verzieren. Thomas Winkler

CD, Domino Records/Goodtogo

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Nina Hagen: Unity

Man muss wohl Nina Hagen sein, um ­einen Pop-Song Atomwaffensperrvertrag zu nennen. Oder den alten Bergarbeiter-Kampfsong 16 Tons in einen Glamour-Knaller zu verwandeln, und sich mit dem Kitsch von Die Antwort weiß ganz allein der Wind gegen den aktuellen Krieg zu wenden, rhythmisches Bierzeltklatschen zum Refrain inklusive. Darf man das? Das darf man nicht fragen, denn das ist Nina ­Hagen, die sich in ihrer langen Karriere alles getraut hat. Dabei ist nicht immer ­alles gelungen, auch auf ihrem 17. Solo-Album Unity nicht. Egal ob Klassiker nachgespielt werden, die Songs selbst geschrieben oder zusammen mit Ikonen wie Lene Lovich oder George Clinton entstanden sind: Nina Hagen weiß zwar musikalisch nicht immer, was sie will, aber das sehr entschie-den, laut und

lustig. Es gibt Punkrock, Reggae-Songs und Dance-Tracks, als wollte die 67-Jährige noch mal die eigene Karriere abschreiten. Sie verliert sich in Eso-Gewaber und ist dann doch wieder auf den Punkt, hat Witz und eine gute Melodie. Auch ihre Stimme, jenes Wunderwerk der Klangfarbenakrobatik, hat kaum gelitten. Wenn sie in United Women Of The World kieksend und knurrend alle feministischen Strömungen dazu aufruft, die ideologischen Unterschiede zu vergessen und gemeinsam Party zu feiern, dann ist das alt-modisch und zugleich zeitgemäß – eben so wie Nina Hagen. Thomas Winkler

CD, Grönland/Rough Trade

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Uusikuu: Karuselli

Finnen haben ein ungebrochenes Verhältnis zur Populärmusik des vergangenen Jahrhunderts. Ob Tango, Romanzen oder Jazz-Schlager, sie verehren die Held*innen der Pop-Historie, ­ohne sich dabei auf den Kniefall zu beschränken. Stattdessen haben sie hörbar Spaß daran, die alten Melodien zu recyceln – bisweilen auch auf ironische bis nordisch-kauzige Art. Die finnisch-deutsche Band Uusikuu (Neumond) mit Frontfrau Laura Ryhänen versteht sich auf ihrer neuen CD bestens darauf – und zwar in einem Wechsel von nordischer Melancholie und überschäumender Fröhlichkeit. Ihre selbst ernannten „Vintage Sounds of

Finland“ kommen in einer akustischen Quintett-Formation mit Gesang, Violine, Akkordeon, Percussion und Kontrabass modern und swingend daher, in ­erfrischend klingenden Arrangements. Und das alles mit augenzwinkernden ­Lebensweis-heiten wie in

Juna Kulkee, dem Stück, in dem ein Zug einen bedeutenden Part hat. Der fährt nämlich immerzu weiter – wie das Leben. Im richtigen Moment aufspringen ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, den richtigen Waggon zu erwischen. Peter Rixen

CD, Nordic Notes