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Foto: Sven Johne

Sven Johne. Vom Verschwinden

"Ich stelle mir vor, dass Baum, Borke und Laub Ohren haben", sagt eine klare und junge Stimme in dem Video Vom Verschwinden, das dieser Ausstellung des Künstlers Sven Johne ihren Titel gegeben hat. Man sieht immer wieder verschiedene Ansichten vom Rotbuchenwald über den Kreidefelsen von Rügen, Nahaufnahmen des weißen Gesteins und das Schwappen des Meeres auf den steinigen Strand. Die Stimme des Jungen erzählt zu diesen Naturaufnahmen unter anderem die Geschichte seiner Urgroßmutter Ida, die als Geflüchtete während des zweiten Weltkriegs auf die Insel kam. Erzählt, dass die Schwester der Uroma die Flucht nicht mehr mit antreten konnte, weil sie von einem russischen Soldaten erschossen wurde. Ida sei da elf Jahre alt gewesen, so alt wie er, der Erzähler es gerade auch sei. Der Junge spricht auch über Kaspar David Friedrich, dem Maler, der die Rügener Kreidefelsen auf ewig berühmt gemacht hat. Und über den Komponisten Johannes Brahms, der den Wissower Klippen eine Symphonie gewidmet hat. An manchen Stellen gleicht die Erzählung den Märchen der Gebrüder Grimm, voller Grausamkeiten, an deren Ende das Gute über das Böse siegt.

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Doch die Erzählung des Jungen ist nicht erfunden, genauso wenig wie die Geschichten der anderen Fotoarbeiten und Videos dieser Ausstellung. Es sind Kunstwerke, die aus der Natur und Vergangenheit schöpfen. Sven Johne, der auf Rügen geboren wurde und aufgewachsen ist und heute in Berlin lebt, ist in seine Heimat zurückgekehrt, um mit der Kamera auszugraben, was verschwunden ist, manches unwiederbringlich. Die berühmten Kreidefelsen schrumpfen jedes Jahr ein bisschen mehr. Johnes Werken sieht man diese Dramatik erst auf den zweiten Blick an, genauso wie die kindliche Stimme im Video seine Zuhörer*innen zunächst sanft und freundlich für sich einnimmt. Die Dramen stecken in den Details. Verschwinden zu Beginn Geschichten, die das Kind in der Landschaft verborgen glaubt, ist es am Ende die schwindende Landschaft. Es ist die schreckliche Geschichte, die das Kind gerade selbst erlebt.

Doch die Ausstellung will nicht allein zeigen, was uns durch den Klimawandel verloren geht. Vielmehr liegt über allem ein Zauber, eine Art Poesie, die einen hoffen lässt, dass am Ende eben doch nicht alles verschwindet. Die Geschichten unserer Vorfahren nicht und auch nicht unsere Landschaften. Petra Welzel

Kunstsammlung Jena, Markt 7, 07743 Jena, DI-SO 10-17 Uhr, bis 5. März 2023

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Chagall: Welt in Aufruhr

Nicht mehr alle werden seinen Namen heute noch kennen – Marc Chagall. Doch seine Bilder sind in der Welt der Vermarktung allgegenwärtig. Seine Gemälde zieren bis heute Tassen, Socken, Taschen, Bettwäsche und andere Dinge. Bilder vom jüdischen Leben in der kleinen Stadt Witebsk, einst im russischen Kaiserreich, heute in Belarus gelegen. Es sind fröhliche bunte Bilder von einem ausgelassenen Leben. Den 1. Weltkrieg erlebte Chagall dort, den 2. Weltkrieg – inzwischen als international gefeierter Künstler – in Frankreich und Italien, immer auf der Flucht vor den Nationalsozialisten, die ihn nicht nur wegen seines Glaubens verfolgten. Er galt auch als "entarteter" Künstler. Sein Werk wird in diesen Jahren immer düsterer, kreist um seine Heimat und das Exil, Geburt und Leben in einer Welt im Krieg. Verfolgung, Zerstörung, Leid, Tod begleiten sein Schaffen über viele Jahre. Sein Werk aus diesen Jahren zeigt aktuell die Schirn in Frankfurt, zu einer Zeit, in der dieselbe Welt erneut in Aufruhr ist. Petra Welzel

SCHIRN KUNSTHALLE, RÖMERBERG, 60311 FRANKFURT A.M., DI, FR–SO 10–19, MI/DO 10–22 UHR, BIS 19. FEBRUAR 2023

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Grüne Moderne: Die neue Sicht auf Pflanzen

Das Reich der Pflanzenwelt interessiert die Menschheit seit Anbeginn. Formen und Farben von Blättern und Blüten sind auch aus der Kunst nicht wegzudenken. Als Ranken haben sie Buchblätter im Mittelalter verziert, im Jugendstil Möbel. Diese Schau geht vor allem der Sicht auf Pflanzen im 20. Jahrhundert auf den Grund. Sie vereint Makro-fotografien etwa von Aenne Biermann mit einem Porträt von Martha Dix, gemalt von ihrem Mann Otto, in einem Kleid voll pflanzlicher Ornamente und einer Blume in der Hand. Daneben steht eine Skulptur von Renée Sintenis, ein weiblicher Akt, der statt Haaren prachtvolle Lorbeerblätter trägt. Die Kunst hat sich die Pflanzen quasi einverleibt, aber dadurch nicht zerstört. Das verursachen wir durch Turbolandwirtschaft und selbst verschuldeter Erderhitzung. Pflanzen-Klima-Workshops für Kinder runden die Ausstellung ebenso ab wie das Nachhaltigkeitssiegel, mit dem sie realisiert wird. Petra Welzel

MUSEUM LUDWIG, HEINRICH-BÖLL-PLATZ, 50667 KÖLN, DI-SO 10-18, JEDEN 1. DO IM MONAT 10-22 UHR, BIS 22. JANUAR 2023