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Foto: Michael Gibson © 2022 Orion Releasing

Die Aussprache

Eine Gruppe von Frauen einer abgeschiedenen protestantisch-orthodoxen Gemeinde trifft sich heimlich auf einem Heuboden, um zu besprechen, wie sie mit dem Unrecht umgehen wollen, das ihnen angetan wurde. Den Anlass der Aussprache inszeniert die kanadische Regisseurin Sarah Polley in kurzen, starken Bildern nach dem Roman von Miriam Toews Women talking. Immer wieder wachen Frauen der Mennoniten- Gemeinde zwischen 5 und 65 Jahren in der Frühe als schwer verletzte Opfer von Vergewaltigungen auf, an die sie sich jedoch nicht erinnern können.

Der Bischof der Kolonie führt sie noch dazu in die Irre und bagatellisiert das Ganze als Werk weiblicher Einbildung. Erst als ein Mädchen zu früh erwacht und in ihrem Peiniger ein Mitglied der Gemeinde erkennt, kommt die Wahrheit ans Licht. Der Fall beruht auf einer wahren Begebenheit in Bolivien: Über Jahre hinweg hatten sich sieben Männer, alle- samt Nachbarn, Söhne, Neffen, Cousins, Onkel oder Väter, nachts an den Frauen vergangen, nachdem sie sie mit einem Betäubungsmittel für Kühe bewusstlos gemacht hatten. Nun sind die anderen Männer in die Stadt gefahren, um die Beschuldigten per Kaution aus dem Gefängnis zu holen. Diese Zeit nutzen die Frauen, um zu besprechen, wie es weitergehen soll. Ob und wie sie die Ereignisse mit ihrem Glauben in Einklang bringen können. Ob sie bleiben und kämpfen, oder ob sie gehen sollen.

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Foto: Promo, Verleih

Die Frauen, die weder lesen noch schreiben können, ringen nun um eine Lösung. Sie verhandeln dabei, ohne es zu wissen, die Lösung des Geschlechterkampfs. Schwung und Witz bringen die Teenager mit, die auf ihre eigene, abgebrühte Weise mit dem Geschehen umgehen. Das starke Schauspielerinnen-Ensemble, die Regie und das Licht erschaffen auf dem Heuboden eine Atmosphäre, in der man sich wohlfühlt und mit Spannung dem Pingpong der Positionen um Schuld, Rache und Ver- gebung folgt. Über ihnen schwebt die Angst, nicht in den Himmel zu kommen, wenn sie das von den Männern brutal aufgekündigte Regelwerk ihres Glaubens nun ihrerseits aufbrechen. Andere sind so in Rage, dass sie fürchten, zu Mörderinnen zu werden, sollten sie in der Kolonie verbleiben. Die Lösung, auf die sich die Frauen am Ende einigen, ist triumphal und radikal zugleich. Und darf als Ansage an eine Weltgemeinschaft verstanden werden, die es hinnimmt, dass überall immer mehr Mädchen und Frauen Opfer sexueller Gewalt und massiver Unterdrückung werden und selbst in aufklärten Gesellschaften den Frauen ihre Rechte abgesprochen werden.Und das auch noch im Namen Gottes.

Jenny Mansch

CAN 2022. R: Sarah Polley, DB: Miriam Toews, Sarah Polley. D: Rooney Mara, Claire Foy, Frances McDormand u.a., 105 Min., Kinostart 9.2.23

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Christian Fussenegger

Von Menschen, die auf Bäume steigen

Hat sich schon wieder jemand festgeklebt? Oder Kunst mit Kartoffelbrei beworfen? Was denken sich diese jungen Leute eigentlich? Ja, was? Diese Frage, die gerade allenthalben gestellt wird, versuchen Christian Fussenegger und Bernadette Hauke in ihrer Doku zu beantworten. Dafür haben sie sich aufgemacht ins Herz des regionalen Widerstandes. Im Altdorfer Forst haben sie anderthalb Jahre lang Umweltaktivist*innen begleitet, die für den Erhalt des größten Waldes von Oberschwaben kämpfen und gegen die Betreiber einer Kiesgrube, die immer größere Gebiete abbaggern wollen. Diesem Kampf folgt die Kamera auf allen Ebenen: Die einen wälzen seit Jahren dicke Aktenordner, die anderen klettern unter Lebensgefahr auf Kirchtürme, um dort Protestbanner anzubringen – oder eben auf Bäume, um deren Abholzen zumindest zu behindern. Deutlich wird: Unser aller Zukunft wird von ganz gewöhnlichen Menschen beschützt, die vor allem Unterstützung und Solidarität brauchen. Thomas Winkler

D 2023, von Ch. Fussenegger & B. Hauke, 75 min., der Film kann ausgeliehen und aufgeführt werden. Kontakt: menschenaufbaeume.film@gmail.com

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Foto: Verleih

Die Eiche – Mein Zuhause

Was für ein komplexes Ökosystem dran glauben muss, wenn ein Baum gefällt wird, kann man in dem ganz und gar erstaunlichen Actionthriller „Die Eiche” bestaunen. Nahe gebracht werden uns und all unseren Sinnen die Bewohner einer alten Eiche, die seit vielen vielen Jahren majestätisch an einem See steht. Der Film beginnt als Katastrophenfilm, denn ein krachendes Frühlings-Gewitter entlädt sich gerade über dem Baum. Da ist Panik angesagt: Das Eichelhäher-Paar aus dem Dachgeschoss krallt sich an die Zweige, das Eichhörnchen darunter sucht sich ein sicheres Plätzchen. Die Borkenkäfer krabbeln laut trippelnd in die Rindenfurchen, die Mäuse rennen und schwimmen um ihr Leben in ihr Versteck im Keller. Dahin hangelt sich auch mit letzter Kraft der Rüsselkäfer. Am nächsten Morgen wagen sich – allesamt unverletzt – die Tiere wieder an die Luft. Dort muss fallenden Eicheln ausgewichen, Nahrung beschafft, das Überleben gesichert werden – und das alles in Formaten des klassischen Dramas, der Schnulze, des Krimis, der Verfolgungsjagd und des Liebesfilms erzählt. Anderthalb Jahre haben die Regisseure das Leben in und um die Eiche herum gefilmt; als Erzähler*in fungieren Bild, Schnitt und ein fantastisches Sounddesign, das sogar die Fortbewegung einer Raupe hörbar macht. Ein wirklich spektakulärer Film.

Jenny Mansch

F 2022. R: Laurent Charbonnier Michel Seydouxn, K.: Mathieu Giombini, Cut: Svie Lager, 81 Min., Kinostart: 9.3.23