Streiks in England
Klare Ansage britischer Rettungskräfte: Würde der Premierminister seine Arbeit tun, könnten sie ihre machenFoto: PA-Wire/picture alliance/dpa

Um eine fundamentale Freiheit zu verteidigen, haben in Großbritannien am 1. Februar landesweit und in nahezu allen Branchen hunderttausende Beschäftigte gestreikt. Dazu aufgerufen hatte der britische Gewerkschaftsbund TUC. Bereits vorher und auch anschließend haben Beschäftigte gestreikt. Der Grund: Sie wollen sich das Recht auf Streik nicht nehmen lassen. Gestreikt wird im Gesundheitswesen, in den öffentlichen Ver­waltungen, in den Sozial- und Erziehungsdiensten, die Lehrer*innen und Rettungsdienste streiken und seit Monaten immer wieder die Beschäftigten im Nah- und Fernverkehr.

Der Hintergrund: Weil in Großbritannien immer mehr Beschäftigte gegen Niedriglöhne und unzumutbare Arbeitsbedingungen streiken, plant die Regierung neue gesetzliche Angriffe auf das Streikrecht. Am 10. Januar verkündete Wirtschaftsminister Grant Shapps im britischen Unterhaus entsprechende Pläne. Ziel sei es, der Regierung eine Handhabe zu schaffen damit, „öffentliche Dienstleistungen Basisfunktionen aufrechterhalten können“.

Das Anti-Streik-Gesetz im Detail

Der Gesetzentwurf „Minimum Services Bill“ wurde ursprünglich als Mittel zur Bekämpfung von Eisenbahnerstreiks von der britischen Regierung im Unterhaus eingebracht. Ziel war es, die Eisenbahngewerkschaften zu zwingen, im Streikfall einen Teil ihrer Mitglieder an die Arbeit zu schicken, um so einen Mindestbetrieb zu garantieren. Am 10. Januar fand die zweite Lesung statt. Sie wurde von Wirtschaftsminister Grant Shapps genutzt, um die Wirkungsmacht des geplanten Gesetzes drastisch auszuweiten. Nun geht es nicht mehr „nur“ gegen Eisenbahner*innen, sondern auch gegen das Gesundheitspersonal, den Bildungsbereich, die Feuerwehren, den gesamten Transportsektor, den Grenzschutz sowie jene lohnabhängig Beschäftigten, die radioaktiven Müll entsorgen sollen.

Das Gesetz würde bei Inkrafttreten die Arbeitgeberseite bestreikter Betriebe ermächtigen, Beschäftigte namentlich zu benennen, die während eines Streiks zur Arbeit zwangsverpflichtet werden sollen. Streiken also zum Beispiel Lehrer*innen, können Schulen zukünftig bestimmten Kolleg*innen anordnen: „Ihr arbeitet heute und bietet Not-Unterricht an, damit eine Grundversorgung gewährleistet ist“. Sagt nun eine Lehrerin: „Nein, das mache ich nicht. Ich will meinen streikenden Kolleg*innen nicht in den Rücken fallen“, droht ihr die fristlose Kündigung. Das Anti-Streik-Gesetz soll so die kollektive Solidarität im Streikfall untergraben. Mick Lynch, der Vorsitzende der Transportarbeiter*innengewerkschaft RMT spricht von einer „Einführung von Zwangsarbeit für Arbeiter*innen“.

Das klingt drastisch, hat aber einen realen Hintergrund. Denn das Gesetz gibt dem Staat Mittel in die Hand, Mindestbesetzungen bestreikter Betriebe einfach festzulegen. Wollen also Krankenwagenfahrer*innen streiken, könnte eine Regierung vielleicht bald einfach ­eine Mindestpersonaldecke vorschreiben, die während der Streiktage gewährleistet werden muss. Für den Fall, dass eine an einem Streik beteiligte Gewerkschaft nicht kooperiert, droht der Gesetzesentwurf den Gewerkschaften mit dem Verlust des bislang existierenden Schutzes vor Schadensersatzforderungen durch bestreikte Unternehmen.

Dies ist aber die einzige in Großbritannien existierende Rechtssicherheit, die legale Streiks überhaupt ermöglicht. Ansonsten gibt es in Großbritannien kein „Recht auf Streik“. Und auch dieser Schutz wurde von den regierenden Tories in den vergangenen Jahren immer weiter ausgehöhlt. So müssen sich inzwischen in manchen Branchen mindestens 40 Prozent einer Belegschaft an einer brieflichen Urabstimmung für einen Streik beteiligen, damit die Urabstimmung überhaupt gültig ist.

Der Widerstand wächst

Die Ironie: Britische Gewerkschaften haben – ähnlich wie in Deutschland – in Branchen wie dem Gesundheitswesen schon immer im Vorfeld von Streiks ­Mindestbesetzungen etwa von Pflegekräften im Stationsbetrieb von Krankenhäusern lokal ausverhandelt. Und ähnlich wie in Deutschland führt dies nicht selten dazu, dass Patient*innen an Streiktagen besser versorgt werden, als im durch jahrzehntelange Einsparungen ausgedünnten „Normalbetrieb“.

Ähnliches beschrieb Mick Lynch am 11. Januar im Rahmen einer Befragung durch den Verkehrsausschuss im britischen Unterhaus. Ein konservativer Abgeordneter fragte den Gewerkschaftsvorsitzenden, ob dieser nicht anerkennen müsse, dass Streiks dafür sorgen, dass Menschen sich von öffentlichen Verkehrsmitteln abwenden. „Was ist mit den Tagen, an denen wir nicht streiken?“, war Lynchs Gegenfrage, und spielte damit auf die zahlreichen, durch Stellenabbau verursachten Zugausfälle in Großbritannien an.

Eines ist klar geworden in den letzten Wochen: Ohne Gegenwehr tritt das neue Anti-Streikgesetz nicht in Kraft. Auch international protestieren die ­Gewerkschaften, so etwa der EPSU, der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst. Und auch ver.di unterstützt die britischen Gewerkschaften in ihrem Widerstand.