Seit Beginn dieses Jahres haben zwei Millionen mehr Menschen Anspruch auf Wohngeld, dreimal so viel als bisher. Selbst wenn die unterbesetzten Ämter für die Erledigung der neuen Anträge wieder "nur" acht Monate bräuchten, ist das keine Lösung. Am 17. Januar 2023 wurde in Köln die Wohnung einer Mutter mit fünf Kindern zwangsgeräumt, mit Polizeieinsatz. Die Ersatzwohnung ist "menschenunwürdig", hatte das Verwaltungsgericht geurteilt: Die Kitas und Schulen der Kinder sind viel zu weit entfernt.

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Werner Rügemer ist freier Autor und PublizistFoto: Nick Albert

Aber die Stadt hat keine andere Wohnung. Die Zwangsräumung hatte Vonovia veranlasst, der größte Wohnungskonzern in Deutschland. 82 Zwangsräumun-gen gab es 2021 in Deutschland – täglich. Insgesamt waren es 30.000, mehr als jemals zuvor. Öffentlich sichtbar sind ein paar der offiziell 45.000 Obdachlosen. Aber die etwa eine Million Wohnungslosen – sie hausen verschämt und unsichtbar in Garagen, Kellern, Autos, Campingwagen, Zelten im Wald oder gedrängt bei Freunden und Bekannten. Weil es keine billigeren Ausweich-Wohnungen gibt, haben sich zuletzt eine Million Hartz IV-Bezieher vom 449-Euro-Regelsatz im Durchschnitt 92 Euro monatlich abgeknapst. So haben sie die Miete mitgezahlt, die über der Bemessungsgrenze liegt. Zum Essen hatten sie dann noch weniger.

Hunderttausende "Normalfamilien" müssen schon jetzt über 40 Prozent ihres Netto-Einkommens für die Miete ausgeben

Und hunderttausende "Normalfamilien" müssen schon jetzt über 40 Prozent ihres Netto-Einkommens für die Miete ausgeben und an Essen, Kleidung, sozialer Teilhabe sparen. Auch Eigentumswohnungen werden unerreichbar: Sogar junge Ehepaare mit zwei guten Einkommen können sie sich nicht mehr leisten: Die Preise sind noch schneller gestiegen als die Mieten, die Kreditzinsen wurden erhöht. In Köln kostet eine Eigentumswohnung von 62 Quadratmetern in mittlerer Lage 490.000 Euro. Die "Lösung"? Spekulanten kaufen diese Wohnungen und vermieten sie ab 20 Euro pro Quadratmeter.

Unter der Dauerkanzlerin Angela Merkel ging die Armut in Arbeit und Rente weiter, vor allem für Frauen. Jeder dritte Vollbeschäftigte erreicht auch nach 45 Beitragsjahren nur eine Nettorente unter 1.200 Euro. In Ostdeutschland ist das jeder zweite. Immer mehr alte Menschen übernehmen Minijobs für Putzen, Zeitungsaustragen – im Alter zwischen 75 und 85 Jahren waren das im letzten Merkel-Jahr 207.586 Menschen. Und es sind vor allem Frauen. Ab März 2023 fördert die Bundesregierung den Bau neuer Eigenheime und Wohnungen: Nur eine Milliarde steht zur Verfügung, dafür aber mit hochgestochenen Standards für Energieeffizienz und nachhaltiges Baumaterial. Die günstigen Kredite von 150.000 Euro sind angesichts der hohen Baukosten nur für Gutverdiener erreichbar. Wenn die Milliarde ausgeschöpft wird, kommen bestenfalls 7.000 nachhaltige Wohnungen zustande. Geht so nachhaltig gegen die Wohnungsnot?

Der Staat hat das Wohngeld seit 2015 bis 2022 verdoppelt – gleichzeitig hat er die Wohnungsnot befördert. Mit jetzt noch mehr Wohngeld werden letzten Endes die Mietspekulanten gemästet. Damit lässt der Staat den Konzernen Vonovia & Co. freie Hand. Vonovia mit 400.000 Wohnungen allein in Deutschland hat in den letzten Jahren hier 5,8 Milliarden Euro an die Aktionäre ausgeschüttet. Und durfte jetzt den zweitgrößten Konzern Deutsche Wohnen kaufen, genehmigt vom Bundeskartellamt: Noch mehr Marktmacht für noch höhere Mieten – und noch mehr Verdrängung, noch mehr Zwangsräumungen.

Soll also die Katastrophe noch größer werden? Nein! Ein fundamentaler Neuansatz ist nötig. Er ist eigentlich ganz selbstverständlich – demokratisch, sozialstaatlich, menschenrechtlich. Wohnen ist ein Menschenrecht. Zur erfolgreichen Volksabstimmung 2021 in Berlin über "Deutsche Wohnen enteignen!" haben verdi, GEW, Mieterverein, IG Metall, DGB Jugend, GiB und andere erklärt: "Öffentliches Eigentum in demokratischer Verwaltung ist der einzige Weg, das Recht auf Wohnen für breite Schichten der Bevölkerung dauerhaft zu sichern!" Kartelle müssen entflochten und notfalls enteignet werden. Der Staat muss zweistellige Milliardenbeträge in den sozialen Wohnungsbau stecken. Kommunen und Bundesländer müssen neue gemeinnützige Wohnungsunternehmen gründen. Und auch dafür braucht es mehr Personal im öffentlichen Dienst.

Und: Raus aus Europas größtem Niedriglohnsektor! Arbeitsentgelte erhöhen, vor allem für Frauen! Damit auch das Menschenrecht auf Wohnen erfüllt werden kann, sogar in Deutschland, und für alle!