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Foto: Weltkino Filmverleih

Die Gewerkschafterin

In ihrem ersten gemeinsamen Film mit Regisseur Jean-Paul Salomé war Isabelle Huppert eine Frau mit berauschenden Talenten. Als begabte Dealerin zog sie in der Komödie einen schwunghaften Haschischhandel auf, um ihre Rentenlücke zu stopfen. Mit ihrer zweiten Zusammenarbeit haben Regisseur und Hauptdarstellerin eine wahre Begebenheit zum Thema gemacht. Sie erzählen den Fall der französischen Gewerkschafterin und Whistleblowerin Maureen Kearney. Sie war als gut vernetzte Gesamtbetriebsratsvorsitzende des französischen Konzerns für Nukleartechnik Areva an delikate Papiere geraten und wurde 2012 in ihrem Haus brutal überfallen.

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Es ist ihre Haushälterin, deren Notruf und Aussage im Anschluss nicht mehr zählen, die sie im Keller ihres Hauses auffindet; geknebelt und gefesselt an einen Stuhl, ein aufgeklapptes Messer steckt mit dem Griff in ihrer Scheide. Die Täter hinterlassen keine Spuren, keine DNA, nichts – laut Forensik ein Unding. Mehr und mehr werden ihre Aussagen angezweifelt, die Ermittlungen verschlampt und sie schließlich der Verleumdung bezichtigt und angeklagt: Sie habe den Überfall nur inszeniert, das Messer könne doch da unmöglich so lange gesteckt haben, so das Résümée der ermittelnden Männer. Auf das Ergebnis ihrer Recherchen, auf das die Gewerkschafterin unermüdlich hinweist, will keiner eingehen. Zugespielt hatte man ihr zuvor nämlich geheime Dokumente, die einen geplanten Ausverkauf des berühmten französischen Nuklear-Know-Hows durch eine Kooperation mit China belegten (die in der Folge tatsächlich eintrat). Sie stritt bei Ministern und Abgeordneten für die zehntausenden von Jobs, die das Vorhaben kosten würde. Kearney selbst wurde daraufhin als manipulativ und lügnerisch dargestellt, ein früheres Alkohol-Problem und eine Psychotherapie dienten als gute Gründe, um sie öffentlich fertigzumachen.

So unentschieden sich der Film zwischen Gerichtsthriller, Politkrimi und Charakterstudie bewegt, so entschlossen stöckelt Isabelle Huppert hier in verblüffender Ähnlichkeit zur realen Maureen Kearney der Rehabilitierung ihrer Filmfigur entgegen. Kearney zieht das unter Druck und Depressionen erpresste Geständnis schließlich zurück und ficht die Sache aus – wenn auch unter persönlichen Opfern. Zu denen auch die zehntausenden Jobs zählen, die in der Folge der französisch-chinesischen Kooperation tatsächlich verlorengingen. Jenny Mansch

F 2023. R: Jean-Paul Salomé. D: Isabelle Huppert, Grégory Gadebois, Yvan Attal. 181 Min., Kinostart 27.4.2023

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Erica Jong: Breaking The Wall

Berühmt wurde und ist sie immer noch hauptsächlich wegen ihres autobiographischen Romans Die Angst vorm Fliegen von 1973. Darin schildert sie freimütig die erotische Odyssee ihrer Heldin Isadora, die aus ihrer Ehe ausbricht, um sich selbst und Freiheit, Kreativität und Sex zu finden. Das war damals shocking. Was heute als ein Meilenstein der feministischen Literatur gilt, dafür wurde die junge Erica Jong in Talkshows ausgelacht, verhöhnt und gedemütigt. Sie prägte Begriffe wie "Musik in der Möse" und "Zipless Fuck", "und alle dachten, ich hätte ein schmutziges Buch geschrieben und würde Frauen dazu ermuntern, sich auf die Suche nach schnellem Sex zu begeben", erzählt Jong in dieser Doku lachend; sie steht am Fenster ihrer New Yorker Wohnung, die voller weiblicher Kunst hängt oder fährt mit dem Taxi durch das menschenleere Manhattan im Lockdown. Kaum zu glauben, dass dieser Film der erste ist, der jemals über diese berühmte und nachhaltig arbeitende Frauenrechtlerin, Schriftstellerin und höchst unterhaltsame Vortragsreisende gedreht worden ist. Umso schöner, dass er diese beeindruckende Frau nun einer neuen Generation junger Frauen nahebringt. Jenny Mansch

Dokumentarfilm CH 2018–2020. R: Kasper Kasics. Musik: Roger und Brian Eno. 96 Min., Kinostart: 23.3.23

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The Ordinaries

Vielleicht erinnert sich hier noch jemand an The Truman Show, diesen Film, von dem zumindest die Hauptfigur, aber auch viele Kinobesucher*innen bis zum Showdown glaubten, das reale Leben des Truman zu begleiten. Bis die Filmkulissen zusammenbrechen. In The Ordinaries ist die junge Paula nicht nur die Hauptfigur, sie möchte auch eine solche werden. Viele Optionen gibt es in ihrer Welt auch nicht. Es bleiben ansonsten nur Nebenrollen oder Outtakes, Figuren, die aus jedem Film rausgeschnitten werden. Die Welt des Films, in der man sich als Zuschauerin hier von Anfang an weiß, wird in diesem feinfühligen wie auch teils komischen und bezaubernden Film zu einem Spiegel unserer Gesellschaft, in der oft nur weiterkommt, wer möglichst dick aufträgt, und diejenigen aussortiert werden, die nicht mithalten können. Paula, die sich zu Beginn mit eigenen Gefühlen schwertut, gerät auf der Suche nach der Rolle ihres Vaters, vermeintlich einer heldenhaften Hauptfigur, von einem Wechselbad der Emotionen ins nächste. Und trotz ihrer spröden Art – und darin ihrer Mutter, einer Nebenrolle, nicht unähnlich – fiebert man mit ihr mit, bis sie endlich beglückt und befreit die ganze Filmblase platzen lässt. Petra Welzel

D 2022. R: Sophie Linnenbaum. D: Fine Sendel, Jule Böwe, Sira-Anna Faal, Noah Tinwa, Henning Peker, Denise M'Baye. 120 Min., Kinostart 30.3.23