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Foto: wow/Sky

Wie ein Phönix aus der Asche

Viele haben auch nach all den Schilderungen von Betroffenen noch immer keine Vorstellung davon, warum die Opfer häuslicher Gewalt erst spät über ihre Erfahrungen reden oder sie, wenn überhaupt, bei der Polizei anzeigen. Die zweiteilige Dokumentation von Amy Berg über die Missbrauchsvorwürfe von Evan Rachel Wood gegen den Rockmusiker Marilyn Manson gibt Antworten. Diese ist nur eine: "Du bist so damit beschäftigt, die jeweilige Situation einfach nur zu überleben, da bleibt kein Raum für irgendetwas anderes", sagt die einstige Schauspielerin. Als solche arbeitete sie erfolgreich, bis sie Manson kennenlernt.

Woods nähert sich ihrem Trauma als Zeugin ihres eigenen Lebens. Auf Familienfotos entdeckt sie ein fröhliches Mädchen mit Ambitionen zur Schauspielerei. Vor der Scheidung ihrer Eltern prägt der Vater sie mit dem Satz, Streit sei ein Zeichen von Liebe. Mit 16 spielt sie in "Thirteen" eine 13-Jährige, wird berühmt und auf die Rolle der abgebrühten Lolita festgelegt. Hollywood eben. Dummerweise sieht den Film auch der Enddreißiger Marilyn Manson. 2006 mit 18 gerät sie in seine Fänge. Manson wendet sofort die Strategie von Missbrauchstätern an: Übertriebene Liebesbezeugungen (Lovebombing), gezieltes Irreführen (Gaslighting), und schleichende Isolation. Nach vielen Versuchen schafft sie den Absprung, wagt aber viele Jahre nicht, den Namen ihres Unterdrückers zu nennen. 2021 nennt sie schließlich Brian Warner, alias Marilyn Manson, als den Täter. In der Doku atmet sie beim Erzählen oft tief durch, die Hände zittern.

Auch dem Zuschauer schlägt das Herz im Hals, als sie vom Videodreh zu Mansons Hitsingle Heart Shaped Glass erzählt, damals ist sie 20. Unter Absinth wird sie am Set von Manson brutal vergewaltigt, die Kamera läuft, niemand greift ein. Song und (Tat-)Video gehen als erste Singleauskopplung des Albums raus und sind ein Riesenerfolg. Medien und Musikjournalisten drucken seine Worte wie Glaubenssätze, in denen er etwa sagt, er träume jeden Tag davon, Evan Rachel Wood den Schädel mit einem Hammer einzuschlagen. Das lyrische Ich halt. Woods Anschuldigungen gehen viel weiter. Am Ende ist sie von Freunden und Familien isoliert, von Folter mit Elektroschocks ist die Rede, ebenso von wochenlanger Isolation in abgesperrten Räumen. Woods und ihre Freundin sind mittlerweile Aktivistinnen. Sie bemühen sich um ein Gesetz, das die Verjährungsfrist für häusliche Gewalt in den USA auf mindestens 10 Jahre ausdehnt. "Die meisten Frauen sind erst nach 7 bis 10 Jahren so weit, sich das Geschehene überhaupt einzugestehen, geschweige denn darüber zu reden." Gern hätte man erfahren, wie weit sie mit der Gesetzesvorlage gekommen sind. Eines der Verfahren gegen Manson wurde wegen Formfehlers eingestellt, Woods Verhandlung und die seiner anderen Opfer stehen noch aus. Diese Doku ist harte Kost. Aber sie gibt Einblick in eine komplexe Form des Missbrauchs, die vor Gericht nur schwer zu beweisen ist. Am Ende versteht man, warum das so ist. Und warum sich vieles ändern muss. Jenny Mansch

Doku USA 2022. R: Amy Berg. D: Evan Rachel Wood ua., 2 Teile, Streamingplattform: Wow

L'Immensità: Meine fantastische Mutter

Unwiderstehlich schön ist Clara alias Penelope Cruz, aber alles andere als glücklich, gefangen in einer lieblosen Ehe im Rom der 1970er Jahre, bedrängt von Männern, die nur das eine wollen. Schamlos betrügt ihr Mann sie mit seiner Sekretärin und tyrannisiert ihre drei Kinder. Ein Entkommen aus dem bürgerlichen Hausfrauen-Dasein gibt es jedoch nicht.

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Das Geld verdient schließlich der wohlhabende Mann, der den Umzug in ein schickes Hochhaus finanziert hat. Wenn wer nicht spurt, setzt es Schläge. Umso stärker begehrt die älteste Tochter Adri als androgyner Tomboy gegen das Patriarchat auf, was die Spannungen in der Familie noch verstärkt, zumal sie der Mutter am nächsten steht. Die Nachbarschaft lernt sie als Jungen kennen. Bei aller Schwermut finden sich in Crialeses intimer, sensibler Studie um Identitätssuche und Erwachsenwerden auch Momente von Unbeschwertheit, lustige Kinderstreiche, surreale Träume und Erfahrungen von erster Liebe mit einem Mädchen aus der Arbeitersiedlung, untermalt von Hits der damaligen Zeit. Großes Kino!

Kirsten Liese

I 2023. R: Emanuele Crialese, D: Penelope Cruz, Vincenzo Amato, Lucana Giuliani. 97 Min., Kinostart: 27. Juli