Ausgabe 04/2023
Miese Löhne in der Traumfabrik
Es ist ein warmer Sommernachmittag in Los Angeles, und auf dem Sunset Boulevard tummeln sich Büroangestellte und Touristen. Die 35 Kilometer lange Straße beginnt östlich von Hollywood, dem vielleicht berühmtesten Viertel der Welt, und verläuft bis an den Pazifischen Ozean, wo sich einige der teuersten Wohngegenden der USA befinden. Palmen, Villen, große Sonnenbrillen – die Klischees, die um den Sunset Boulevard entstanden, prägen weltweit nicht nur das Bild von Los Angeles, sondern maßgeblich des gesamten Landes.
Der Wohlstand, der an vielen Ecken entlang des Boulevards über Luxusautos und Prachtbauten zur Schau gestellt wird, ist vor allem der Filmindustrie zu verdanken, die hier seit Anfang des 20. Jahrhunderts beheimatet ist. Auf rund 150 Milliarden US Dollar im Jahr schätzte die Stadt Los Angeles zuletzt 2016 den Beitrag der Film- und Fernsehproduktion für die Stadt. Laut Zahlen des zuständigen Wirtschaftsbüros sind weit über eine halbe Million Menschen in und um Los Angeles von den Produktionen der zahlreichen Studios abhängig.
Unterbezahlte Autoren
Auch der Streaming-Gigant Netflix hat seine Hauptniederlassung am Sunset Boulevard. Gegenüber dem verglasten Büroturm am Highway wirbt ein großes Plakat für "Extraction 2", ein neuer Actionfilm der Produktionsfirma mit dem roten Logo. An diesem Nachmittag aber finden sich noch etliche andere Schilder auf der Straße, mit deren Aussagen die Netflix-Chefs wohl weniger zufrieden sind. "Unsere Arbeit = Eure Profite", "Überbezahlte Chefs, Unterbezahlte Autoren", und schlicht "Bezahlt Eure Autoren" steht auf den Schildern, die rund zwei Dutzend Personen in den Händen halten, während sie zwischen den Eingängen des Gebäudes hin und her laufen. Vorbeifahrende Autofahrer bekunden ihre Solidarität, indem sie laut hupen, unter jubelndem Beifall der Protestierenden.
Der Großteil der Menschen, die sich heute vor den Büros von Netflix versammelt haben, gehören zur "Writer's Guild of America", der Gewerkschaft, die seit 90 Jahren amerikanische Drehbuchautor*innen vertritt. Seit dem 2. Mai befinden sie sich im Streik. Warum, erklärt Brenden Gallagher, der an diesem Tag als "Strike Captain", als Streikaufseher, für die Gewerkschaft auftritt.
"Wir fordern nicht die Welt, wir möchten einfach auf dem Stand der Mittelklasse verdienen."
Drehbuchautor und Gewerkschafter Brenden Gallagher
"Das Einkommen für Drehbuchautor*innen ist seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent zurückgegangen", sagt Gallagher, der vor kurzem noch selbst für die inzwischen abgesetzte Netflix Produktion "Warrior Nun" geschrieben hat. Dieser Rückgang hat vor allem mit dem Streaming zu tun, sagt er. "Früher haben wir ein robustes Einkommen bekommen, eine Fernsehproduktion lief um die neun Monate für 21 Folgen." Die kürzeren Produktionszeiträume und Serienstaffeln, die beim Streaming üblich sind, habe ihre Arbeitszeit und damit auch ihre Einkommen stark reduziert. "Heute sind es vielleicht neun Folgen, und damit nur noch drei bis vier Monate Arbeit."
Dass die Gewerkschaft und ihre Mitglieder sich aber nun für den Streik entschieden haben, hängt auch mit den Tantiemen zusammen, die lange einen maßgeblichen Teil der Einnahmen ausmachten. Während beteiligte Drehbuchautor*innen früher pro Ausstrahlung bezahlt wurden und damit am Erfolg ihres Werkes beteiligt waren, gibt es für das enorm beliebte Streamingformat mit Konzernen wie Netflix keine entsprechende Einigung. "Die Studios verdienen also an unserem Produkt, ohne uns daran zu beteiligen", sagt Gallagher. "Wir glauben aber, dass uns ein Teil dieses Geldes zusteht."
Nebenbei kellnern oder für Uber fahren
Für die fast ausschließlich frei arbeitenden Autor*innen geht es in den laufenden Verhandlungen teils um die bloße Existenz. Eine durchschnittliche Einzimmerwohnung in Los Angeles kostet laut des Immobilienportals Zumper um die 2.400 Dollar. Die Stadt gehört zu den teuersten der USA. Lebensmittel, Spritkosten und Steuern bewegen sich alle weit jenseits des amerikanischen Durchschnitts. Während das Hupkonzert die Streikenden im Hintergrund anfeuert, erklärt Brenden Gallagher, dass sich viele seiner Kolleg*innen deshalb zweite oder sogar dritte Jobs zulegen.
"Wer einen Tag in LA ist, der begegnet fast garantiert einem Drehbuchautor", sagt Gallagher. "Sie kellnern in Restaurants, arbeiten in Cafés, oder fahren für Uber." Die Forderungen der Writer's Guild of America sind ihm zufolge einfach: "Für viele von uns ist das Schreiben ein Traumjob – aber wir möchten, dass es auch einer ist, von dem wir leben können." Gallagher selbst hält sich zwischen den Produktionen durch Recherchearbeit über Wasser. "Wir fordern nicht die Welt, wir möchten einfach auf dem Stand der Mittelklasse verdienen."
4,4 Milliarden US Dollar hat allein Netflix im letzten Jahr an Profiten verbucht, doch bis jetzt stellt sich der Industrieverband "Alliance of Motion Picture and Television Producers", dem auch Netflix angehört, stur und will die Tantiemen nicht neu verhandeln. Zu hoch seien die Forderungen der Drehbuchautor*innen, heißt es.
Der Streik der Writer's Guild of America wirkt sich derweil weit über die sogenannten "Writers Rooms" aus, in denen Teams von Autor*innen an den Serien und Filmen arbeiten, die in Hollywood und auf der ganzen Welt ausgestrahlt werden. Vom Catering bis zum Sicherheitspersonal sind tausende Menschen von den Produktionen abhängig, die nun vorerst durch den Arbeitsstopp pausieren müssen.
Keine zwei Kilometer von den Netflix-Büros entfernt befinden sich die "Paramount Studios", in denen schon Alfred Hitchcock drehte. Das weitläufige Gelände ist von einer hohen Mauer umgeben, das Eingangstor ist mit dem verschnörkelten Schriftzug verziert, der im Vorspann tausender Filmklassiker zu sehen ist. Auch hier wird gestreikt, die rot-weißen Schilder zeugen von der Kreativität der hier versammelten. "Ich habe meine Eltern für das hier enttäuscht?" fragt ein Plakat.
Hailey Harris ist Mitglied der "Writer's Guild of America" und eine der vielen Frauen, die sich vor dem Eingang eingefunden haben. "Wir haben Mottotage organisiert", sagt sie. An diesem Tag heißt es "Lesbians on the Line", vor allem lesbische Mitglieder der Gewerkschaft sind heute vertreten.
"Wir sind hier, weil wir am meisten zu verlieren haben", sagt Harris über sich selbst und ihre lesbischen Kolleginnen, die um sie herum auf dem Bürgersteig auf und ab gehen und ihre Schilder in die Luft halten. "Und", sagt die Drehbuchautorin, "wir sind es gewohnt, zu kämpfen."
Ersetzt durch KI
Harris erklärt, wie prekär ihre Arbeit ist. "Wir arbeiten zum Teil monatelang unbezahlt an Produktionen, die dann nicht verfilmt werden", sagt sie. Für die oftmals aufwendige Vorbereitungsarbeit und das sogenannte "Pitching", bei dem versucht wird, die daraus entstehenden Drehbücher an interessierte Studios zu verkaufen, gibt es keine Bezahlung. Diese Zeiträume müssen die Autor*innen mit dem Geld aus der letzten Produktion überbrücken, oder eben durch Nebenjobs.
Hailey Harris spricht darüber hinaus eine weitere Sorge der Gewerkschaft aus: Künstliche Intelligenz. Seit dem Durchbruch von Algorithmen wie ChatGPT, die auf Knopfdruck eigene Skripte generieren können, deuten manche Studios bereits an, die Arbeit der Autor*innen weitläufig zu automatisieren.
"Ich persönlich bin sehr verärgert, dass wir überhaupt über Künstliche Intelligenz sprechen müssen", sagt Harris. "Das amerikanische Gesetz verbietet, dass man Inhalte, die durch Algorithmen entstehen, als geistiges Eigentum sichert." Programme wie ChatGPT werden nämlich an bestehenden Serien und Filmen "trainiert", um Skripte, Geschichten oder Videos zu erstellen. "Das sind Milliarden von Gigabyte an Inhalten, die einfach geklaut sind."
Dass ihre eigene Arbeit durch einen Computer ersetzt wird, sieht Harris dabei allerdings nicht wirklich als Gefahr. "Aber ich mache mir Sorgen, dass die Studios trotzdem versuchen werden, Menschen aus dem Produktionsprozess zu entfernen, um noch größere Profite zu machen."