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Canan Yildirim, Vorsitzende der letzten zwei JahreFotos: Kay Herschelmann

Migrantische Belegschaften haben eine "schöne Streikkultur". Bei Streiks stehen sie an "vorderster Front". "Da wird gesungen und getanzt – und das mit großem Durchhaltevermögen, obwohl gerade diese Kolleginnen und Kollegen oft die größten Risiken zu tragen haben", sagt Canan Yildirim, die alte Vorsitzende des ver.di-Bundesmigrationsausschusses.

Yildirim ist im Alter von 12 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Deutsch habe sie vor allem gelernt, um für die eigene Familie zu übersetzen. Aber sie machte auch das Abitur, studierte und fand den Weg zur Gewerkschaft. "Um für mich und für andere etwas zu verändern", sagt sie.

Im April 2023 fand in Berlin die vierte ver.di-Bundesmigrationskonferenz statt. Eine Wahlperiode voller Hindernisse lag zu diesem Zeitpunkt hinter Canan Yildirim und ihren Mitstreiter*innen. Im September 2019 war gerade erst der Vorstand gewählt worden, als kurz darauf die Corona-Pandemie ausbrach. Ein Vorstandsmitglied starb im Sommer 2021, zwei traten zurück. Neuwahlen wurden zwischengeschoben und Canan Yildirim wurde im Oktober 2021 erstmals zur Vorsitzenden des Ausschusses gewählt.

Die Arbeit sei in den Corona-Jahren "sehr bewegend" gewesen, erinnert sich Yildirim. Fast jeden Monat hätten sich die Mitglieder online getroffen und Veranstaltungen zu aktuellen Themen geplant. Zur Bundesmigrationskonferenz reisten nun 44 Delegierte aus dem gesamten Bundesgebiet nach Berlin, wo sie 39 Anträge berieten und den neuen Ausschuss wählten.

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Und dann gab es doch Geschenke – Yusuf As und Ece Yildirim

Häufig in prekärer Beschäftigung

Bis heute habe sich in den Betrieben nicht viel verbessert, sagt Canan Yildirim. Migrantische Beschäftigte würden häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgebeutet. Oftmals würden Kolleginnen und Kollegen ohne Deutschkenntnisse eingestellt, die das Arbeitsrecht nicht kennen können und über ihre Rechte und Pflichten nicht belehrt würden. "Wenn sie dann einen Fehler machen, zum Beispiel zum Arzt gehen, ohne sich beim Arbeitgeber abzumelden, dann wird ihnen gleich gekündigt."

In prekären Arbeitsverhältnissen wie der Reinigung, Pflege und Logistik sei die Quote von Beschäftigten mit Migrationsgeschichte besonders hoch. Hier sieht Yildirim die größte Herausforderung für die Zukunft: "ver.di muss für diese Kolleginnen und Kollegen niedrigschwellig ansprechbar sein, am besten über eine Ansprechperson aus dem jeweiligen Kulturkreis."

Nachholbedarf bei der Gleichbehandlung

Auch über 60 Jahre nach der Anwerbung der ersten sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter brauche ver.di deshalb eine Organisationseinheit, die sich des Themas Migration annehme. Das sei die Aufgabe des Bundesmigrationsausschusses.

"Wir sind ein Einwanderungsland und ver.di ist eine Einwanderungsgewerkschaft", sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke in seiner Rede. Wie sich das Einwanderungsland Deutschland und wie sich die Einwanderungsgewerkschaft ver.di weiter entwickeln sollen, darum drehte sich der Großteil der Anträge, die an den ver.di-Bundeskongress im September 2023 weitergeleitet wurden, der dann über sie beschließen soll.

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Adem Öktem

Eines der wichtigsten Themen ist die Benachteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte. In der Arbeitswelt sei das Risiko von Diskriminierung und Ungleichbehandlung am größten. Darauf wies Ferda Ataman, die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, in ihrem Grußwort hin. Das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – AGG" von 2006 kenne kaum jemand. Deutschland habe Nachholbedarf bei der Kenntnis und Umsetzung dieses Gesetzes, lautete ihre These. Niemand wisse zum Beispiel wie viele betriebliche Beschwerdestellen es nach Paragraf 13 AGG in Deutschland gebe.

Die Konferenz beschloss deshalb, eine "wirksamere Umsetzung des AGG". Berufliche Kompetenzen von Migrant*innen aus ihrem Herkunftsland sollten anerkannt werden. Und auch das schrieben die Delegierten in die Anträge an den Bundeskongress: "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren". ver.di lehne jede Form von Ungleichbehandlung ab, weswegen etwa die Maßstäbe der Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine auch auf Geflüchtete aus anderen Ländern angewendet werden sollen. Denn: "Unsere Solidarität ist unteilbar. Es gibt keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse."

Mehr Vielfalt in ver.di

Weitere Anträge zielten zudem auf eine stärkere Repräsentanz der Migrant*innen in den ver.di-Strukturen und Gremien. Yusuf As sagte unter dem Beifall der Delegierten: "Es wurde uns auch innerhalb von ver.di nirgends etwas geschenkt."

Geschätzt 30 Prozent der ver.di-Mitglieder haben eine Migrationsgeschichte. Um sie gut zu vertreten, entwickelt der Gewerkschaftsrat, das höchste ehrenamtliche Gremium in ver.di, zurzeit gemeinsam mit dem Bundesmigrationsausschuss ein Positionspapier zum Thema "Vielfalt in ver.di". "Die Mitglieder sollen auch entsprechend ihrem Anteil in allen Gremien von ver.di vertreten sein", betont Yildirim. Viele migrantische Mitglieder würden zwar in der Basis in ver.di arbeiten, doch in höheren Positionen sehe man sie nur vereinzelt. "Noch mehr Vielfalt würde ver.di gut zu Gesicht stehen."

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Vimala Sahner, eine von 44 Delegierten

"Unsere Gremien müssen ein Spiegel der Mitgliedschaft werden. Dazu gehört, die Präsenz migrantischer Mitglieder, auch im Bundesvorstand, sicherzustellen", sagte Georgios Margaritis. "Wir wollen ver.di wirklich bunt – auch bei den Hauptamtlichen."

Und Erdogan Kaya betonte, die migrantischen Kolleg*innen in ver.di wollten sich nicht auf die Rolle von "Experten für Migrantenthemen" reduziert sehen. "Alles, was in dieser Gesellschaft vorgeht, geht uns an."

Die wichtigsten FAQs

1. Wer gehört zur Gruppe Migrant*innen in ver.di?

Mitglieder nichtdeutscher Staatsangehörigkeit; Migrant*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben; Kinder von Migrant*innen, von denen mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde; Migrant*innen, denen nach Gesetz die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt worden ist.

2. Was tut ver.di für Migrant*innen?

Grundsätzlich gibt es für Migrant*innen keine Einschränkungen bei Rechten und Leistungen aus der ver.di-Mitgliedschaft – so etwa beim Rechtsschutz. Dies gilt auch für Fälle von Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der Herkunft oder der Religion.

3. Gibt es schriftliches Infomaterial zum Download?

Faltblatt "Migrant*innen in ver.di – Für Respekt und gleiche Rechte";

Handlungshilfe zur Gründung von Migrationsausschüssen, mit Kontaktdaten in allen ver.di-Landesbezirken.

Beides unter:

4. Was tun bei Diskriminierung und rassistischem Mobbing im Betrieb?

Dann hilft die "ver.di Handlungshilfe für Aktive im Betrieb"

Aus dem Inhalt: Rechtliche Handlungsmöglichkeiten für Betriebsräte und Gewerkschaften; Zehn Regeln, um Kolleg*innen zu unterstützen, die mit Rassismus konfrontiert sind.

Zu bestellen unter

Kurzlink:

5. Welche Informationen gibt es im Internet?

Facebookauftritt des Bundes- migrationsausschusses:

6. Welche ver.di-Infos gibt es in anderen Sprachen?

Das Beitrittsformular und Informationen über ver.di gibt es in folgenden Sprachen: Arabisch, Bulgarisch, Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Serbisch, Spanisch, Tschechisch, Türkisch und Ungarisch.

Lesetipp

Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland seit der Anwerbung der Arbeitsmigrant*innen in den 50er Jahren. Politische, soziologische und ökonomische Daten und Analysen, Bilder, Statistiken.

20 Kapitel des Buches sind auch als Ausstellungstafeln ausleihbar und sehr gut geeignet für die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit und Seminare.

Nihat Öztürk: Etappen, Konflikte und Anerkennungskämpfe der Migration Verlag Die Buchmacherei, Berlin 158 Seiten, 22 € ISBN 978-3-9823317-6-8