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Preissteigerungen vom Juli 2021 zum Juli 2022. Bis zum Juli 2023 sind die Preise durchschnittlich um weitere 11 Prozent gestiegen; Quellen: Destatis u. Customer Loyalty Index 2022GRAFIK: ver.di; Fotos: Getty Images/iStockphoto (3)

41 Cent – dafür kann man eine Banane kaufen oder rund 85 Büroklammern im Versandhandel. Um 41 Cent soll der allgemeine gesetzliche Mindestlohn pro Stunde ab dem 1. Januar 2024 steigen, wenn es nach dem Willen der Mehrheit in der Mindestlohn-Kommission geht. Die Gewerkschaftsvertreter*innen in dem Gremium haben den Beschluss abgelehnt. Die 41 Cent reichen bei weitem nicht aus, um die Kaufkraft für die unterste Einkommensgruppe zu erhalten, argumentieren sie.

In einer eigenen Stellungnahme weisen die Gewerkschafter*innen zudem auf einen Taschenspielertrick der Arbeitgebervertreter*innen in der Kommission hin. Die gehen bei ihren Berechnungen nämlich nicht vom derzeit geltenden Mindestlohn in Höhe von 12 Euro pro Stunde aus. Sie haben auf Basis dessen gerechnet, was die Kommission als Letztes vorgeschlagen hatte. Und das waren 10,45 Euro. Demnach hätten die Arbeitgebervertreter*innen großzügige 1,96 Euro im kommenden Jahr aufgeschlagen. Zum 1. Januar 2025 soll zudem eine Erhöhung um weitere 41 Cent folgen. Die Vorsitzende der Kommission hatte sich dem Arbeitgeber*innen-Vorschlag angeschlossen, so dass dieser mit Mehrheit verabschiedet werden konnte.

Doch seit dem 1. Oktober 2022 beträgt der Mindestlohn bereits schon 12 Euro pro Stunde. Durchgesetzt hatte diese Steigerung Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD. Er hob damit die unterste Lohngrenze auf einen Wert an, der realistisch zum Leben ausreichen sollte. Und das ist auch kurzfristig gelungen. Allerdings haben Inflation und gestiegene Kosten insbesondere für Lebensmittel und Energie diesen Fortschritt schnell nivelliert. Kein Wunder, dass Nudeln mit Tomatensauce oder Kartoffeln mit Quark sich weiter wachsender Beliebtheit erfreuen. Trotz der auch für diese Gerichte gestiegenen Preise sind sie immer noch eine relativ günstige Möglichkeit, eine Familie satt zu bekommen.

"Das Prinzip der Mindestlohn-Kommission funktioniert nur so lange, wie das Wirken aller Mitglieder durch Verantwortungsbewusstsein und Empathie gekennzeichnet ist."
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

Die Empfehlung der Mindestlohn-Kommission bezeichnet der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke als einen "Affront für alle, die den Mindestlohn beziehen". Sie reiche nicht aus angesichts der Inflation. Er fordert deshalb einen erneuten Eingriff der Bundesregierung. Sie soll den Mindestlohn in einem eigenständigen Schritt im kommenden Jahr auf 14 Euro anheben. Für diese Summe gibt es vor allem eine Basis. Ende vergangenen Jahres hat die EU eine Mindestlohn-Richtlinie auf den Weg gebracht. "Sie schreibt einen Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Einkommens vor, das sind in Deutschland knapp 14 Euro", sagt Werneke. Die Richtlinie soll bis November 2024 in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.

Der Vorschlag der Arbeitgeberverbände gehe hingegen an der Lebensrealität der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung vorbei. Es sei jedoch Aufgabe der Bundesregierung, so der ver.di-Vorsitzende, für einen Mindestschutz zu sorgen: "Die Regierung muss das Gesetz daher so ändern, dass die Kommission eine neue Mindestvorgabe bekommt, die der EU-Richtlinie entspricht."

Höhere Anhebung wäre kein Problem

Bleibe es bei zwei Mal 41 Cent in den kommenden beiden Jahren führe das zu massiven Reallohnverlusten. Denn auch wenn sich die Inflation abschwächen sollte, ein Verlust bleibt – und würde unzählige Menschen mit ohnehin geringen Einkommen noch tiefer in die Krise stürzen.

Dass sich die Bundesregierung erneut über die Mindestlohn-Kommission hinwegsetzen würde mit einer neuerlichen eigenständigen Anhebung des Mindestlohns, sieht Werneke nicht als Problem. Der Gedanke, dass die Kommission, die mit je drei Vertreter*innen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besetzt ist, eine gemeinsame Empfehlung abgebe, sei ja an und für sich gut. "Dieses Prinzip funktioniert aber nur so lange, wie das Wirken aller Mitglieder der Mindestlohn-Kommission durch Verantwortungsbewusstsein und Empathie gekennzeichnet ist", so Werneke weiter. Das sei aber nicht der Fall.

Immerhin: Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich bereits für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro zum Beginn des kommenden Jahres ausgesprochen. Zwei Euro pro Stunde mehr reichen immerhin für mehr als eine Banane oder 85 Büroklammern. Sie sind ein Schritt in die richtige Richtung.