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Sonja Petersen, Jens Paasch und Jana Kamischke (v.li.) von der HHLAFoto: ver.di

Ohne Beteiligung der Hafen-Akteure haben der Erste Bürgermeister und zwei SPD-Senator*innen der größten Reederei der Welt, der MSC, den Weg in die mehrheitlich noch der Stadt gehörenden HHLA geebnet – die Belegschaften im Hafen laufen Sturm gegen den Geheimdeal mit Hamburgs wichtigstem Hafenunternehme.

Die Eigentümer der MSC steuern mit 760 Schiffen bereits die größte Handelsflotte der Welt und haben noch Geld übrig, weitere 120 Schiffe zu ordern. Der italienische Kapitän Gianluigi Aponte aus dem sizilianischen Sorrent hat nach der Gründung seines Familienunternehmens MSC im Jahr 1970 mit nur einem gebrauchten Schiff einen wahren Seetransportgiganten geschaffen, in nur einem halben Jahrhundert. 2022 verdrängte MSC die dänische Reederei Maersk vom langjährigen Platz 1. Nun ist sie die größte Reederei der Welt: mit den meisten Schiffen, den größten Transportkapazitäten und einem weltweiten Marktanteil am Containertransport von derzeit 19,3 Prozent. Dazu soll MSC auch noch an weltweit 70 Hafenterminals beteiligt sein. Es scheint, als gehe ein dauerhafter warmer Geldregen über dem als äußerst verschwiegen geltenden Familienunternehmen Gianluigi Apontes nieder.

Nun soll ausgerechnet diese geradezu unheimlich erfolgreiche MSC mit 49,9 Prozent der Gesellschaftsanteile der entscheidende Akteur in der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik AG, werden. Bisher gehört das Unternehmen noch mehrheitlich der Stadt und damit den Hamburgerinnen und Hamburgern. Das soll offiziell auch so bleiben, erstmal zumindest. Die Stadt wird in der neu zu gründenden Firma den Verlautbarungen nach 50,1 Prozent der Anteile halten, MSC bis zu 49,9 Prozent. Aber wie soll man sich das tatsächliche Kräfteverhältnis vorstellen, wenn bei einer Gesellschafter*innenversammlung auf der einen Seite die größte Reederei der Welt sitzt, die heute bereits jeden fünften Container weltweit verschifft – und auf der anderen die Hamburger Wirtschaftssenatorin, die die Interessen des gerade mal drittgrößten europäischen Hafens vertreten soll, der seit Jahren in der Krise steckt?

"Das kann nicht gut gehen, nicht für unsere Beschäftigten und auch nicht für Hamburg", sind sich die HHLA-Betriebsrätinnen Jana Kamischke und Sonja Petersen sicher. Seit der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher, Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard und Finanzsenator Andreas Dressel (alle SPD) den von ihnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelten Deal einer verdutzten Schar von Journalist*innen bekannt gaben und die Nachricht sich wie Blitz und Donner im Hafen verbreitete, herrscht Kampfstimmung bei Beschäftigten und Betriebsräten der HHLA. Sie eilen von einer Krisensitzung zur anderen, organisieren zusammen mit ver.di Demos und überlegen, wie sie den Deal wieder vom Tisch bekommen. "Wenn MSC sich so wie vorgesehen an der HHLA als größtem Umschlagsbetrieb des Hafens beteiligt, dann bestimmen die über den gesamten Hamburger Hafen. Das kann doch keiner wollen", sagt Jana Kamischke, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der HHLA.

Wer über den Hamburger Hafen bestimmt, kann auch die Entlohnung der Beschäftigten beeinflussen. Noch ist der von ver.di ausgehandelte Hamburger Hafentarif eine der sehr seltenen Möglichkeiten auch für die, die nicht in den Genuss eines Studiums gekommen sind, sehr gutes Geld zu machen. Wer tagsüber und nicht am Wochenende arbeitet, verdient etwa 50.000 Euro brutto im Jahr. Wer allerdings vor allem nachts arbeitet und auch am Wochenende und an Feiertagen auf Familie und Freunde verzichtet, kann es durchaus auf das Doppelte bringen. "Bei denen ist allerdings auch die Scheidungsrate ziemlich hoch", sagt Verena Witt im Betriebsratsbüro des Gesamthafenbetriebes Hamburg (GHB) auf der Veddel.

Spitzen abfangen

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Sebastian Kalkowski, Verena Witt und Stefan Schöning (v.li.) vom GHBFoto: ver.di

Die freigestellte Betriebsrätin ist eine von nur etwa einem Dutzend Frauen im Hamburger Hafen, die die Qualifikation haben zu laschen, also die Container an Deck zu befestigen. Es ist ein Knochenjob, Stahlcontainer zu befestigen, zu jeder Tageszeit, bei jedem Wetter. Wie ihre beiden Betriebsratskollegen Sebastian Kalkowski und Stefan Schöning hat sie zunächst als sogenannte Unständige beim GHB angefangen, als Tagelöhnerin, die morgens in der Personalabteilung anruft, um nach Arbeit zu fragen, und sich selbst zusätzlich krankenversichern muss. Der Gesamthafenbetrieb fungiert als Personaldienstleister, der seine gut tausend Beschäftigten an alle Hamburger Hafenunternehmen und Logistiker verleiht und damit die Arbeitsspitzen im Hamburger Hafen abfängt – vor allem die bei der HHLA.

Dementsprechend sind auch die drei GHB-Betriebsrät*innen über den MSC-Deal beunruhigt. "Wer als Privatunternehmen so viel Macht im Hamburger Hafen bekommt, kann die Preise bestimmen. Das geht immer zu Lasten der Beschäftigten", denkt Stefan Schöning. "MSC könnte durchsetzen, dass die HHLA eine unternehmenseigene Personaldienstleistungsfirma gründet", befürchtet Sebastian Kalkowski. Das könnte gar das Geschäftsmodell des GHB ruinieren.

Dabei sind die Zeiten eh schon rau zwischen Kattwykbrücke und Finkenwerder. Trotz Elbvertiefung hat der Hamburger Hafen in den letzten zehn Jahren etwa eine Million Container Jahresumschlag eingebüßt und damit gegenüber seinen beiden stärksten Konkurrenten deutlich Ladung verloren. Denn Rotterdam und Antwerpen haben im gleichen Zeitraum gut fünf Millionen Container dazu gewonnen. Keiner der vergangenen Hamburger Senate hat diesen Trend ändern können. Nun verkauft der rot-grüne Senat den Hafen Stück für Stück: erst 24,9 Prozent des HHLA-Terminals Tollerort an die chinesische Reederei Cosco – und jetzt soll MSC de facto die Hälfte jener Firma bekommen, die vor 143 Jahren gegründet wurde, um die Hamburger Speicherstadt zu bauen.

Im Gegenzug hat MSC dem Senat versprochen, bis 2031 eine Million Container zusätzliche Ladung für die HHLA zu bringen und die seit vielen Jahrzehnten gelebte Mitbestimmung der Belegschaft durch ihre Betriebsräte weiterhin zu gewährleisten. Doch was ist das Versprechen von Gianluigi Aponte und seiner Familie wirklich wert, wenn sie ausgerechnet die Rechtsform einer europäischen Gesellschaft (SE) für die gemeinsame neue HHLA-Muttergesellschaft wählen? In einer deutschen Rechtsform ist die unternehmerische Mitbestimmung der Belegschaft nach deutschem Recht gesetzlich gesichert – in einer europäischen Societas Europaea gibt es rechtliche Interpretationsmöglichkeiten.

Im Hafen stehen die Zeichen auf Sturm. Noch ist nicht aller Tage Abend. 2005 konnten die HHLA-Beschäftigten und der Druck der Öffentlichkeit verhindern, dass der damalige CDU-geführte Senat die HHLA an die Bahn oder zumindest zu 49,9 Prozent an Investoren verkaufte. Schlussendlich verkaufte die Stadt nur 30 Prozent der Aktien. "Wir sind immer noch zu 90 Prozent gewerkschaftlich organisiert und wissen uns zu wehren", sagt Jana Kamischke. "Dazu brauchen wir aber die Unterstützung der Hamburger*innen und Hamburger, die uns gegen die Pläne des Senats unterstützen. Jetzt geht es um die Zukunft des Hamburger Hafens."