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Foto: Wild Bunch

The Old Oak

Durham hat Depression. Die kleine ehemalige Bergarbeiterstadt im englischen Nordosten hat seit der Schließung der Kohleminen Ende der 1980er kein Licht mehr gesehen. Der Ort ist von Arbeits-und Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Ähnlich fühlt sich TJ. Der stille Mittfünfziger verzweifelt daran, den einzigen Ort im Dorf am Leben zu erhalten, an dem noch ein Gemeinschaftsleben stattfindet: den Pub "Zur alten Eiche". Bis auf ihn hat er alles verloren. Frau und Sohn haben ihn verlassen, er hat es gründlich vermasselt. Einziger Lichtblick für den Gemütsmensch TJ ist sein Hund Marra, der ihm in seiner dunkelsten Stunde zugelaufen war.

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2016, kurz vor dem Brexit-Referendum, sind viele Läden im Ort geschlossen, die kleinen Reihenhäuser werden im Internet verscherbelt, an ehemalige Strafgefangene oder an syrische Geflüchtete. Gerade ist ohne Ankündigung ein Bus mit syrischen Familien im Kiez angekommen. Die Nachbarschaft reagiert gereizt, jetzt solle man mit den Fremden teilen, wo man selbst kaum den Kopf über Wasser hält? Einer der Pubgäste wird handgreiflich; es ist nicht von ungefähr der unbeliebte Sohn eines einstigen Minen-Streikbrechers. Während TJ und eine Freundin sich bei der Gewerkschaft um Hilfe für die Flüchtlinge bemühen, wenden sich Freunde ab – die Anwesenheit der syrischen Frauen und Kinder wird zur Zerreißprobe, auch, weil sich TJ mit der jungen Yara anfreundet. Er spürt, wie der Verlust von allem sie miteinander verbindet.

Nach I, Daniel Blake und Sorry we missed you ist dies Ken Loachs dritter Film, mit dem er den Entwurzelten im Norden seines Landes nachspürt, den Verlierern von Globalisierung und Raubtierkapitalismus. The Old Oak soll auch sein letzter Film sein, und sollte der 87-jährige Chronist sozialer Ungleichheit diese Drohung wahrmachen, verabschiedet er sich hier mit einem emotional beeindruckenden Statement für Solidarität, für Stärke und Widerstand.

Diese drei zentralen Begriffe zelebriert dieser Film, der so reich an packenden und bewegenden Szenen ist und seine Geschichte dennoch in aller Ruhe und Fürsorge für die Akteure erzählt. Hier setzen sich Menschen wieder an einen Tisch und sprechen ganz anders miteinander als am Stammtisch oder im Internet: ruhig, besonnen, aufrichtig. Mühsam erlangen sie wieder Kontakt zu ihren Gefühlen und rücken gerade dadurch zusammen. "Wir kämpfen nicht mehr gegen die da oben, wir treten nach unten, nach denen, die noch schwächer sind", beklagt TJ bei einem dieser Gespräche. Am Ende, so Loachs Botschaft, müssen all die zusammenhalten, die wissen, was Verlust bedeutet. Egal woher sie stammen. The Old Oak ist ein wunderbarer Abschiedsfilm, der Frieden ins Herz trägt. Jenny Mansch

UK 2023. R: KEN LOACH. D: DAVE TURNER, EBLA MARI, CLAIRE RODGERSON , U.A., L: 114 MIN., KINOSTART: 23.11.2023

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Krähen

Von wegen Raben seien Unheilbringer, wie Mythen es ihnen nachsagen: Martin Schilt, der für seine Studien rund um den Globus gereist ist, zeigt sie uns vielmehr als faszinierende, dem Menschen erstaunlich verwandte, hochintelligente Wesen. Ihr Elefantengedächtnis ermöglicht es ihnen, sich Gesichter von Personen einzuprägen, die sie einmal bedroht haben. In Neukaledonien, einer Inselgruppe im Südpazifik, stellen die wundersamen Vögel Werkzeuge her, wie im Tierreich sonst nur die Primaten: Mit Stöckchen, die sie als Angeln präparieren, fischen sie Larven aus Löchern von Ästen. In Kanada schlägt eine Gruppe von Krähen gar einen Wolf in die Flucht, um ihm seine Beute abzuluchsen. Statt Bewunderung schlägt den gewieften Überlebenskünstlern vielerorts jedoch Ablehnung entgegen, etwa in Tokio, wo die Japaner sie als Plage bekämpfen. Dabei entlarvt die spannende, wissenschaftlich fundierte Doku den Menschen als größten Störenfried der Natur. Schließlich hat er all den Müll auf riesigen Halden produziert, über denen die Krähen kreisen. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum sich viele vor der anpassungsfähigen Spezies fürchten: Weil sie überlebensfähiger sein könnte als unsere eigene. Kirsten Liese

D 2023. R: Martin Schilt. Mit: Alexander Busch, Bernd Heinrich u.a., Erz: Elke Heidenreich, 90 Min., Start: 16.11.2023

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Reif für die Insel

Diese französische Komödie weht durch unsere November-Tristesse wie eine frische Sommerbrise. Die etwas dröge Blandine kommt über die Scheidung von ihrem Ehemann nicht hinweg. Sie krallt sich an Konvention und ihr geordnetes Leben als MTA der Radiologie. Das treibt ihren besorgten Sohn um, als er zufällig über ihre alte Freundin Magalie stolpert. Heimlich arrangiert er ein Treffen der beiden. Die quirlige Magalie ist das genaue Gegenteil von Blandine. Lebenshungrig lacht und kreischt die fröhliche Energiebombe vor Freude über das Wiedersehen, das wird der lädierten Blandine aber bald schon zuviel. Also fädelt der Sohn einen gemeinsamen Urlaub der beiden auf einer Insel der griechischen Kykladen an. Zögerlich nur willigt Blandine ein und findet sich alsbald in ein rechtes Chaos verwickelt, das ihre Toleranz an die Grenze treibt. Regisseur Fitoussi inszeniert hier eine Reise mit Hindernissen, die erst aus dem Weg geräumt werden wollen, um eine wirkliche Versöhnung der Besties zu ermöglichen. Denn dass auch Magalie ihr Päckchen zu tragen hat, stellt sich bei der Begegnung mit Bijou heraus, einer Aussteigerin. Erst als jede von ihnen aus ihrer Komfortzone tritt und den anderen die Blessuren zeigt, die ihnen das Leben schlug, ist nicht nur Heilung in Sicht, sondern dauerhafte, tiefe Freundschaft. Jenny Mansch

F 2023. R: Marc Fitoussi. D: Olivia Côte, Laure Calamy, Kristin Scott Thomas. 110 Min., start 30.11.23

Foto: Promo; Verleih