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Fotos: Damir Šagolj, Trine Sondergaard/Courtesy Martin Asbaek Gallery, Christian Retschlag/Sprengel Museum

Selma Selman

Wenn Selma Selman die Axt anlegt oder sich Boxhandschuhe überstreift, dann wird es zunächst laut und anstrengend. Mit der Axt zerlegt sie Autos und schlägt den Rohstoff Platin aus ihnen heraus. Im Kampf mit sich selbst treibt sich die bosnische Künstlerin mit – wie sie betont – Rom*nja-­Hintergrund zur Selbstvertei­digung an. Auch in ihrer neuen Per­formance „Motherboards“ geht es darum, in einem Kraftakt Gold aus Altmetallen zu extrahieren. In ihren Arbeiten kreist Selman immer um ihre kulturelle Identität, bricht mit den Bildern, die über Romni verbreitet werden. Sie nutzt den Lieferwagen des Vaters, um mit Metallstaub und Dreck auf dem Fahrzeugboden Gemälde zu schaffen. Die wirtschaftliche Überlebensstrategie der Familie, die Verwertung von Schrott, übersetzt sie in Kunst, um Klischees gegen den Strich zu bügeln. Die Berliner Zeitung kündigte ihre Ausstellung mit „Die gefährlichste Frau der Welt kommt nach Berlin“ an, um damit einmal mehr nur ein Klischee über Romni zu bedienen. Tatsächlich muss niemand vor Selman Angst ­haben, vielmehr schlägt sie Brücken zur Verständigung – und muss dafür auch mal laut sein. Petra Welzel

GROPIUS BAU, NIEDERKIRCHNERSTR. 7, d10963 BERLIN, MO/MI/DO/FR 11–19, SA/SO 10–19 UHR, BIS 14.1.2024

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Christian Retschlag. Hannover – Mont Ventoux

Christian Retschlag ist bekannt für einen ganz besonderen Blick auf die Welt. Er entdeckt sie im vermeintlich Banalen, in einem Vorgarten, in einem Flugzeug, dass ein Hausdach abzurasieren scheint, in einer Flussbiegung oder in einem Luftballonverkäufer. Mit einem Reise­stipendium des Sprengel Museums und der Sparkasse Niedersachsen hat sich der in Hannover lebende Künstler mit Fahrrad und Kamera auf den Weg zum Mont Ventoux in die französische Provence gemacht. Angehalten hat er an Schauplätzen des Deutsch-Französischen Kriegs, der Tour de France und auch an Stationen der Geschichte der Fotografie. Und auch in seinen mit­gebrachten Arbeiten gilt wieder, im ­Einfachen und Kleinen das Große zu entdecken: in den verschiedenen Frühstückmessern seiner Reise, in einer Flasche Orangina in Schwarz-Weiß, in Tieren und Pflanzen am Wegesrand. Oder im „Mistralfänger“, einem Mann, der ihm mit selbstgebastelter Windhose die Richtung für den fürs Rhônetal typischen Wind anzeigt. Eine Ausstellung wie ein Roadmovie in David-Lynch-­Manier. Petra Welzel

SPRENGEL MUSEUM, KURT-SCHWITTERS-PLATZ, 30169 HANNOVER, DI 10–20 UHR, MI–SO 10–18 UHR, BIS 3.3.2024

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Review Ostsee-Biennale. Der demokratische Raum

Drei Jahre lang war die Kunsthalle Rostock wegen Umbau geschlossen, jetzt hat sie wieder geöffnet und erinnert mit der ersten Ausstellung an ­eine alte Tradition des Museums: Sie greift die fast 60-jährige Geschichte der Ostsee-Biennalen auf, den Kulturaustausch im Ostseeraum, den es über Grenzen hinweg über Jahrzehnte gegeben hat. 1965 fand die erste „Biennale der Ostseeländer“ im heutigen Schifffahrtsmuseum Rostock statt. Damals wurden Werke von Künstler*innen aus beiden deutschen Staaten, sowie aus Finnland, Polen, Dänemark, Schweden, der Sowjetunion zudem Norwegen und Island gezeigt. Und auch jetzt sind ­wieder Künstler*innen aus den Anrainer­ländern in einer Ausstellung vereint. Darunter der litauische Künstler Kestutis Svirnelis mit seiner Arbeit „Naturhumanismus“, einem verkehrt herum aufgehängten Pelzmantel. Die Installation „Der erste Eindruck ist der wichtigste“ der in Polen lebenden Ukrainerin Marta Romankiv konzentriert sich wie viele ihrer Arbeiten auf soziale Ausgrenzung, Nationalität und damit verbundenen sozialen Ungleichheiten. Der demokra-tische Raum – hier wird er genutzt. Petra Welzel

KUNSTHALLE, HAMBURGER STR. 40, 18069 ROSTOCK, DI–SO 11–18 UHR, BIS 18.2.2024