Ausgabe 02/2024
Die tägliche Schufterei
Union: Die besten aller Tage
Die Anspannung ist mit Händen zu greifen. Es ist der 26. Mai 2023, der letzte Spieltag der Bundesliga. Nur drei Jahre ist es her, als dem ostdeutschen Fußballclub 1. FC Union die Sensation gelang – der Aufstieg in die erste Bundesliga. Nun wälzen sich Reihen von Fans ihrem Stadion „An der alten Försterei“ in Berlin-Köpenick entgegen. Presse-und Stadionsprecher Christian Arbeit läuft über das Gelände, um den Kolleginnen am Einlass letzte Infos für das Spiel gegen Bremen zu geben. Fans rufen ihm halblaut „Eisern!“ zu und „Eisern!“ gibt er zurück. Es geht um alles an diesem Tag. Um den Einzug in die Champions League.
Die ostdeutsche Regisseurin Annekatrin Hendel (Familie Brasch) hat einen Dokumentarfilm über den atemlosen Aufstieg der Underdogs gedreht. Nicht erklären will sie das Phänomen Union, sondern erleben. Und richtet ihren Fokus deshalb auf die Gewerke, die an diesem Erfolg beteiligt sind, auf die tägliche Schufterei hinter den Kulissen.
Starke Säulen des Teams sind drei Frauen. Katharina Brendel macht Marketing und Kommunikation, kümmert sich aber um alles, was gerade ansteht. Genau wie Stefanie Vogel von Presse und Social Media oder Teamleiterin Susanne Kopplin. Stille Beobachtungen erzählen vom Umgang untereinander. Wenn etwa Kopplin, die null Ahnung vom Fußball hat, aber mit Liebe die Trikots richtet und dabei über das Glück spricht, das sie bei ihrer Tätigkeit für den Verein und für die Fans verspürt.
Der Film zeigt den Weg des Clubs vom Aufstieg in die Europa League, dann bis zum entscheidenden Spiel gegen Bremen, das sie in die Champions League bringen wird. Reale Spielszenen werden durch den Fan-Podcast „Taktik & Suff“ kommentiert. Im Büro wird Vereinspolitik diskutiert: flache Hierarchien, kurze Wege, Zusammenhalt; aber auch Belastungsproben durch Spielerwechsel und Wettbewerbsdruck. Präsident Zingler sagt: „Ich nehme gern das Wort Solidarität in den Mund“, wenn er seine Leute auf das Hantieren mit Millionensummen einschwört.
Regisseurin Hendel zeigt Teamgeist, Zusammenhalt und die Kraft der Fans des 1. FC Union als eine Erfolgsgeschichte, die dem Club niemand mehr nehmen kann. Ob mit oder ohne Champions League. Jenny Mansch
D 2024. R und B: Annekatrin Hendel. Mit Dirk Zingler, Stefanie Vogel, Christan Arbeit, Katharina Brendel, Christopher Trimmel, Susanne Kopplin. L: 119 Min., Kinostart 4.4.2024
Sterben
Zur Beerdigung des Vaters kommt Tom zu spät, aber dieses Malheur erscheint noch harmlos. Die harten Brocken folgen wenig später am Küchentisch. Da gesteht Corinna Harfouch ihrem Film-Sohn Lars Eidinger, dass er ihr von Geburt an stets eine Last war, als Baby hat sie ihn beinahe getötet. Er pariert die brutalen Worte mit Eiseskälte. Aus seiner Abneigung ihr gegenüber macht auch er keinen Hehl, der bevorstehende Tod der Mutter ist ihm egal. Das makabre Duell ist schon ein Film für sich, einer der abgründigsten, die das jüngere deutsche Kino hervorgebracht hat. Grotesker Klamauk kommt allerdings mit Toms Schwester, einer Alkoholikerin, und einem skurrilen Zahnarzt ins Spiel. Seinen hohen künstlerischen Anspruch verdankt Glasners Werk deshalb weniger dem auf der Berlinale prämierten Drehbuch als den trefflichen Schauspielern und einer konzertsaaltauglichen grandiosen Komposition. Spannend ist, in den von Tom geleiteten Orchesterproben mitzuerleben, wie diese Musik entsteht. Vor allem in dem elegischen Cello-Solo vermittelt sich das Sterben sehr berührend. Kirsten Liese
D 2024 R: Matthias Glasner. D: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld. L: 180 Min., Kinostart 25.4.24
20 Tage in Mariupol
Als das Reporterteam um Mstyslav Chernov in Mariupol eintrifft, sind es nur Stunden vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Ihr Auto bewegt sich durch die regnerischen Straßen der Hafenstadt am Asowschen Meer. Chernov kommentiert aus dem Off: „Der Krieg beginnt nicht mit Lärm, er beginnt mit Stille: Strom fällt aus. Internet fällt aus. Die Russen kommen.“ Die Bilder dokumentieren die Folgen dieser schaurigen Dramaturgie. Auf einem Hügel brennt eine ukrainische Flak aus; diese Kanonen werden als erstes von den Russen zerbombt, der Luftraum eingenommen. In den Straßen läuft dem Reporterteam eine traumatisierte Frau vor die Kamera, ihr Entsetzen über das Geschehen weint sie heraus: „Was wollen die?! Die bringen uns alle um!“ Der inzwischen mit dem Oskar ausgezeichnete Dokumentarfilm über die völlige Zerstörung und Einnahme von Mariupol durch russische Streitkräfte schont niemanden. Sie zeigt Putins Kriegsverbrechen, von Anfang an gezielt die Zivilbevölkerung auszulöschen, das ganze blutige Grauen und das Sterben einer Stadt. Wenige Aufnahmen – etwa die der schwangeren Frau vor der ausgebombten Geburtsklinik – kennt man aus Nachrichtensendungen. Chernovs Reporterteam ist das letzte vor Ort; am Ende helfen ihnen ukrainische Spezialkräfte in letzter Minute bei der Flucht. Jenny Mansch
Dokumentation, L: 135 Min., ARD-Mediathek bis 12.4.24