Ausgabe 02/2024
Empörungstheater
Die gute Nachricht zuerst: Niemand hat die Absicht, das Streikrecht abzuschaffen. Darüber sind sich alle Stimmungsmacher einig: Das Streikrecht ist ein hohes Gut. Es wird sogar sehr hoch gesetzt und nicht in Reichweite von kampflustigen Beschäftigten aufbewahrt. Dieses Recht ist ein bisschen wie das von Oma geerbte Porzellanservice, steht im Glasschrank zur Schau, ist aber zu wertvoll, um gebraucht zu werden. Wobei: Nach anderen Darstellungen sind Streiks eher mit Atombomben vergleichbar. Sie dienen allein der Abschreckung. Man droht zwar damit, denkt aber nicht daran, die Drohung wahr zu machen, es sei denn „als letztes Mittel“ und dann mit der Angst, sich angreifbar zu machen und einen furchtbaren Gegenschlag zu riskieren. Also nein, nicht nach Abschaffung ruft der Chor der Empörten, sondern nach „Anpassung“ bzw. „Modernisierung“ – was erfahrungsgemäß fast noch bedrohlicher klingt. Wie das gehen soll, ist rätselhaft. Schließlich werden Streiks in Deutschland bereits so restriktiv gegängelt wie in kaum einem anderen Land, Diktaturen einmal ausgenommen. Trotzdem hätten es zwei extremistische Gewerkschaftschefs geschafft, das ganze Land zu blockieren (wohlgemerkt: nicht die Belegschaften, offenbar sind die Köpfe der empörten Stimmungsmacher heute noch vom Führerprinzip besessen). Und das für unerhört radikale Forderungen wie die 35-Stundenwoche. Wenn wenigstens in der Nacht gestreikt würde, wenn alle schlafen! Aber nein, die Unruhestifter machen von ihrem Recht auf eine Weise Gebrauch, dass die Öffentlichkeit es auch spürt und damit Druck auf die Vorstände ausgeübt wird. Das nennt sich nicht mehr Streik, sondern, ja, Terrorismus! In Der Spiegel wird ein Berater der Polizei gefragt: „Sie haben für das BKA und Interpol schon mit Geiselnehmern und Erpressern verhandelt. Was raten Sie der Deutschen Bahn?“ Doch natürlich werden Gewerkschaftszentralen von keiner Antiterroreinheit gestürmt. Bald werden alle wieder am Verhandlungstisch sitzen und die Züge nicht mehr wegen Streiks, sondern wie gehabt aufgrund einer Signalstörung ausfallen. Aber darum geht es nicht. Sondern um Stimmungsmache. Der Ofen wird heiß gemacht, in dem die AfD ihre Brötchen backen wird.