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Elternvertreterin Mascha Krüger steht solidarisch hinter Erzieherin Anne LembckeRenate Koßmann

Tausende Erzieherinnen und Erzieher der Berliner Kita-Eigenbetriebe stehen seit Anfang Juni – unterstützt von Eltern – immer wieder vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Mit Kundgebungen, Demon­strationen und Menschenketten um das Rote Rathaus wollen sie sich politisches Gehör verschaffen. Denn das Land Berlin weigert sich, mit ihnen über einen Tarifvertrag zu verhandeln.

Am 18. April hatte die zuständige ver.di-Tarifkommission die Forderungen für den Tarifvertrag „Pädagogische Qualität und Entlastung“ in den insgesamt fünf Kita-Eigenbetrieben beschlossen und ­einen Tag später dem Arbeitgeber, dem Land Berlin, übergeben. Zur Sicherung einer guten pädagogischen Arbeit fordert ver.di die Festlegung einer Mindestpersonalausstattung und damit auch die Verbesserung der „Fachkraft-Kind-­Relation“, darüber hinaus Regelungen zum Belastungsausgleich und mehr Zeit für die Ausbildung, um dem Fachkräftemangel und der hohen Fluktuation entgegenzuwirken.

Die Warnstreiks zeigen mittlerweile erste Bewegung beim Senat, zumindest hat Bürgermeister Kai Wegner eine Gesprächsanfrage von ver.di für Ende August zugesagt. Von Tarif­verhandlungen ist aber weiter keine ­Rede. Bis endlich verhandelt wird, werden Kita-Beschäftigte weiter streiken. Denn so kann es nicht weitergehen. Warum sagen Beschäftigte und Eltern selbst.

Anne Lembcke – päda­gogische Fachkraft im Kita-Eigenbetrieb Nordost

„In den Kitas ist die Kluft zwischen dem was soll und dem was ist fast unüberwindbar geworden. Da sind einerseits die Ansprüche, die die Kinder und die ­Eltern, die Gesellschaft und die Politik, aber auch wir selbst an unsere Arbeit ­haben. Andererseits sind aber zu wenig Fachkräfte in den Kitas, um diese Ansprüche durchzusetzen.

Als Mitglied im örtlichen Personalrat ­sehe ich, wie viele Fachkräfte uns ver­lassen. Der Fachkräftemangel verschärft sich, aber wenn man darauf aufmerksam macht, hört man häufig: Was ist denn das Problem? Laut den Zahlen auf dem Papier stimmt es doch. Aber was nützt es, wenn man auf dem Papier gut besetzt ist, dann aber trotzdem allein in der Gruppe steht? Wenn man auf die ­Bedürfnisse der Kinder nicht mehr ein­gehen kann?

„Wir können den Kindern kein zuverlässiger Partner mehr sein.“

Ich weiß nicht wie oft mir gesagt wurde: Lassen Sie alles weg, schauen Sie, dass Sie über den Tag kommen. Ich will aber nicht nur über den Tag kommen! Ich will den Kindern einen Tag voller Lern-, Spaß- und Spielerlebnissen bieten.

Kinder haben ein gesetzliches Anrecht auf Förderung in einer Kita. Aber von den drei Säulen der Förderung – Bilden, Betreuen und Erziehen – bleibt häufig nur noch das Betreuen, also das Aufbewahren der Kinder. Kitas sind aber keine Aufbewahrungs- sondern Bildungs­stätten.

Es kann doch nicht sein, dass die ersten wichtigen Lebensjahre der Kinder ­größtenteils geprägt sind von Lärm, Abwarten, Zurückstecken, Unsicherheiten, Gruppenaufteilungen und wechselnden Bezugspersonen. Sie müssten geprägt sein von Sicherheit, Verlässlichkeit,

Geborgenheit und Menschen, die ihnen zugewandt sind, die erkennen, was sie brauchen und danach handeln. Das können wir aber nicht. Was nehmen Kinder mit solchen Erfahrungen mit in ihr zukünftiges Leben?

Dann die gestiegenen Anforderungen: Es kommen immer mehr Kinder in die Einrichtungen, die der deutschen ­Sprache nicht mächtig sind. Es kommen ­immer mehr Kinder mit erhöhtem und stark erhöhtem Förderbedarf. Dem ­können wir nicht gerecht werden.

Mittlerweile kann selbst die Betreuung der Kinder nicht immer gewährleistet werden. Verkürzte Öffnungszeiten, Gruppenaufteilungen, Gruppenschließungen und Kitaschließungen sind der Alltag geworden. Wir können Eltern kein zuverlässiger Partner mehr sein, wir können den Kindern kein verlässlicher Partner mehr sein.

Aktuell wird das Berliner Bildungs­programm überarbeitet – das heißt Bildungs-, nicht Aufbewahrungsprogramm. Wenn der Politik das also zumindest auf dem Papier bewusst ist, warum erleben wir in den Kitas keine massiven Verbesserungen der Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, diesen Ansprüchen gerecht zu werden? Die Abwärtsspirale aus schlechten Bedingungen durch Fachkräftemangel und immer weniger ­Menschen, die in diesem Beruf arbeiten ­wollen, lässt sich nur aufhalten, wenn man sie ins Gegenteil verkehrt.

Dieses Problem ist leider nicht nur in ­einigen wenigen Kitas zu finden. Es ist ein Flächenbrand. Deshalb haben wir uns jetzt in ver.di zusammengeschlossen, um etwas zu ändern.“

Mascha Krüger, Gesamt­elternvertreterin Kindergärten Nordost

„Vor anderthalb Jahren habe ich mich entschlossen, eine Elterninitiative zu gründen, weil bei uns Eltern die Belastungsgrenze mehrfach überschritten war. Die Corona-Pandemie war für uns alle eine physisch und psychisch enorme Belastung. Zusätzlich zu Lockdown und ­Kontaktbeschränkungen wurden relativ schnell alle Bildungseinrichtungen geschlossen. Von jetzt auf heute mussten wir Eltern pädagogische Arbeit über­nehmen – neben unserer eigenen. Homeschooling für die schulpflichtigen Kinder, Betreuung und Bildung für die Kindergartenkinder. Unsere Belastung war drei bis viermal so hoch wie vor Corona.

Vier Jahre nach Beginn der Pandemie ist unsere Belastung immer noch so hoch. Eine Planung ist für uns Eltern nicht möglich. Wir schauen täglich in unsere WhatsApps, E-Mails, Telegram-Kanäle, und hoffen inständig, dass die Kita aufhat, dass mein Kind hingehen kann – und das hoffentlich für länger als zwei Stunden. Mein Sohn war im Dezember ganze vier Tage in der Kita. Die Kita ist kein zuverlässiger Partner mehr.

Sie ist nur noch fokussiert darauf, aufzuhaben – egal mit welchen Betreuungsschlüsseln, ob mit Hilfe von uns Eltern oder Zeitarbeitskräften, Hauptsache auf. Da ist natürlich keine Kapazität mehr für pädagogische Arbeit. Wie denn auch? Und wir reden nicht von frühmusika­lischer Erziehung, von individueller Begleitung oder von Unterstützung bei der Entwicklung motorischer Fähigkeiten. Davon träumen wir nicht mal mehr. Dabei ist frühkindliche Bildung essenziell – der Grundstein für die Zukunft.

„Wir Eltern müssen diese Initiative unterstützen!“

Das Thema Bildung gehört in die Politik, und zwar an die oberste Stelle der Agenda. Und wenn dafür gestreikt werden muss, dann ist das so. Ob die Kita wegen Krankheit oder Streiks zu hat, macht keinen Unterschied.

Als Eltern, die sich mit den pädagogischen Fachkräften solidarisch erklären, möchten wir sagen: Die Streiks der Fachkräfte sind das letzte Mittel, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Wir sollten sie nicht als Störung betrachten, sondern als dringenden Appell, endlich zu handeln. Wir Eltern müssen diese Initiative unter­stützen! Ich hoffe, dass wir gemeinsam Hand in Hand den Weg gehen und noch mehr Eltern abholen können.“

neu auf ver.di TV

SOS Kita: Die Hütte brennt

Fast die Hälfte der pädagogischen Fachkräfte der Berliner Eigenbetriebe hat sich zuletzt am Ausstand beteiligt. Bewegende Bilder von ihrem Protest.

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