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Weiterbildung holt viele Menschen ins System zurückFoto: Susane Walstrom/Deepol/plainpicture

Manche haben eine Scheidung nicht ­verkraftet oder wurden vom Tod ihres Kindes komplett aus der Bahn geworfen, andere haben körperliche Beeinträchtigungen, leiden unter psychischen Problemen, nehmen Drogen, oder, oder, oder: Als Jobcoach kümmert sich Frank Jandera um Menschen, die schon lange arbeitslos sind. „Viele sind abgestürzt und versuchen, jetzt langsam wieder Fuß zu fassen“, berichtet der Betriebsrat der gemeinnützigen Gesellschaft für berufliche Kompetenzentwicklung, kurz KOM, in Hamburg. „Wir helfen dabei, sie auf den Weg zu bringen.“ Bezahlt wird das Angebot vom Jobcenter. Andere Projekte unterstützen benachteiligte Jugendliche, den Schulabschluss nachzuholen und eine Ausbildung zu beginnen. Oder sorgen dafür, dass geflüchtete Menschen arbeiten können. Das Problem: „Wir finden kaum noch Leute, die diese anspruchsvolle Arbeit machen wollen.“ Allerdings stellt Jandera klar, dass es nicht an Fachkräften fehlt. „Sondern es liegt einzig und allein an der Bezahlung.“

„Wir haben nur den Branchenmindestlohn anzubieten, sonst nichts“, sagt der Betriebsrat. „Das ist ein Drama.“ Der Mindestlohn für pädagogisches Personal in der beruflichen Weiterbildung habe eine wichtige „Grenze nach unten“ festgelegt. Allerdings habe sich diese Haltelinie – bis auf wenige Ausnahmen – in der Branche als Standard durchgesetzt, so Jandera. Jetzt ist die Hoffnung groß, dass sich endlich etwas ändert. Die Bundesregierung hat im Koalitions­vertrag ein Bundestariftreuegesetz angekündigt: Damit dürften in Zukunft öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die ihre Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlen.

Wenn dieses Gesetz tatsächlich kommt und auch für die Bundesagentur für Arbeit gilt, „würde es eine Trendwende bedeuten“, ist Frank Jandera überzeugt. Die Zeichen stehen gut, dass im nächsten Schritt ein Branchentarifvertrag für die berufliche Wei­ter­­bildung abgeschlossen wird. „Und das würde unter anderem bedeuten: höhere Löhne.“

„Das ist unsere Chance“

Auch Friederike Bamberg vom Werkhof Projekt in Dortmund im Ruhrgebiet hofft sehr, dass die Bundesregierung ihr Versprechen wahrmacht. „Das ist unsere Chance.“ Die Gewerkschafterin verweist darauf, dass der Mindestlohn von 18,58 Euro pro Stunde und mit höherer Qualifikation von 19,15 Euro ausschließlich für pädagogisches Personal gilt. Nicht alle Beschäftigten fallen darunter, wie etwa Verwaltungskräfte in der Buchhaltung oder technisches Personal in der IT. Zudem sei egal, ob jemand frisch im Job sei oder schon viele Projekte verantwortet habe: Berufserfahrung werde nicht berücksichtigt. „Das finden viele unfair“, sagt Friederike Bamberg.

Sie betont, dass auch die meisten Träger großes Interesse an einem Branchentarifvertrag hätten. „Sie stecken derzeit ja in einem Dilemma.“ In der Branche hat sich im Zuge der Hartz-IV-Reformen ein Dumpingwettbewerb breitgemacht: Die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter schreiben die Aufträge aus – und die Träger müssen sich jedes Mal aufs Neue dafür bewerben. Ob sie den Zuschlag erhalten, hängt stark vom Preis ab. Zahlreiche Weiterbildungsanbieter stiegen damals aus ihren Tarifverträgen aus, weil sie fürchteten, sonst pleite zu gehen. „Der Wettbewerb wird faktisch über die Lohnkosten ausgetragen, die 70 Prozent der Gesamtkosten ausmachen“, erklärt André Pollmann, bei ver.di für die Weiterbildung zuständig. Inzwischen verdienten pädagogische Fachkräfte in der Weiterbildung im Schnitt etwa ein Drittel weniger als im öffentlichen Dienst.

Hinzu kommen die prekären Arbeitsbedingungen: Oft hangeln sich die Fachkräfte von einem befristeten Vertrag zum nächsten. „Es gibt keine Planungssicherheit“, kritisiert Frank Jandera. Einige Projekte laufen nur ein paar Monate, andere ein oder zwei Jahre, mit Option auf Verlängerung. „Auf so ein Hin und Her hat niemand Lust“, sagt der Jobcoach. In Hamburg hätten sie den Vorteil, dass die Stadt bei jungen Menschen sehr beliebt sei. Deshalb bewerben sie sich auf die offenen Stellen. „Doch meist merken sie schnell, dass sie anderswo viel bessere Jobs haben können“, berichtet der Betriebsrat. Darunter leide die Qualität der Angebote. Häufig kommt vor, dass das Personal während eines Projekts oft wechselt. Kurzfristig springen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Maßnahmen ein, zusätzlich zu ihren eigenen Aufgaben und Projekten, manchmal werden dafür die Vertragsstunden aufgestockt. „Das ist Flickschusterei.“

Für viel Unmut sorgt auch, dass Zeiten für Vor- und Nachbereitung selten wirklich bezahlt werden. Zumal noch regelmäßig Teamsitzungen und Besprechungen dazukommen, plus die ganze Dokumentation. Deshalb brauche es – zusätzlich zu einem Branchentarifvertrag – dringend richtige Qualitätsstandards für die Branche, fordert André Pollmann. Aktuell interessiere sich die Bundesagentur für Arbeit in erster Linie dafür, wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich nach der Maßnahme nicht wieder arbeitslos melden. „Alles andere ist für sie Nebensache.“

In der beruflichen Weiterbildung gehe es auch immer darum, demokratische Werte zu vermitteln, betont Friederike Bamberg. Sie hat sich lange um Jugendliche gekümmert, die teilweise jahrelang nicht zur Schule gegangen sind. „Sie sind komplett aus dem System gefallen“, berichtet die Diplompädagogin. „Mit viel Mühe holen wir sie zurück. Und sorgen dafür, dass sie wieder einen Platz in der Gesellschaft finden.“ In ihrem neuen Projekt unterstützt sie geflüchtete Frauen – mit dem Ziel, sie für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Eine Frau unterstützt Friederike Bamberg dabei, dass ­ihre Abschlüsse anerkannt werden, eine andere beim Antrag auf Einbürgerung. Sie hilft, eine Ausbildung zu finden und Bewerbungen zu schreiben, kümmert sich auch um Kitaplätze, Sprachkurse und psychologische Hilfe bei Traumatisierung. „Das schaffe ich alles gar nicht in meiner Arbeitszeit“, sagt sie.

Die Diplompädagogin bedauert, dass der Wert ihrer Arbeit von der Gesellschaft kaum wahrgenommen wird. „Wir sorgen dafür, dass auch die benachteiligsten Menschen eine Chance bekommen“, stellt sie klar. Die Transformation der Gesellschaft führe dazu, dass immer mehr Menschen auf der Strecke blieben. „Unsere Arbeit wird immer wichtiger, der Bedarf steigt rasant.“ Doch diese Menschen hätten keine Lobby.

Bildung nur mit Tarif

Höchste Zeit, etwas zu verändern. Friederike Bamberg ist bei ver.di aktiv, hat in ihrer Organisation Plakate aufgestellt, mit der Botschaft: „Nur mit Tarif geht Bildung weiter!“ Und: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag.“ Außerdem verteilt sie Postkarten an ihre Kolleginnen und Kollegen. Mit eigenen Worten sollen sie darauf schreiben: Warum ist ein Branchentarifvertrag so wichtig? Die Karten werden gesammelt und ans Bundesarbeitsministerium übergeben. Mit der Kampagne macht ver.di dafür Druck, dass ein Tariftreugesetz noch in dieser Legislaturperiode ­verabschiedet wird.