Halo: In The Company Of No One

Manches währt lange, aber nicht alles davon wird gut. Doch im Falle von Halo trifft das Sprichwort zu: Vor mehr als ­einem Jahrzehnt fanden sich zwei Berliner Musikerinnen zusammen, nahmen einen Haufen Songs auf, aber es musste erst eine Pandemie kommen, damit die beiden das damals irgendwie vergessene Album doch noch fertigstellten.

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Und welch ein Glück, denn Masha Qrella, die in kultisch verehrten Postrockbands spielte und 2021 das Feuilleton begeisterte, als sie den früh verstorbenen ­Thomas Brasch vertonte, und Julia Kliemann, die in der schmerzlich unterbewerteten Band Komëit zum Zerbrechen zarte Songs vortrug, haben damals zusammen Stücke geschaffen und zwischendurch beinahe wieder vergessen, die heute ebenso gültig klingen wie zum Zeitpunkt ihres Entstehens – und wohl auch noch in zehn weiteren Jahren. Songs, die zwischen Gitarre und Elektronik zeitlose Geschichten erzählen, und denen dabei ein seltener Spagat gelingt: Einerseits melancholisch und fast zu ernst, andererseits federleicht und fast unbeschwert zu klingen. Das Warten hat sich gelohnt.

Thomas Winkler

physisch: Edition Dur/Dussmann, digital: Fun in the church/Zebralution

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Crack Cloud: Red Mile

Ein 47-sekündiges Intro aus zarter Wah-Wah-Gitarre, die sich in einen einladenden Groove reinschaukelt, bevor es laut wird – das erwartet man von einer Punkband nicht unbedingt. Aber so sind Crack Cloud. Mit „Artpunk-Projekt“ nur noch unzureichend beschrieben, hat sich der Freundeskreis aus Vancouver mit dem dritten Album zu einer ­ambitionierten Rockband weiterentwickelt, die den gesamten Produktionsprozess kontrolliert. 2016 von Zach Choy gestartet, sind mittlerweile sieben feste Mitglieder in die Cloud des Sängers und Schlagzeugers aufgenommen. Sie alle stammen aus Suchterfahrungs-, Heilungs- und Unterstützungszusammenhängen und formen eine Band, die nicht durch Drogen zerstört, sondern durch deren Überwindung erst möglich wurde. Die acht Songs stehen immer noch auf den rotkarierten Beinen des Punk, das Nihilistische des Genres aber lehnt Choy trotz Johnny-Rotten-Nölstimme strikt ab. Die Freunde haben Saxophon, Synthie, Cembalo, Geigen in die Cloud eingeschleppt und klug eingesetzt, was den harmoniefreudigen Sound opulenter und dramatischer in seinen Erzählpfaden macht. Das führt die Single Blue Kite zu erlösender Ohrwurmqualität, einen Elektroblues wie Ballad of Billy aber erhebt es zu wahrer emotionaler Größe. Jenny Mansch

Jagjaguwar/Cargo Records

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Kokoko!: Butu

Hupen, Stimmengewirr, quietschende Reifen: Butu beginnt mitten im Verkehrschaos von Kinshasa. Das nächtliche Leben in der Hauptstadt des Kongo ist die Bühne für das zweite Album von Kokoko!, die das Ausrufezeichen nicht umsonst im ­Namen tragen. Die hektischen Beats, die stakkatohaften Gesänge in Kikongo, Lingala, Suaheli oder Französisch, die kurzen Licks, gespielt auf selbstgebauten Instrumenten aus Schrott und Müll: Alles ist fordernd, drängend, ungeduldig, fiebrig. Aus ­Dosen, Flaschen, Bratpfannen, Kochtöpfen oder einem Toaster entsteht ­Musik, die niemals stillsteht, während sie versucht, traditionelle Melodien und Harmonien in die Strukturen elektronischer Musik zu pressen, wie wir sie aus westlichen Clubs kennen. Doch diese Strukturen scheinen schier zu platzen: So viel Lebenslust, hektischen Alltag und politische Dringlichkeit können sie kaum verkraften. Kokoko! mögen mit Techno kokettieren, aber sie spielen nicht den Soundtrack zur Party einer ­gelangweilten Ersten-Welt-Jugend, sondern gießen das pulsierende, strapaziöse, schillernde Leben ihrer Heimat in Klang. Thomas Winkler

Transgressive/PIAS/Rough Trade