Ausgabe 04/2024
Was wollen die Katalanen?
Spanischer Bürgerkrieg, Separatismus, soziale Probleme und die aktuellen Wahlen in Katalonien: Die Seniorenreise von ver.di Stuttgart nach Barcelona bot nicht nur touristische Höhepunkte. Die Massenproteste in Katalonien 2017 und der gescheiterte Versuch, die Provinz im Nordosten des Landes von Spanien abzuspalten, haben auch etwas mit sozialen Problemen zu tun. Dies erklärte Ricard Bellera von der Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras) bei einem Vortrag im Gewerkschafts-Haus in Barcelona. Der gewerkschaftliche Dachverband ist mit rund einer Million Mitglieder eine der größten Gewerkschaften Spaniens. Er spielte bei der Überwindung der Franco-Diktatur in den 70er Jahren eine wichtige Rolle.
Der Unmut über die sozialen Verhältnisse – vor allem nach der weltweiten Wirtschaftskrise 2008/09 – habe in Katalonien ein Ventil in der Bewegung für die Loslösung der Provinz von Spanien gefunden, erklärte der CCOO-Vertreter. Denn die Zentralregierung in Madrid habe die Interessen des wirtschaftlich starken Kataloniens auch in der Nach-Franco-Zeit immer wieder missachtet. Viele Menschen hier fühlten sich abgehängt. Sie hofften, das mit der Gründung eines unabhängigen Staates korrigieren zu können. Doch inzwischen haben die separatistischen Parteien keine Mehrheit mehr, erstmals seit den 1980er Jahren. Im Parlamentsgebäude aus dem 18. Jahrhundert, das die ver.di-Reisegruppe besucht hat, werden jetzt wohl die Sozialist*innen den Ton angeben.
Soziale Probleme waren auch maßgeblich für die Entstehung der Gewerkschaften und der Arbeiterparteien. Denn Barcelona erlebte mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung. Den Reichtum der katalanischen Kapitalist*innen konnte die Reisegruppe an vielen Stellen besichtigen. Besonders herausragend: katalonische Jugendstil-Paläste wie die des Architekten Antonio Gaudi. So gehörte auch der „Palau Güell“ zum Besuchsprogramm. Eigentümer Eusebi Güell gehörte damals zu den reichsten Menschen der Welt. Sein Vermögen wäre nach heutiger Schätzung ca. 70 Milliarden Euro wert. Der Palast gehört inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Castell de Monjuic erinnerte die ver.di-Gruppe nicht nur an den spanischen, sondern auch an den deutschen Faschismus.
Hier haben die Faschisten Republikaner gefoltert und erschossen. Eines der prominentesten Opfer: Lluis Companys, zeitweise katalanischer Ministerpräsident. Der Republikaner floh während des spanischen Bürgerkrieges nach Frankreich und wurde später von der deutschen Besatzungsmacht an das franquistische Regime ausgeliefert. Und auf dem Monjuic hingerichtet. „Seit 2020 erinnert ein Stolperstein an den Politiker“, berichtete ver.di-Reisebegleiter Bernd Meyer zu Berstenhorst. Der Stein befindet sich vor dem Sitz des katalanischen Regierungspräsidenten, dem Ort, an dem der Politiker in der Zeit vor der Franco-Diktatur gewirkt hatte. (hga)