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25. April 2024: Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der „Nelkenrevolution“Foto: ana Brigida/AP/dpa

ver.di publik: Es gab im vergangenen Jahr eine Menge Wut und Frustration unter den Menschen in Portugal, was zu einem politischen Rechtsruck führte. Wie ist es dazu gekommen?

Sebastião Santana: Der Populismus nimmt in Portugal genauso zu wie im übrigen Europa. Leider hängen das Erstarken der Rechten und der extremen Rechten bei uns mit dem Fehlen konkreter Lösungen für die Probleme der Beschäftigten zusammen. Wir hatten acht Jahre lang eine sogenannte sozialistische Regierung, die leider nicht auf die Probleme der Arbeitnehmer einging. Wir erleben seit mehr als zwei Jahrzehnten einen ständigen Kaufkraftverlust. Es gab zudem Angriffe auf die Tarifverhandlungen und eine Prekarisierung in der öffent­lichen Verwaltung. Der Staat hat die Marktlogik des privaten Sektors übernommen. Eine sogenannte staatliche Anstellung wurde durch individuelle Arbeitsverträge und Gesetzesänderungen ersetzt, die nun eher dem Privatrecht als dem öffentlichen Recht entsprechen.

Die CGTP spielte in den 1970er Jahren eine wichtige Rolle bei der Bildung neuer demokratischer Strukturen.

Ja, der 25. April 1974 läutete die Befreiung der Menschen von der imperialistischen Ausbeutung einer faschistischen Diktatur ein, die das Land 48 Jahre beherrschte. Seitdem haben wir viel erreicht: Demokratisierung der Schulen, nationaler Gesundheitsdienst, Sozialversicherung, Frauenrechte und mehr. Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter und die Tatsache, dass die Menschen auf die Straße gingen und begannen, sich in den großen Unternehmen zu organisieren, bedeutete einen großen Sprung nach vorn.

Und das alles in so kurzer Zeit!

Ja, die Diktatur ist 50 Jahre her. Historisch gesehen war das vorgestern. Doch leider ist das auch ein Problem. Sie steckt zum Teil noch tief in den Köpfen der Menschen. Rechtspopulisten, aber auch Rechtskonservative sind bestrebt, die Geschichte umzuschreiben und die Diktatur weniger schlimm darzustellen.

Wie ist die Stimmung jetzt nach der Wahl der neuen Regierung?

Diese Regierung hat mit einem sehr geringen Vorsprung gewonnen, aber sie hat gewonnen. Jetzt plant sie, einen großen Teil der öffentlichen Dienstleistungen zu privatisieren. Anstatt in den staatlichen Gesundheitsdienst zu investieren, öffnet sie dem privaten Sektor die Türen, um die gleiche Arbeit zu leisten, zu der der staatliche Gesundheitsdienst verpflichtet ist. Das Gleiche gilt für die öffentlichen Schulen und die Sozialversicherung, die in Konkurrenz zum privaten Sektor gesetzt werden. Der aktuelle Staatshaushalt 2024 für das Gesundheitswesen beträgt beispielsweise 17 Milliarden Euro, von denen bereits rund 50 Prozent an den privaten Sektor gehen. Diese Politik führt zur Zersetzung der öffent­lichen Dienste. Unser Ziel ist es, dafür zu kämpfen, dass diese Politik gar nicht erst umgesetzt wird.

Es gab zwar eine Erhöhung des Mindestlohns, aber der Frust in der Bevölkerung hält an. Wie sieht es im öffentlichen Sektor aus?

Im öffentlichen Sektor verdienen wir ­etwa halb so viel wie unsere Kollegen im Durchschnitt der Europäischen Union. Auch in der Privatwirtschaft sieht es nicht viel besser aus. Die Lebenshaltungs­kosten sind ähnlich hoch wie in anderen europäischen Ländern. Der Mindestlohn in Portugal beträgt seit diesem Jahr 820 Euro, sollte aber entsprechend der Inflation und Produktivität bei 1.100 Euro liegen. Das ist einer unserer großen Kämpfe: Der Mindestlohn soll sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in der Privatwirtschaft steigen.

Es gibt auch einige neue Gewerkschaften, die radikalere Positionen vertreten. Ist die Gewerkschaftsbewegung gespalten?

Auf der einen Seite gibt es die CGTP, sie ist nicht nur der größte Verband portugiesischer Gewerkschaften, sondern die größte soziale Bewegung Portugals. Wir wachsen stetig und immer mehr Gewerkschaften schließen sich uns an. Und auf der anderen Seite stehen neue Gewerkschaften, die sich vor allem in den letzten Jahren gegründet haben, die nichts mit einer klassenspezifischen Perspektive zur Verteidigung der Arbeitnehmer zu tun haben. Viele von ihnen werden sogar von rechtsextremen Parteien und rechtsextremen Organisationen gesponsert, deren einziges Ziel es ist, die Arbeitnehmer zu spalten. Und sie dienen auch ­dazu, Verträge mit Arbeitgebern zu unterzeichnen, die nicht den Interessen der Arbeitnehmer dienen.

Unsere Antwort darauf ist ein Aktionsplan, der jedes Jahr der Regierung vorgelegt wird. Diese Resolution wurde im Konsens von 29 Gewerkschaften der öffentlichen Verwaltung erstellt und deckt die Kernthemen der Lehrer, der Ärzte, der Krankenschwestern und -pfleger, der Diagnosetechniker, der Hilfskräfte, kurz gesagt, aller Berufsgruppen ab. Die Arbeit der Gewerkschaften basiert auf dieser gemeinsamen Perspektive. Außerdem mobilisieren wir aktuell stark. Wir planen einen nationalen Kampftag mit Streiks in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, um unsere Ablehnung der Regierungspolitik deutlich zu machen, und wir zeigen auch sonst stetig Präsenz auf den Straßen.

Interview: Rita Schuhmacher