Ein Energiekonzern verklagt einen Journalisten auf 2,1 Millionen Euro Schadensersatz. Er war bei der Besetzung eines Braunkohletagebaus zugegen – als ­Reporter ist das sein Job. Aber RWE ­fordert von ihm den Schadensersatz für den Zeitraum, in dem die Maschinen stillstanden.

Ein Fleischkonzern droht dem Sprecher eines Sozialverbands mit einer Viertel­million Euro Ordnungsgeld oder sechs Monaten Haft. Der Vorwurf von Tönnies: Er habe eine unzutreffende Äußerung über die Unterbringung der Vertrags­arbeiter*innen getätigt.

Zur Strategie von SLAPP-Kläger*in­nen gehört, Fälle so lange wie möglich in die Länge zu ziehen.

Eine Adelsfamilie verschickt 120 Klagen und Abmahnungen an Journalist*innen und Historiker*innen, die sich an der ­Debatte um die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern beteiligen.

Das sind keine Fälle aus den klage­wütigen USA, sondern aus Deutschland. Und es geht dabei vor allem um Einschüchterung. Eine unliebsame Stimme soll mundtot gemacht werden. Und je prekärer die Situation einer Journalistin, desto bedrohlicher, wenn ein Kohle­konzern, ein Agrarverband oder eine Adelsfamilie juristisch gegen sie vorgeht.

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Wenn wie hier im Dannenröder Forst 2019 gerodet wird, muss auch eine freie Berichterstattung darüber möglich seinFoto: Jannis Grosse

Einschüchterung und Abschreckung

„SLAPP“ steht für „Strategic Lawsuits Against Public Participation“, also strategisches juristisches Vorgehen gegen öffent­liche Beteiligung. In Deutschland häufig in Form von Abmahnungen, aber auch in Form von Klagen.

Freie Journalist*innen oder kleine Redaktionen – es sind gerade vulnerablere Personen oder Organisationen, die von Unternehmen oder wohlhabenden Einzelpersonen gezielt mit Abmahnungen oder Klagen überzogen werden. Neben dem finanziellen Machtungleichgewicht sind übermäßig hohe Schadensersatz­forderungen, sehr hohe Anwaltskosten, großflächiges Vorgehen gegen jegliche sich äußernde Stimmen und ein kompromissloses Verfolgen kleinlicher Forderungen typische Charakteristika von SLAPPs in Deutschland. Je mehr dieser Kriterien erfüllt sind, desto wahrscheinlicher, dass jemand nicht wirklich einen strittigen Sachverhalt klären will, sondern die Mittel des Rechtsstaats für seine Zwecke missbraucht.

Zur Strategie von SLAPP-Kläger*innen gehört, Fälle so lange wie möglich in die Länge zu ziehen. So verfängt die beabsichtigte Abschreckung eher bei ressourcenschwächeren Zielen als bei großen Medienorganisationen mit eigenem Justi­ziariat. Denn über bestimmte Themen journalistisch zu berichten oder überhaupt öffentlich zu sprechen, wenn von einer Beobachtung durch „klagefreudige“ Akteur*innen auszugehen ist, kostet Zeit, Geld und Nerven. Da wird im Zweifel eher von einem Thema Abstand genommen.

Freie Meinungs­bildung eingeschränkt

Wie häufig es in Deutschland zu SLAPPs kommt, ist unklar. Abmahnungen werden nirgends statistisch erfasst. Über Klagen könnten Gerichte Auskunft geben, aber die Daten werden nicht zentral gesammelt. Und Klagen wiederum stellen nur einen Ausschnitt aus dem Phänomen „SLAPP“ dar.

Aus qualitativen Erhebungen lässt sich jedoch einiges über die Situation hierzulande ablesen. So führte etwa die Abmahnwelle der Adelsfamilie Hohenzollern gegen Medienschaffende und Forschende bei den betroffenen Journalist*innen zu einem defensiveren Sprachgebrauch bis hin zur kompletten Vermeidung des Themas. Eine Dunkelfeldstudie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft über den strategischen Einsatz von juristischen Mitteln durch Rechtsextreme gegen die Zivil­gesellschaft zeigte, dass Betroffene durch die Anwaltsstrategien psychisch stark belastet waren und sich ein kleiner Teil ­infolgedessen sogar beruflich umorientierte.

Wenn Berichterstattung und Forschung von reichen Akteur*innen behindert oder gar beendet werden können, droht eine undemokratische Diskursverschiebung, eine Einschränkung der freien Meinungsbildung.

Anti-SLAPP-Gesetz

Diese Gefahr hat auch die EU erkannt und im März 2024 eine Richtlinie gegen SLAPPs verabschiedet. Ein wichtiger erster Schritt – doch nun kommt es darauf an, was die Mitgliedstaaten aus der Vorlage machen. Denn in ihrer aktuellen Form würde sie nur einem Bruchteil der SLAPP-Betroffenen helfen – etwa durch finanzielle Unterstützung oder indem im Zweifel die Klagenden statt der Beklagten die Beweislast tragen.

Der Großteil der Fälle – alle, die sich nicht in internationalen Konstellationen, sondern innerhalb eines Landes abspielen – fällt noch nicht unter die Richtlinie. Gegen die meisten SLAPP-Fälle in Deutschland würde die Richtlinie in ihrer jetzigen Ausgestaltung noch nicht wirken. Hilfreich wäre ein Gesetz, das inländische Fälle und auch die Abmahnungen in den Blick nimmt.

Rechtsanwalt Dr. Jasper Prigge, der selbst zahlreiche Betroffene von SLAPPs anwaltlich vertritt, weist auf ein weiteres Problem hin: Selbst, wenn eine Klage als missbräuchlich abgewiesen wird, bleiben die Beklagten trotzdem auf den Kosten für ihre Rechtsverteidigung sitzen – und die bemessen sich am Gegenstandswert, können also vom Kläger ganz einfach in die Höhe getrieben werden.

Prigge plädiert daher dafür, dass diese Anwaltskosten von den Klagenden erstattet werden müssen, so wie es in ­anderen Rechtsgebieten bei missbräuchlichen Verfahren bereits der Fall ist. Hier nachzubessern, schlägt Prigge für das deutsche Anti-SLAPP-Gesetz vor. So würde es wahrscheinlicher, dass künftig weniger Klagen angestrengt werden.

ver.di und der Prinz

Unter den 120 Personen aus Journalismus und Wissenschaft, die von den SLAPPs der Adelsfamilie Hohenzollern betroffen waren, war auch Lars Hansen, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di. In einem Beitrag für das ver.di-Magazin M – Menschen Machen Medien schrieb er 2020, Georg Friedrich Prinz von Preußen habe sich als „besonders klage­freudig erwiesen, was die wissenschaftliche und mediale Aufarbeitung der Geschichte seiner Familie angeht“.

Dagegen zog der Prinz vor Gericht und beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Diese hatte vor dem Landgericht Berlin zunächst Bestand. Doch ver.di ging in Berufung und bekam 2021 vor dem Kammergericht Berlin schließlich Recht: Die Äußerung war zulässig.

Der „Fall Hohenzollern“ nahm zudem einen etwas anderen Verlauf als viele ­andere juristische Einschüchterungsversuche in Deutschland: Jan Böhmermann widmete dem Fall 2019 eine eigene Sendung, die für Aufmerksamkeit sorgte. Die Organisation „FragDenStaat“ rief den „Prinzen­fonds“ ins Leben, der Abgemahnte finanziell bei der Rechtsverteidigung unterstützte. Neben einer anwaltlichen Beratung waren Öffentlichkeit und Solidarisierung in diesem wie anderen Fällen ein Schlüsselelement, insbesondere um den Betroffenen den Rücken zu stärken.

Erste Hilfe für Betroffene

Auch wenn es ein deutsches Anti-SLAPP-Gesetz noch nicht gibt: Erste Hilfe für Journalist*innen und andere Publizierende, die mit SLAPPs konfrontiert sind, gibt es bereits – von zivilgesellschaftlicher Seite. Im Mai 2024 hat die dju in ver.di gemeinsam mit Reporter ­ohne Grenzen, FragDenStaat, DJV, Blueprint for free speech und Aktion gegen Arbeitsunrecht eine Anlaufstelle gestartet, die mit Mitteln der Bundesregierung für zwei Jahre gefördert wird.

Die Anlaufstelle bietet Expertise zum Umgang mit juristischen Einschüchterungspraktiken, kostenlose Trainings für Medienschaffende und Jurist*innen sowie einen Beirat aus Anwält*innen, die sich mit SLAPPs auskennen.

Unter www.noslapp.de entsteht derzeit ein Workshop-Programm sowie eine Handreichung zu SLAPPs in Deutschland. Die Kooperationspartner*innen sind sich bewusst, dass sich mit der Anlaufstelle SLAPPs nicht in Luft auflösen werden. Doch ist sie ein erster Schritt, um die Kräfte der Zivilgesellschaft zu bündeln und die Pressefreiheit gegen Angriffe durch SLAPPs zu stärken.