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Müssen wir wirklich auch noch am Sonntag shoppen?Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago

Wieder einmal ertönt der Ruf nach einer Sonntagsöffnung. Diesmal prescht der neue Eigentümer von Galeria Karstadt Kaufhof mit dem Vorschlag vor, die Filialen künftig einmal pro Monat sonntags zu öffnen. Als Weg aus der Dauerkrise. "Oh je, holt wieder jemand diese Forderung aus der Mottenkiste", war der erste Gedanke von Lorraine Franklin, Verkäuferin bei Galeria im Alstertal-Einkaufszentrum in Hamburg. "Wir haben wirklich andere Sorgen." Drei Insolvenzen in vier Jahren. Fast jede zweite Filiale in Deutschland wurde seither geschlossen, fast 10.000 Menschen haben bereits ihre Jobs verloren. Und auch diesmal sollen wieder Warenhäuser ihren Betrieb einstellen, weitere Arbeitsplätze wegfallen. "Was wir jetzt brauchen, ist ein ordentliches Zukunftskonzept", sagt die Betriebsratsvorsitzende.

Der einzige Familientag

Sonntagsöffnungen seien sicher nicht die Lösung. Schließlich würden sich die Umsätze nur verlagern – und nicht steigern. Ihre Filiale hat Montag bis Samstag geöffnet, von 9 Uhr 30 bis 20 Uhr. Die allermeisten Beschäftigten seien Frauen, darunter viele alleinerziehende Mütter, sagt die Verkäuferin. Sie täten sich so schon schwer, eine Betreuung für ihre Kinder zu finden. Die Arbeitszeiten, Stress durch Personalmangel und eine Bezahlung weit unter dem Flächentarifgehalt sorgten dafür, dass der Job nicht besonders attraktiv sei. Jetzt noch on top Sonntag arbeiten? Lorraine Franklin hat selbst eine zwölfjährige Tochter. "Sonntag ist der einzige Tag, an dem wir als Familie etwas zusammen unternehmen können."

Ohnehin gilt: "Eine Sonntagsöffnung ist rechtlich überhaupt nicht möglich", sagt Silke Zimmer, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für den Handel. Im Grundgesetz steht in Artikel 140 klipp und klar, dass der Sonntag und die Feiertage "als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" gesetzlich geschützt sind. Die Ladenöffnungsgesetze der Länder erlauben verkaufsoffene Sonntage, allerdings in engen Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht verwies in einem Urteil 2009 auf die Arbeitsruhe sowie den Schutz von Familie, Erholung und Gesundheit. Um davon abzuweichen, genügten "bloße wirtschaftliche Interessen" grundsätzlich nicht.

"Der freie Sonntag hat einen Wert für uns als Gesellschaft", bekräftigt Silke Zimmer. Vor allem in einer Zeit, in der alles immer schneller und hektischer werde, die Menschen jederzeit verfügbar sein müssten. Die Gewerkschafterin warnt davor, diesen Ruhetag aufs Spiel zu setzen. Kürzlich erklärte zum Beispiel auch der MediaMarkt-Chef, eine Sonntagsöffnung "einfach mal ausprobieren" zu wollen. Und Onlinehändler wie Amazon drängen ebenfalls auf Ausnahmen für ihre Verteilzentren. "Die Spirale dreht sich immer weiter", sagt Silke Zimmer. Deshalb gelte es, immer wieder nach Kräften für den Ruhetag zu streiten. In der Allianz für den freien Sonntag arbeitet ver.di eng mit den Kirchen zusammen.

Aktuell drängen die Betreiber automatisierter Minisupermärkte – auch Smartstores genannt – darauf, rund um die Uhr zu öffnen. Oft heißt es, diese Läden kämen ohne Personal aus, doch de facto werden auch sie beliefert, gereinigt und überwacht. Der hessische Verwaltungsgerichtshof erteilte der Sonntagsöffnung der Tegut-Teo-Märkte kürzlich eine Absage – nicht nur zum Schutz der Beschäftigten, sondern der ganzen Gesellschaft. Die schwarz-rote Landesregierung will deshalb noch vor der Sommerpause das Ladenöffnungsgesetz für die Smartstores ändern. "Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um eine Ausweitung der Öffnungszeiten zu verhindern", sagt Marcel Schäuble, ver.di-Landesfachbereichsleiter Handel in Hessen. "Unabhängig davon, ob jemand an der Kasse sitzt oder nicht." Die Gefahr sei groß, dass sonst Ausnahme auf Ausnahme folgt. "Es wäre naiv zu glauben, dass es bei Kleinstsupermärkten bleibt."

Zumal andere Bundesländer in den Startlöchern stehen. Auch Bayern plant ein neues Landesschlussgesetz. "Wir fürchten, dass die Staatsregierung versucht, die Sonntagsruhe durch die Hintertür aufzuweichen", sagt der bayerische ver.di-Landesfachbereichsleiter Hubert Thiermeyer. Die digitalen Kleinstsupermärkte seien der erste Schritt. "Das geht Hand in Hand." Sonntagsöffnungen führten zu einer Wettbewerbsverzerrung – "und machen kleinen und mittelständischen Unternehmen den Garaus". Es sei zu erwarten, dass die digitalen Kleinsupermärkte auf dem Land die letzten Dorfläden verdrängten. Und auch Warenhausketten wie Galeria Karstadt Kaufhof dürften darauf abzielen, sich auf diesem Weg gegen Konkurrenz durchzusetzen, die eine Sonntagsöffnung nicht stemmen kann.

Stattdessen sollten die neuen Eigentümer lieber dafür sorgen, die Warenhauskette für die Zukunft gut aufzustellen, findet Verkäuferin Lorraine Franklin. Und vor allem mit kompetentem Fachpersonal punkten. "Wir haben in den letzten Jahren so viel mitgemacht. Wir wollen endlich mal sorgenfrei arbeiten."

"Der Sonntag ist mir heilig"

Interview — Andrea Grisail ist erste Kraft des Kassenteams und Betriebsratsvorsitzende bei Galeria Karstadt Kaufhof im Rhein-Ruhr-Zentrum in Mülheim

ver.di publik – Du arbeitest an der Kasse bei Galeria in Mülheim. Was hältst du von der Idee, dass die Häuser künftig einmal pro Monat am Sonntag öffnen sollen?

Andrea Grisail – Längere Öffnungszeiten sollen mal wieder die Zukunftsvision sein, Warenhäuser nach vorne zu bringen? Was soll das bringen? Der große Vorteil der Warenhäuser besteht darin, dass Fachpersonal die Kundinnen und Kunden bedient und berät. Im Gegensatz zum Onlineshopping. Wenn immer weniger Beschäftigten auf mehr Öffnungszeiten verteilt werden, stellt sich die Frage: Wie soll die Qualität gewährleistet werden, die Warenhäuser dringend brauchen? Noch weniger Personal auf der Fläche, ist sicher keine Lösung.

Dahinter steckt die Hoffnung, dass der Umsatz gesteigert wird.

Das Argument hören wir seit zig Jahren. Immer wieder heißt es, dass Familien sonntags auf große Shoppingtour gehen. Aber es ist Quatsch, dass dadurch mehr Geschäft gemacht wird. Der Umsatz wird nur von A nach B verlagert. Das merkt man auch an den verkaufsoffenen Sonntagen vor Weihnachten: Danach kommen die Leute, um ihre Sachen umzutauschen. Aber sie kaufen nichts zusätzlich. Kein Wunder, sie können ihr Geld ja nur einmal ausgeben.

Was würde für dich bedeuten, sonntags arbeiten zu müssen?

Ich würde massiv Lebensqualität einbüßen. Ich arbeite jeden Samstag, bis auf eine Ausnahme, – einen freien Samstag pro Monat haben wir per Tarifvertrag erkämpft und den müssen wir immer wieder verteidigen – im Frühdienst bis 18 Uhr, im Spätdienst bis 20 Uhr. Der Sonntag ist mir heilig. Man kann nicht einkaufen, nichts erledigen, nicht zum Arzt gehen. Eine Zwangspause. Diesen Tag brauche ich, um wirklich abzuschalten, sonst würde ich wahnsinnig. Wenn wir diesen Ruhetag verlieren, nur weil mal wieder jemand denkt, dadurch wird der Umsatz angekurbelt, dann läuft bei uns in der Gesellschaft etwas entschieden verkehrt.

Was wäre dein Tipp, damit die Warenhäuser endlich aus der Krise kommen?

Einfach mal auf die Beschäftigten hören. Wir haben so viele Vorschläge unterbreitet und vor Fehlern gewarnt. Wir haben die Beschäftigten befragt, was schief läuft und wie es besser geht. Einige der Vorschläge hätten nicht mal Geld gekostet. Aber die Unternehmensleitungen haben nichts umgesetzt – und sind immer wieder gegen die Wand gefahren. Darunter zu leiden haben vor allem wir.

Interview: Kathrin Hedtke

Galeria-Neustart

Etwas mehr Klarheit haben die Beschäftigten von Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) seit dem 7. Juni: An dem Tag gab Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus bekannt, dass Ende August insgesamt neun und nicht 16 Filialen geschlossen werden. Nicht geschlossen werden demnach die Häuser in Berlin-Spandau, Köln (Breite Straße), Mainz, Mannheim, Oldenburg, Potsdam und Würzburg. GKK hatte Anfang des Jahres erneut Insolvenz anmelden müssen. Auch das dritte Verfahren innerhalb von dreieinhalb Jahren endete mit enormen Verlusten an Geld, Filialen und Beschäftigtenzahl. Ab August werden die neuen Eigentümer, die US-Investmentgesellschaft NRDC des Kaufhaus- unternehmers Richard Baker und eine Beteiligungsfirma des Geschäftsmanns Bernd Beetz, 83 Warenhäuser mit insgesamt noch 12.000 Beschäftigten übernehmen. Wie das gesamte Unternehmen wird auch sein Name geschrumpft: Künftig heißt die Kette nur noch "Galeria". Gudrun Giese