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Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Die Grünen) etwas ergraut nach den HaushaltsverhandlungenFoto: [M] Kay Nietfeld/dpa

Die Regierung hat noch einmal die Kurve gekriegt: Vor der Sommerpause verabschiedete sie den Haushaltsentwurf fürs kommende Jahr. Zuvor hatte FDP-Vize Wolfgang Kubicki unverhohlen mit dem Bruch der Koalition gedroht, sollte die Schuldenbremse gelockert werden. Die schreibt vor, dass der Bund in gewöhnlichen Zeiten nur Kredite in Höhe von 0,35 des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen darf. So haben Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ein sehr enges Finanz-Korsett geschneidert, obwohl der Investitionsbedarf an vielen Stellen extrem hoch ist.

Absehbar ist und es deutet sich auch schon an, dass das Werk bald an mehreren Stellen platzen könnte. Schließlich ist es mit allerlei Buchungs-Tricks und sehr optimistischen Annahmen zusammengenäht. "Dieses Jahr wird die Regierung damit wohl noch über die Runden kommen, ohne dass ihnen der Laden auseinanderfliegt – aber mehr auch nicht", urteilt Ralf Krämer, Fachmann bei ver.di für Wirtschaftspolitik.

Der Milliarden-Poker

481 Milliarden Euro will der Bund im kommenden Jahr ausgeben – 8 Milliarden weniger als 2024. Zusätzliches Geld gibt es für Rüstung, wenn auch deutlich weniger als von Verteidigungsminister Boris Pistorius gefordert. Hochzufrieden ist Innenministerin Nancy Faeser, die mehr bekommt, um die Bundespolizei zu vergrößern und das Bundeskriminalamt technisch besser auszustatten. Dagegen ist in ihrem Haus der Etat für die Einreise von besonders verletzlichen Menschen aus Krisenregionen – meist Frauen – radikal zusammengestrichen worden. Auch für Entwicklungshilfe und humanitäre Katastrophen im Ausland sowie internationale Kultur- und Bildungspolitik ist bald deutlich weniger Geld da.

Auf wachsende Steuereinnahmen hofft die Bundesregierung durch eine Belebung der Konjunktur. Mit Hilfe von 49 Maßnahmen will sie das Bruttoinlandsprodukt um ein halbes Prozent nach oben pushen. Die Ausweitung von Arbeit spielt dabei eine zentrale Rolle. Steuervorteile sollen dazu verlocken, länger als Vollzeit zu schuften. Auch ausländische Fachkräfte will die Bundesregierung auf diese Weise gewinnen. Die Abschaffung der Lohnsteuerklassen 3 und 5 zielt darauf ab, die Doppelerwerbstätigkeit von Ehepaaren zu fördern. Und schließlich werden Rentner*innen motiviert, noch ein paar Jahre dranzuhängen, indem sie den Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung ausgezahlt bekommen.

Darüber hinaus will die Bundesregierung Arbeitslose wieder stärker unter Druck setzen. Drei Stunden Arbeitsweg pro Tag sollen künftig kein Grund mehr sein dürfen, eine Stelle abzulehnen. Wer ein Jobangebot oder eine Schulung ausschlägt oder einen Termin versäumt, muss sofort mit drastischen Kürzungen rechnen. "Die Bürgergeldreform ist Geschichte – wir sind zurück bei Hartz IV", fasst es der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke zusammen. Um 16 Prozent soll die Zahl der Bürgergeld-Empfänger*innen im kommenden Jahr abnehmen, so der Plan. Gelingt das nicht, muss die Kasse durch einen Nachtragshaushalt aufgefüllt werden.

Das Gleiche gilt wohl für Integrationskurse. Deren Mittel wurden mehr als halbiert, obwohl Deutschland dringend auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen ist und die Teilnahme für Zuwandernde und Asylbewerber*innen verpflichtend ist. Dagegen hat die Regierung die Weiterbildungskosten für Langzeitarbeitslose der Arbeitslosenversicherung aufgedrückt, so dass Beschäftigte und Arbeitgeber dafür aufkommen müssen. Auch den geminderten staatlichen Zuschuss zur Rentenkasse werden die Sozialpartner ausgleichen müssen.

Verstoß gegen die "Haushaltswahrheit"

Natürlich darf die Ankündigung von Bürokratieabbau im Maßnahmenkatalog nicht fehlen. Dazu zählt die Regierung eine Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes, so wie es Wirtschaftsverbände gefordert hatten. Die Begünstigung von Wagniskapital kommt vor allem Wohlhabenden und Reichen zugute – ebenso wie die Abschaffung der kalten Progression, eine Herzensangelegenheit der FDP. Dabei geht es darum, dass Gehaltserhöhungen nicht durch Steuerabgaben weggefressen werden. Wer ein hohes Einkommen bezieht, profitiert davon am meisten. Allein dieser Punkt wird die Allgemeinheit in den nächsten beiden Jahren 23 Milliarden Euro kosten.

Bei alledem klafft bisher noch ein Loch von 17 Milliarden Euro im Haushaltsentwurf. Das soll zu einem Großteil durch "globale Minderausgaben" gestopft werden. Tatsächlich bleibt am Ende jedes Jahres immer irgendwo Geld übrig, weil die Bauplanung noch nicht so weit ist oder Fördergelder nicht abgerufen wurden. Allerdings halten Verfassungsrechtler die Summe, mit der die Ampel hier kalkuliert, für deutlich zu hoch angesetzt und sehen darin einen Verstoß gegen die "Haushaltswahrheit."

Lindner lässt gegenwärtig noch andere Optionen prüfen. Im Gespräch ist, nicht mehr benötigte Notlagenkredite in den Bundeshaushalt zu überführen, die bisher noch bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) liegen. Der Finanztopf wurde kurz nach Beginn des Ukrainekriegs zur Senkung der Energiepreise eingerichtet. Allerdings spricht vieles dafür, dass die Bundesregierung mit der Umwidmung genauso scheitern würde wie bereits beim Anzapfen nicht verbrauchter Coronahilfen für den Klima- und Transformationsfonds: Das Bundesverfassungsgericht hat solche Umnutzung als illegal verurteilt.

Im Gespräch ist auch, der Bahn und der Autobahn GmbH Kredite statt Zuschüsse zu geben. Schließlich werden Darlehen an staatsnahe Konzerne nicht auf die Schuldenbremse angerechnet. Doch auch dieser Trick ist windig: Wie sollte die Autobahn GmbH, die keinerlei Geschäftsbetrieb hat, die Schulden je zurückzahlen? Seit August muss sich nun der Bundestag mit dem Konvolut beschäftigen. Ein Gutachten aus Lindners Finanzministerium selbst meldet schon "erhebliche Zweifel" an den geplanten Maßnahmen an.

Siehe auch Bericht Seite 10