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Einmal im Jahr gibt es Gedränge in der Prärie, wenn Cowboys und -girls die Büffel von der Weide holendpa/picture alliance

Ist es denn gar nicht kalt da oben?!“ Die Stimme aus einem laut gestellten Handy schneidet in die Stille des frühen Morgens, als wir hoch über den Black Hills von South Dakota schweben. „Nein“, ruft eine Männerstimme aus dem Korb unseres Heißluftballons zurück, „überhaupt nicht, ich habe drei Jacken an!“ Amüsiert drehen sich die anderen Fluggäste nach dem lauten Rufer um.

Es ist Joe aus Montana, ein älterer Biker mit langem weißem Bart. Die Aussicht auf die im Morgenlicht schimmernden heiligen Berge der Lakota mit ihren ­Fichten und Kiefern, den rauschenden Bächen, umherschleichenden Bergpumas und dem singenden Fichtenkreuzschnabel hat ihn so überwältigt, dass er diese Erfahrung noch im Fluge per FaceTime mit seiner Schwester in Florida ­teilen muss. Es ist Ende September und wir überfliegen das Gebiet, in dem das „größte Event von Nord-Amerika“ stattfinden wird: Der jährliche Buffalo-Roundup, ein spektakulärer „Almabtrieb“ der rund 1.500 Büffel, die im Custer State Park frei leben.

Der Buffalo-Roundup

Am nächsten Morgen ist der große Tag gekommen: Ich finde mich hochkant auf dem Rücken eines Jeeps wieder und klammere mein Leben an den Überrollbügel. Matt Snyder ist der Leiter des Parks und steuert unseren Wagen über Stock und Stein, brettert durch Bäche und düst mit Karacho die Hügel der geschwungenen Grasebene hinauf. Am Fuße eines der ockerfarbenen Hügel halten wir an und warten auf die Herde.

Derweil klärt Matt Grundsätzliches: ­Eigentlich heißen die Büffel Bisons. Büffel existieren nur noch als Wasserbüffel im asiatischen und afrikanischen Raum und im Tegeler Fließ von Berlin: „Bison“, erkärt er, „wäre zwar der korrekte Terminus, aber Buffalo ist der Wildwest-Name, der überlebt hat. Das ist schon okay, bis heute findet sich in unseren Büffeln Rest-DNA ihrer Vorfahren.”

Bisons sind durch ihr dickes Fell winter­fest, sie haben einen stirnlastigen Kopf und gucken friedlich aus der Wäsche, was den Besucher täuscht. Deshalb gilt: Nur gucken, nicht anfassen! 1.500 Tiere kann der State Park ernähren. Um diese Zahl konstant und die Tiere gesund zu halten, findet der jährliche Roundup statt: Dann werden sie von den Weiden in die Pferche getrieben, gezählt, geimpft, manche gehen in die Versteigerung, andere werden zu Hamburgern oder Steaks verarbeitet; das zarte Fleisch wird weltweit geschätzt. Der Rest trabt wieder nach Hause in die Prärie.

Büffel-Burger im Akkord

An diesem Morgen sind rund 23.000 Menschen sehr früh aufgestanden, um ab 6 Uhr 45 einen guten Parkplatz auf einer Anhöhe zu ergattern, wo sie das Spektakel gratis miterleben können. Es ist ein Volksfest. Fernsehen und Radio sind vor Ort und berichten 24/7. Mitten im Grasland stehen plötzlich lange ­Tische, an denen die schmackhaften Büffel-Burger im Akkord gebraten werden. Stolz werden Pferde in vollem Ornat präsentiert, die Gouverneurin kommt im Büffelfell zum Fotoshooting.

Am zentralen Sammelplatz steht auch Bob Lantis. Der ehemalige Rodeoreiter nimmt seit Jahrzehnten am Buffalo Roundup teil; mit seinen 88 Jahren ist er der älteste Teilnehmer und nur noch Haut und Knochen, aber einmal Cowboy, immer Cowboy. Er reitet, seit er denken kann und den Gedanken an den Ruhestand schnaubt er beiseite. „Cowboy bist du für dein ganzes Leben“, sagt er und erzählt von einer Lungenpunktur und vier Rippenbrüchen. „Mich hält nur noch meine Gürtelschnalle zusammen!“, tönt er sichtlich stolz.

Insgesamt 60 Reiter in vier Teams ­werden gleich die verstreuten Büffel zusammentreiben, dann über den Bergkamm rüber und runter zu den Pferchen. 20 der Reiterinnen und Reiter aus der Bevölkerung wurden ausgelost. Sie bringen ihre eigenen Pferde mit, die an Büffel gewöhnt sein müssen. Einer davon ist ­Daniel, mit 18 der jüngste Teilnehmer. „Büffel sind ein anderes Kaliber als Rinder“, erklärt er mir. „Es ist nicht ohne, so eine Herde zu treiben“, sagt er und seine ­Nervosität ist spürbar.

Wir stehen weiter wartend auf unseren Jeeps, doch mit einem Pfiff und einem Peitschenknall geht es plötzlich los. Östlich von uns wirbelt Staub im Gegenlicht; tausende Hufe lassen den Boden vibrieren, es klingt wie entfernter Donner. Und dann kommen die Tiere aus drei Richtungen über die Anhöhe gerannt. Hinter ihnen die Cowboys im gestreckten Galopp, sie juchzen und lassen die Peitschen knallen – mehr Wildwest geht nicht. Unsere Jeeps fahren zu ihrem Schutz hinterher, falls mal ein Büffel angreift.

Vor uns tanzt gerade ein Dickkopf aus der Reihe; sofort sprintet ein Reiter hinterher und bringt ihn wieder zurück. Man muss nicht die Augen schließen, um sich vorzustellen, wie einst 40 Millionen dieser Tiere hier durchgaloppierten und es Tage dauern konnte, bis eine Herde vorbeigezogen war. Im neuen Besucher­zentrum kann man sich ansehen, wie restlos die Lakotas die gejagten Büffel weiterverarbeitet haben.

Rund eineinhalb atemberaubende, knochendurchrüttelnde Stunden dauert es, bis wir alle den letzten Hügel erklommen haben und die Büffelherde runter zu den Pferchen galoppiert, manche machen Purzelbäume und rollen förmlich in die Gatter; die Tiere grunzen und schnauben. Am Ende ist alles gutgegangen, die Reiter stehen erschöpft und verschwitzt und fachsimpeln.

Ich sehe einen kleinen Jungen, der sich an die Chaps, die ledernen Beinkleider, seines Cowboy-Vaters klammert, der gerade vom Pferd steigt. Was für ihn das Schönste am Buffalo-Roundup ist? „Wenn mein Vater heile zurückkommt“, sagt der Kleine ernst. Er hat Angst, Daddy könnte vom Pferd fallen.

Für Bob Lantis hingegen verlief der Morgen diesmal nicht wie erhofft. Im aller­letzten Moment krachte es in seinem Rückengebälk, er musste diesmal aussetzen und zugucken. „Aber nächstes Jahr bin ich wieder am Start!“, ruft mir der zähe Oldie zum Abschied zu.

Erdgeschichte hinter jeder Kurve

Wer es bis nach South Dakota geschafft hat, lässt sich auch die anderen Sehenswürdigkeiten nicht entgehen. Die Goldgräberstadt Deadwood, einst von Juden aufgebaut, jetzt ein kleines Las Vegas, spielt in der gleichnamigen Fernsehserie die Hauptrolle. In den Badlands östlich der Black Hills wächst vor lauter Gluthitze und Sedimentgestein gar nichts, dafür aber blickt man ehrfürchtig auf 70 Millionen Jahre Erdgeschichte, die hinter­ jeder Kurve anders aussieht.

Rund 15 Kilometer südwestlich der Präsidentenköpfe des Mount Rushmore ragt die Monumentalskulptur Crazy ­Horse aus der Ebene. Herausgesprengt und -geschält wird aus dem 172 Meter hohen Felsen die Reiterfigur des Crazy Horse, eine universelle Darstellung eines Oglala-Lakota. Der Sioux-Häuptling ­Henry Standing Bear hatte sich an den polnischen Bildhauer Korczak Ziolkowski gewandt, der in der Nähe am Mount Rushmore arbeitete, mit der Bitte um ein Denkmal für die Ureinwohner des Landes.

Seit der ersten Sprengung 1948 haben er, seine Frau und Kinder 10 Millionen Tonnen Gestein aus dem Felsen gesprengt, und trotzdem war 1998 gerade mal das Gesicht fertig. Zum 75-jährigen Jubiläum der Erstsprengung im letzten Jahr wurde die Hand vollendet.

Steht man oben auf dem Felsen – der jährliche „Volksmarch“ bietet dazu ­Gelegenheit – und schaut hinauf in die Nasenlöcher der Skulptur, erscheinen sie tief wie der Marianengraben; beim Anblick packt einen der Schwindel. Sie sind einfach unverstelllbar groß.

Hier arbeitet – ebenfalls seit seiner Kindheit und ganz sicher bis ans Ende seiner Tage – Caleb Ziolkowski, der Enkel von Korczak, der am Fuß des Berges begraben liegt. Wie sein Großvater weiß der Skulpteur, das hier ist ein Job fürs ­Leben. „Wir bauen hier nicht nur ein Gebäude oder Figur für die Ewigkeit. Der Fortschritt, der Prozess an sich hat einen großen Einfluss auf die Gegend.“ Caleb ist davon überzeugt, dass die Skulptur, die erst lange nach seinem Tod und dem ­seiner Kinder vollendet werden wird, das Zeug dazu hat, das Bewusstsein der US-Amerikaner zu verändern.

Mit Größe kann man die Amerikaner und Amerikanerinnen am besten beeindrucken. Und so wird dereinst allein der Pferdekopf der Skulptur größer sein als alle vier Präsidentenköpfe des Mount Rushmore zusammen.

Reisetipps

Nächster Buffalo-Roundup: 26.9. bis 28.9.2024

greatamericanwest.de

custerresorts.com/activities/buffalo-roundup

crazyhorsememorial.org

Hotel Bavarian Inn Black Hills:

bavarianinnsd.com

Essen und Trinken in Custer:

mtrushmorebrewingcompany.com

Literatur: Sebastian Barry, Tage ohne Ende, Steidl Verlag