Ausgabe 05/2024
Es geht um Frauenleben
Über ein halbes Jahrhundert ist es her, dass 374 Frauen im stern bekannten: "Wir haben abgetrieben!" Es war 1971 mehr als mutig, öffentlich ein Geständnis abzulegen, gegen geltendes Recht verstoßen und sich strafbar gemacht zu haben. Und zu sagen: "Mein Bauch gehört mir." Es ging den Frauen damals um Selbstbestimmung, für die sie notfalls auch selbst Hand anlegten. Viele Frauen starben dadurch. Und auch heute noch sterben weltweit jährlich zehntausende beim Versuch, eine ungewollte Schwangerschaft eigenhändig zu beenden – mit Stricknadeln, Drahtbügeln, Säure und ätzenden Seifenlaugen.
Fakt ist: Auch im Jahr 2024 ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland grundsätzlich immer noch ein Straftatbestand. Er bleibt nur dann straffrei, wenn er in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen wird und zuvor eine Beratung stattgefunden hat.
Der Hoffnung, dass mit der deutschen Wiedervereinigung das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten, wie es in der DDR galt, bundesweit greifen würde, schob das Bundesverfassungsgericht 1993 einen Riegel vor. Das oberste Gericht kippte eine im Jahr zuvor vom Bundestag beschlossene gesamtdeutsche Fristenregelung und urteilte: Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben – auch das ungeborene – zu schützen. Der Bauch einer Frau – er gehört demnach dem Staat. Der den Frauen so zudem unterstellt, leichtfertig Schwangerschaften abzubrechen, was zahlreichen Studien zufolge nicht stimmt. Überwiegend sind es existenzielle Gründe.
Wie veraltet die Sicht des Staates ist, zeigte zuletzt eine Umfrage aus dem Frühjahr 2024 im Auftrag des Bundesfrauenministeriums. Laut der lehnen mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung den Straftatbestand bei Schwangerschaftsabbruch ab. Parteiübergreifend. Selbst unter Wählerinnen und Wähler der Union, die sich gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen ausspricht, sind es 77,5 Prozent, die für eine Legalisierung sind, bei der AfD 67,4 Prozent. Bei der SPD sind es 87,5 Prozent, bei den Grünen 92,4 Prozent, bei den Linken 93,9 Prozent. Und selbst unter Katholikinnen und Katholiken ist es eine Mehrheit von rund 65 Prozent.
Auch die von der Bundesregierung 2023 beauftragte Expertenkommission aus 15 Frauen und drei Männern aus den Bereichen Ethik, Medizin und Recht empfiehlt, Abbrüche in der Frühschwangerschaft grundsätzlich zu erlauben. Das Recht sei eine Grundvoraussetzung für die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen. Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten heute im Gegensatz zu 1993 einer "verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung" nicht stand. Die Expertenkommission hatte bereits im Februar dieses Jahres ihr entsprechendes Gutachten vorgelegt.
Die ver.di-Frauen begrüßen die Empfehlung der Expert*innen. "Wir freuen uns darüber, dass die Stigmatisierung und die unzureichende Versorgungslage, die der Paragraf 218 für viele Frauen mit sich bringt, endlich angegangen werden soll. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, jetzt nicht länger zu zögern: Es muss noch in dieser Wahlperiode ein Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs zur Beratung und Abstimmung im Bundestag vorgelegt werden", heißt es in einem offenen Brief, den die ver.di-Frauen zusammen mit zahlreichen Verbänden und Organisationen an die Bundesregierung adressiert hat. Ziel müsse es sein, die Versorgung von ungewollt Schwangeren sicherzustellen und zu verbessern.
Vorausgegangen war dem Brief eine Abstimmung in der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz der Länder im Juni, die sich nahezu einstimmig dafür aussprach, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. Die einzige Gegenstimme kam aus Bayern.
Ein Recht für alle Frauen in Europa
Gleichzeitig unterstützen die ver.di-Frauen die Europäische Bürgerinitiative, die die Europäische Kommission auffordert, einen Vorschlag für eine finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten vorzulegen, die in der Lage sind, sichere Schwangerschaftsabbrüche in Einklang mit ihrem nationalen Recht für alle Frauen in Europa durchzuführen, die noch keinen Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen haben.
Nun ist es erstmal an der Bundesregierung, einen neuen Gesetzentwurf für Deutschland vorzulegen. Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Die Grünen) hat Anfang Juli vorerst ein Gesetz durchgebracht, das schwangere Frauen vor Belästigungen durch Abtreibungsgegner schützt. Letzteren droht künftig ein Bußgeld von bis zu 5.000 Euro, wenn sie Schwangere etwa vor Frauenarztpraxen bedrängen. Bereits im Juni 2022 hatte der Bundestag die ersatzlose Streichung des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche (§219a) beschlossen. Bis dahin hatten sich Ärzt*innen strafbar gemacht, wenn sie öffentlich Informationen über den Ablauf und die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen bereitstellten.
Gegen eine Reform des Paragrafen 218, möglicherweise auch seiner Abschaffung, spricht nun wirklich nichts mehr.
Unterschreiben für die EU-Bürgerinitiative kann Frau und Mann hier: