Ausgabe 05/2024
Für alle Fälle ein Rad
„Im Urlaub war ich mit Gepäck in den Alpen. Nichts rollt besser über den Asphalt als ein Rennrad“, sagt Hobbyradler Jörg. „Meine Knie reichen nicht mehr fürs Wandern, aber ich kann wenigstens noch Fahrrad fahren“, erläutert Diane, die regelmäßig mit dem Zweirad im Urlaub ist. „Mit unseren neuen E-Bikes waren wir sogar schon in Frankreich und in den Weinbergen“, schwärmt Ralf. Drei Menschen, drei unterschiedliche Ansprüche ans Fahrrad im Urlaub. Das Interesse am Pedaltreter ist seit Jahren ungebrochen.
Erfunden wurde das Fortbewegungsmittel mit den zwei Rädern vermutlich im Jahr 1817 in Deutschland von Baron Karl von Drais. Die zweirädrige Draisine hatte damals keine Pedale, es handelte sich um ein sogenanntes Laufrad. Seit damals wurde dieses erste Holzross immer weiterentwickelt, es bekam ein Tretlager, wurde aus Stahl gebaut und später in anderen Materialien wie Aluminium, Carbon oder Titan. Die ersten E-Bikes, die als solche bezeichnet werden könnten, gab es schon vor 1900. Mit der Erfindung neuer leichter Akkus setzte ab dem Jahr 2000 ein Verkaufsboom ein. Im letzten Jahrzehnt wurden die E-Bikes damit neben dem klassischen Fahrrad beliebter für Reisen.
Der Fahrradtourismus, hauptsächlich mit klassischen Modellen, hat seit den 1980er Jahren zunehmend Fans gewonnen. Nach einem Höhepunkt von 5,5 Millionen Deutschen, die im Jahr 2018 eine Radreise mit mindestens drei Übernachtungen machten, waren es in den Coronajahren zunächst weniger, danach aber stieg die Zahl wieder an. 2023 wurde zwar das alte Niveau noch nicht wieder erreicht, doch immerhin insgesamt 3,6 Millionen Deutsche machten mit dem Rad Urlaub und übernachteten unterwegs.
Am häufigsten nehmen die Deutschen mit ihren Liebsten ihr Rad zum Reisen im eigenen Land. 20 Prozent reisen auch schon mal allein. Rechnet man alle Menschen in Deutschland zusammen (also nicht nur die Radwanderer), dann haben 2023 laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) 37,4 Millionen Menschen ihr Fahrrad im Urlaub und auf Tagesausflügen genutzt. Nahezu jeder Zweite.
40.000 Kilometer Radfernwege
Durch Deutschland führen viele Radrouten mit eigenen Besonderheiten. Die Deutsche Märchenstraße beispielsweise ist auf das Entdecken von Sagen und Märchen ausgerichtet. Insgesamt vier Routen führen von der Gebrüder-Grimm-Stadt Hanau im Süden bis in den hohen Norden nach Bremen zu den berühmten Stadtmusikanten. Unterwegs treffen Radler*innen auf Spuren der Märchenerzähler, nebst den berühmten Gebrüdern und anderen, wie dem Lügengeschichtenerzähler Freiherr von Münchhausen in Bodenwerder. Die gut beschriebenen Routen gibt es kostenlos, inklusive Etappenvorschläge und GPS-Tracks im Internet.
Unzählige weitere Radfernwege warten darauf, entdeckt zu werden. Ihre Namen sind Programm: 100-Schlösser-Route, Berliner Mauerweg, Eiszeitroute Mecklenburgische Seenplatte, Gurken-Radweg in Brandenburg, Meerweg oder der Mozart-Radweg in Bayern und Österreich. Es gibt zahlreiche weitere. In Summe kommen in Deutschland über 40.000 Kilometer Radfernwege zusammen, die eine ausgeschilderte Wegführung haben und für die es spezielle Karten gibt. Der ADFC bietet auf seiner Homepage einen Überblick über die beliebtesten und meistbefahrenen.
Für ein märchenhaftes Erleben und den nötigen Service sorgen unterwegs kleine und große Hotels, Pensionen und Gasthäuser bis hin zu Schlosshotels, vor allem auf Radfernwegen, die häufig von Touristen besucht werden. Oftmals gibt es neben landschaftlich reizvollen Lagen auch kleine Heimatmuseen zu entdecken oder interessante Baustile, von Fachwerkhäusern bis zu Burgen und Schlössern.
Neue Räder, neue Ansprüche
Ob allein, zu zweit, mit der ganzen Familie oder in der Freundesgruppe, das Reisen mit dem Rad ist auch deshalb für viele so beliebt, weil es eine Vielzahl an Fahrrädern gibt, die nahezu jeden Wunsch erfüllen. Mit E-Bikes können heute auch ältere Menschen wieder größere und anspruchsvollere Strecken fahren. Und ob Familien mit Kindern, Single mit Reisegepäck oder Sportbegeisterte – das Radfahren im Urlaub ist ein umweltfreundlicher Spaß und eine günstige Alternative zum Flugzeug oder Auto. Beliebteste Räder bei den Deutschen sind Trekkingräder.
Die Fahrradmesse Eurobike in Frankfurt/Main präsentierte im Juli eine breite Palette an neuen Rädern. Die Aussteller präsentierten nicht nur ihre exklusiven Modelle in den Hallen – nebst Zubehör wie Radschuhen, Sätteln, Packtaschen und technischem Equipment –, sie lockten auch zum Testen der neuen Modelle auf eine Außenstrecke. Dort konnten Lastenräder, E-Bikes, Urbanfahrräder und Co. ausprobiert werden, auch bergauf durch ein von Autos freigeräumtes Parkhaus. Seite an Seite kurvte die Mutter auf dem antriebstarken E-Bike mit ihren zwei Kindern auf dem Rücksitz mit dem Anzugträger auf dem Klapprad, der sportive Rennrad-Fan mit dem Mountainbike-Enthusiast, die E-Bike-Testerin mit dem Lastenradfahrer.
Vor allem E-Bikes wurden ausgiebig getestet. Kein Wunder, die motorisierten Räder schließen eine Lücke zwischen den ausschließlich mit Muskelkraft betriebenen Zweirädern und den immer größer werdenden Autos. Sie erfüllen die Ansprüche an ein modernes Leben und flexibles Parken vor allem in der Stadt. Im Jahr 2023 gab es bereits über 12 Millionen Personen ab 14 Jahren, die ein E-Bike im Haushalt besaßen. Laut Fahrradindustrie-Auskunft (ZIV) sind E-Bikes die neuen Markttreiber. Mit 53 Prozent (2,1 Millionen) wurden 2023 erstmals mehr E-Bikes als klassische Fahrräder (47 Prozent bzw. 1,9 Millionen) verkauft.
Neue Wege
Auf der Eurobike gab es aber auch ein paar selbstkritische Töne: So betonte die Gleichstellungsexpertin Isabel Eberlein in einem Interview, dass die Fahrradindustrie noch immer stark männlich geprägt sei. Der verengte Blick begrenze den Rahmen für Innovationen. Zudem fehle es an Fachpersonal. Das heißt im Prinzip: Solange die Branche auf die Hälfte ihres möglichen Personals, nämlich Frauen, verzichtet, und auch frauenspezifische Bedürfnisse und Entwicklungen vernachlässigt, werden Potenziale verschenkt.
Angesichts der wachsenden Umweltprobleme und Klimaerwärmung sollte jedoch jede Anstrengung unternommen werden, das Radfahren nicht nur im Urlaub zu befördern. Geschäftsführer Burkhard Stork vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sagt: „Die steigenden Kosten für Mobilität, Energie, Mieten und Lebenshaltung sowie ein zunehmendes Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein sind Rahmenbedingungen, die die Beliebtheit von Fahrrädern und E-Bikes aktuell und sicher auch in Zukunft steigern werden. Die Politik darf das Fahrrad nicht vergessen.“
Um Menschen aufs Rad zu bringen, dazu gehören eben nicht nur schöne Landschaften, sondern auch entsprechende Städteplanungen. Expertin Carolin Kruse erläuterte anlässlich der Messe, dass sogenannte verkehrsberuhigte „Superblocks“ erstmals 2003 in Barcelona entstanden sind, inzwischen gibt es sie in vielen weiteren Städten wie London, Amsterdam, Wien und Paris. Nicht nur, dass in diesen „Blocks“ die Lebensqualität gestiegen ist – die Luft ist besser, die Zahl der Unfälle gesunken – diese verkehrsberuhigten Viertel seien auch attraktiver, so die Expertin, für Geschäfte und lokale Betriebe.
So viel ist klar, werden die Städte attraktiver für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, dann bieten sie neben den bekannten Radfernwegen eine weitere Möglichkeit für einen umweltfreundlichen Urlaub auf zwei Rädern.