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Ein hohes Rentenniveau macht auch ein Haustier im Alter möglichFoto: plainpicture

ver.di publik: ver.di kritisiert die Rentenpläne der Bundesregierung zum Generationenkapital auf Aktienbasis scharf. Aber der Teil des Rentenpakets, der ein Rentenniveau von 48 Prozent sichern soll, ist doch grundsätzlich eine gute Sache, oder?

Kerschbaumer: Ja, aber das ist uns natürlich zu wenig. ver.di fordert ein Rentenniveau von mindestens 53 Prozent vor Steuern. Aber 48 Prozent sind ein erster wichtiger Schritt, der dauerhaft sein sollte.

Wie lang ist „dauerhaft”?

Jetzt haben wir die 48 Prozent bis zum 30. Juni 2040. Das ist schon relativ lang, aber Koalitionen können sich ändern. Die Bundesregierung muss 2035 einen Bericht an den Bundestag abgeben, ob und welche Maßnahmen erforderlich sind, um das Sicherungsniveau über das Jahr 2039 hinaus bei 48 Prozent konstant zu halten. Vielleicht können wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens das „dauerhaft“ noch ein bisschen stärker verankern.

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Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und Referentin AlterssicherungspolitikFoto: privat

Wenn wir diese 48 Prozent langfristig stabilisieren wollen, welche konkreten Maßnahmen sind dafür notwendig?

Geld. Einfach mehr Geld, langfristig gesehen. Der Beitragssatz liegt aktuell bei 18,6 Prozent. Wenn wir nichts unternehmen, würde der Beitragssatz bis Mitte der 2030er Jahre allein durch den Renteneintritt der Babyboomer auf 21,3 Prozent ansteigen. Das ist nicht tragisch, denn die Arbeitgeber beteiligen sich zur Hälfte. Gleichzeitig würde das Rentenniveau von den aktuellen 48 Prozent auf etwa 45 Prozent absinken. Das wollen wir nicht. Wir möchten das Renten­niveau mindestens bei 48 Prozent stabilisieren, idealerweise aber auf 53 Prozent erhöhen, wie es unser Beschluss vorsieht.

Du hast in einem Vortrag gesagt, dass das Generationenkapital unbedingt verhindert werden muss. Was sind die größten Risiken dabei?

Die Idee des Generationenkapitals stammt aus dem Finanzministerium, das ist aktuell unter einer FDP-Führung. Sie haben sich – in Anlehnung an Schweden – etwas Besonderes ausgedacht: Der Staat leiht sich Geld, zahlt dafür Zinsen, legt es an, hofft auf hohe Renditen und plant ab Mitte der 2030er Jahre aus den Erträgen jährlich 10 Milliarden Euro an die Rentenversicherung abzugeben, damit der Beitragssatz nicht so hoch ansteigt. Niemand weiß heute, ob diese Geschäftsidee so funktioniert. Langfristig besteht das größte Risiko darin, dass irgendwann ein Teil unserer Beiträge dafür verwendet wird, weil das vorhandene Geld nicht ausreicht, um das Ziel zu erreichen, den Beitragssatz nicht ansteigen zu lassen. Finanzminister Lindner spricht offen davon.

Was passiert, wenn ein Teil der ­Rentenversicherungsbeiträge in das Generationenkapital fließt?

Wenn weniger Geld für die Renten zur Verfügung steht, müssen Leistungen gekürzt werden. Abgeleitete Ansprüche sind verfassungsrechtlich weniger wert als eigene Ansprüche, also könnten zuerst Hinterbliebenenrenten gekürzt werden.

Wie können wir verhindern, dass sich dieses Modell etabliert? Durch die Schuldenbremse ist ja eigentlich kein Spielraum mehr, oder?

Die Schuldenbremse sollte auch für ­solche Fälle ausgesetzt werden. Viel einfacher wäre es, statt Geld anzulegen, um es später wieder in die Rentenkasse zu packen, es direkt dort zu investieren. Dazu könnten die Bundeszuschüsse erhöht, also mehr Steuergeld für sozialen Ausgleich verwendet werden. Das wäre auch effizienter, da keine Anlagekosten und Zinsen anfallen.

Was würde passieren, wenn man das Geld tatsächlich direkt in die Rentenkasse einzahlt?

In der Rentenversicherung gibt es nur ­einen Topf für unterjährige Schwankungen, die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage. Die ist erforderlich, da zwar ­jeden Monat die Renten gleich hoch sind, aber die Einnahmen nicht. In den Monaten September und Oktober kommt ­erfahrungsgemäß immer weniger Geld herein, als gebraucht würde. Wenn jetzt deutlich mehr Geld in die Rentenkasse eingezahlt würden, müsste nach einer gesetzlichen Regel der Beitragssatz abgesenkt werden. Das können wir nicht wollen.

Wenn das Generationenkapital im Rentenpaket II doch Gesetz wird, wo wird dann so ein Kapital angelegt?

Verwaltet werden soll es von einer unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Stiftung, die noch in diesem Jahr gegründet werden soll. Das Kapital soll zunächst im KENFO, dem Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung angelegt werden. Ein Problem dabei ist, dass es keine gesetzlich festgelegten Kriterien für die Kapitalanlage gibt, wie etwa ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). ver.di möchte kein Geld mit unethischen Geschäftspraktiken verdienen, wie Kinderarbeit oder Waffenhandel. Ob sich die Stiftung selbst welche geben wird, weiß heute niemand.

Wir werden den Gesetzentwurf weiter kritisch begleiten und im September, sollte es nun so kommen, in der Anhörung versuchen, negative Entwicklungen zu verhindern. Der erste Teil des Gesetzes ist zu begrüßen, den zweiten Teil lehnen wir ab. In der nächsten Legislaturperiode wird dann das Thema Rente, Renteneintrittsalter und ähnliche Themen wieder auf der Tagesordnung stehen.

INTERVIEW: Rita Schuhmacher