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Foto: Alejandro Ayala

Tomin: Flores para Verene/Cantos para Caramina

Sein Geld verdient Tomin Perea-Chamblee als Bioinformatiker in einer Krebsforschungseinrichtung. Sicherlich ein erfüllender Beruf, aber Musik macht er eben auch noch. Und dass die Musik für ihn mehr ist als ein bloßes Hobby, wird beim Hören des Debütalbums des Multiinstrumentalisten aus New York schnell klar.

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Dass Tomin, wie er sich als Musiker nennt, aber eben auch Forscher ist – auch das ist deutlich zu hören. Nachgerade wissenschaftlich geht er an den Jazz heran. Die 24 Stücke, die der 27-Jährige für Flores para Verene/Cantos para Caramina (Blumen für den Sommer, Lieder für den Weg) komponiert, arrangiert und auf verschiedenen Instrumenten eingespielt hat, sind bisweilen nicht einmal eine Minute lang – und damit schon zu Ende, wenn im Jazz ein Stück normalerweise erst beginnt, wenn die Stimmung gesetzt, das Thema etabliert ist, und die Musiker nun in der

Improvisation ihre Virtuosität beweisen sollen. Doch so weit kommt es nie. Stattdessen destilliert Tomin wie in einem Labor die Essenz klassischer Aufnahmen, verbeugen sich seine Chöre aus Blech- und Holzblasinstrumenten vor Größen aus vergangener Zeit von Duke Ellington über Charles Mingus und John Coltrane bis zu Granchan Moncur III.

Es sind kurze, aber dafür sehr pointierte Respektsbekundungen, die ganz bewusst nicht mit der instrumentalen Könnerschaft der Vorbilder konkurrieren. Stattdessen versucht Tomin lieber, alternative Wege aufzuzeigen und erzeugt dabei erstaun­liche Stimmungsschwankungen, auch wenn sich das fast ätherisch anmutende Klangbild kaum verändert. So streng das Setting auch ist, mal steht man in einer ­Kirche (Love), mal feiert man Karneval (Spirits Rejoice, Var 1), mal geht es im Entenmarsch (The Prayer), mal als Trauermarsch (Ogún Bára) voran. Und nicht nur manchmal hat man das Gefühl, Tomin möchte hier den Jazz als Infinitesimalrechnung – mit unendlich kleinen Größen – auf die vier Grundrechenarten herunterbrechen. Wissenschaftler halt. Aber eben auch ein Vollblutmusiker. Thomas Winkler

INTERNATIONAL ANTHEM/INDIGO

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Pat Metheny: Moon Dial

Seit Mitte der Siebziger Jahre ist Pat ­Metheny, Jahrgang 1954, einer der einflussreichsten Jazzgitarristen. Zwanzig Grammys zeugen von seinem Ausnahmetalent. Doch sein musikalischer Horizont weist schon immer über das Jazz-Kerngeschäft hinaus. Mit Moon Dial legt der US-Amerikaner mal wieder ein Solo-Projekt vor. Keine Jazzplatte, sondern ein Album ausschließlich mit akustischer Gitarre, in das Metheny all sein Können und seine Kenntnis der Jazz-­Improvisation hineingelegt hat. Die ­breite Palette umfasst eigene Kompositionen aber auch Adaptionen von Stücken wie Bernsteins Somewhere, den Beatles-Klassiker Here, There and Everywhere oder das Folk-Traditional Londonderry Air. Alles gespielt auf einer sogenannten Bariton-Gitarre in einer tieferen Stimmung, die mit ihren Nylonsaiten auch einen schönen Basston hergibt. Statt eines eitlen gitarristischen Feuerwerks, gibt es überlegene musikalische Gestaltung – alles in makellosem Sound. Optimal sowohl für konzentriertes Hören, aber auch gut zum Chillen in einer weit vorgerückten Abendstunde. Peter Rixen

CD MODERN RECORDINGS, BMG

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Meshell Ndegéocello: No More Water. The Gospel Of James Baldwin

100 Jahre alt wäre James Baldwin am 2. August geworden. Ein Jubiläum, dessen Bedeutung in der afro-amerikanischen Community gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn der 1987 verstorbene, auch als Bürgerrechtler aktive Baldwin gilt als wichtigster Schriftsteller, der rassistischem Sprachgebrauch und Vorstellungen der amerikanischen Mainstreamgesellschaft in seinen Romanen, Gedichten, Theaterstücken und Essays ein kämpferisches Schwarzes Selbstbewusstsein entgegensetzte. Mit No More Water, das pünktlich zu seinem runden Geburtstag erscheint, versucht Meshell Ndegéocello nun, die Werke der Ikone einem noch breiteren Publikum zu erschließen, aber auch zu aktualisieren. Acht der 17 Stücke basieren auf Texten von Baldwin, sie werden zusammen mit Ndegéocellos ­eigenen Lyrics – mal gelesen, mal gesungen – in wundervoll atmosphärischen Jazz verwandelt. Dabei entsteht ein gewaltiger Kontrast zwischen der harschen Realität des Rassismus und den ­federleicht hingetupften Soundgebilden, die Ndegéocello und ihre Band zum Schweben bringen. Ein Kontrast, der die aktuelle Zerrissenheit der USA brillant in Töne setzt. Thomas Winkler

BLUE NOTE/UNIVERSAL