2024_07_DGB_Transformationskonferenz.jpg
Gruppenbild – alle wollen das Thema Bildungsurlaub mit in die öffentlichen Betriebe nehmenFoto: Farina Mietchen

Es ist eine Binsenweisheit, dass in den Unternehmen ohne die Beschäftigten nichts funktioniert. Noch deutlicher wird es jetzt in der Transformation, die die ­Arbeitswelt rasant verändert und deren Erfolg nicht nur von technologischen Fortschritten abhängt, sondern vor allem von gut ausgebildeten Fachkräften und einer effektiven Planung und Umsetzung. Denn klar ist: Einer der bestimmenden Eckpfeiler der Transformation ist die derzeitige demografische Entwicklung, die uns mit jeder Kolleg*in, die in den Ruhestand geht, und jedem erfolglos besetzten Ausbildungsplatz vor Augen führt, dass sich an den beiden Enden der Alters­pyramide weiter Entscheidendes tut.

Die geburtenstarken Jahrgänge gehen jetzt oder werden in den kommenden nicht mal mehr zehn Jahren in den – verdienten –Ruhestand gehen. Gleichzeitig sind die Jungen, die ihren Platz einnehmen sollen, deutlich weniger. Und viele von ihnen haben andere Vorstellungen davon, wie sie ihr Berufsleben verbringen wollen im Vergleich zu den zukünftigen Rentner*innen, die in den letzten Jahrzehnten oft genug deutlich zu viel gearbeitet haben.

Städtische Unter­nehmen fit machen

Beschreibt Thies Hansen, der Betriebsratsvorsitzende des Gasnetz Hamburg, die Herausforderungen der Energiewende in Hamburg, wird es besonders deutlich: „Klimawandel und Transformation treffen bei uns im Gasnetz Hamburg auf eine Belegschaft, die seit den 90er Jahren radikal verschlankt worden ist. Die Hälfte unserer Kolleginnen und Kollegen ist 51 Jahre oder älter.“ Viele derjenigen, die das Wasserstoff- und Wärmenetz der Zukunft bauen sollen, müssen erst noch ausgebildet werden – und die, die bald gehen, sollten ihr Wissen dem Unternehmen dringend zur Verfügung stellen. Sonst geht es mit ihnen in den Ruhestand. „Wir brauchen 45 zusätzliche Stellen, allein um den Wissenstransfer zu sichern. Und wir brauchen sehr dringend eine Aus­bildungsoffensive. Bevor ein Kollege verantwortlich allein auf einer Baustelle ­arbeiten kann, muss er inklusive Ausbildung sieben Jahre den Beruf lernen. Sonst wird das nichts.“

Gleichzeitig sind die Herausforderungen der Energietransformation in der Hansestadt gewaltig und erfordern deswegen viel mehr Beschäftigte. Die Wärmeversorgung der Hamburger*innen sorgt für fast 50 Prozent aller Hamburger CO₂-Emissionen. Sie muss also sehr zügig in den kommenden Jahren deutlich klima­neutraler werden und weg von fossiler Energie auf ein neues System umgestellt werden – vor allem auf Elektrizität. „Hamburg wird 30.000 Kilometer Stromnetz auf links drehen müssen, in nur zehn Jahren“, so Thies Hansen weiter.

„Transformation wollen alle, nur bezahlen will sie keiner.“ Ole Borgard, stellvertretender Landesbezirksleiter von ver.di Hamburg

Die Umstellung von fossiler auf erneuerbare Energie wird Hamburg mittel- und langfristig einen deutlichen Wettbewerbsvorteil bringen. Hamburg ist im Vergleich zu anderen Städten dieser Größenordnung in der Planung deutlich weiter. Wenn die Umsetzung ebenfalls schneller erfolgt, wird das neue Energiesystem wesentlich effizienter sein und den Standort erheblich aufwerten.

Tarifbindung darf kein Nachteil sein

Planen ist das eine, es tatsächlich umsetzen eine andere, weit größere Baustelle. Und dafür braucht man vor allem gut qualifizierte und motivierte Beschäftigte. „Bei den Hamburger Elektrizitätswerken hatten wir früher 120 Auszubildende, heute sind es viel weniger“, sagt Ulrich Buczko, der Betriebsratsvorsitzende des städtischen Energiehubs Moorburg. Dort bauen sie gerade das erst 2015 in Betrieb genommene und inzwischen wieder stillgelegte Steinkohlekraftwerk mit 1.600 Megawatt Leitung zu einem Elektrolyseur um, der mit grünem Wasserstoff in Endausbau insgesamt 800Megawatt Leistung haben soll. „Den Umbau unserer Energienetze stemmen wir nur mit deutlich mehr Fachkräften. Wir brauchen daher dringend wieder die überbetriebliche Ausbildung bei den städtischen Unternehmen. Wir müssen die Menschen mit Migrationshintergrund schneller für den Arbeitsmarkt fit machen.“

Aber nicht nur die Energiebranche sucht händeringend neue Leute. „Wir haben eine grundsätzliche Schieflage auch in den Kitas und Krankenhäusern, 80.000 Pflegekräfte fehlen bundesweit allein im Krankenhausbereich“, sagte Ole Borgard, der stellvertretende Landes­bezirksleiter von ver.di Hamburg, während der Podiumsdiskussion vor allem in Richtung der beiden Senatorinnen ­Melanie Leonhard (Wirtschaft und Innovation) und Melanie Schlotzhauer (Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration, beide SPD). „Was die Attraktivität angeht, haben wir auch in Hamburg einen enormen Nachholbedarf, zum Beispiel im Bereich der Kitas. Und die Stadt Hamburg als Sozialpartner der Gewerkschaften sollte das Hauswirtschaftspersonal in den Tochterunternehmen der Elbkinder endlich angemessen bezahlen und für eine ausreichende ­Refinanzierung von Tarifabschlüssen ­sorgen. Tarifbindung darf nicht zum Wettbewerbsnachteil gegenüber tariflosen privaten Kita-Trägern werden.“

Ein weiterer, leicht zu realisierender Baustein, um in den städtischen Unternehmen nachhaltig genug Personal für die Transformation zu haben, wäre, dass die Hamburger Regierungspartner SPD und Grüne endlich ein Tariftreuegesetz verabschieden, das den Namen auch verdient. „Jeder öffentliche ausgegebene Cent sollte nur an tarifgebundene Betriebe gehen. Dafür braucht Hamburg aber endlich ein vernünftiges Tariftreuegesetz“, sagte Tanja Chawla, die Hamburger DGB-Vorsitzende. „Darin sollte auch geregelt sein, ab welcher Größe Startups tarifgebunden sein müssen, wenn sie eine öffentliche Förderung bekommen.

Ohne Weiterbildung wird’s nicht gehen

Um den wachsenden Aufgaben der Transformation in den Unternehmen ­gewachsen sein zu können, brauchen Beschäftigte Aus- und Weiterbildung. ­Aufgrund des Fachkräftemangels und der daraus resultierenden Mehrbelastung für die Beschäftigten bleiben dafür aber oft keine Kapazitäten. „Schlüsselbereiche wie zum Beispiel der ÖPNV sind in den vergangenen Jahren regelrecht kaputtgespart worden, und die Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu. Transformation in dem Bereich wollen alle, nur bezahlen will sie keiner“, sagt Ole Borgard. „Wir werden die vor uns liegenden Herausforderungen nur bewältigen können, wenn wir die Betroffenen zu Beteiligten machen und die Kolleginnen und Kollegen auch Zeit für Aus- und Weiterbildung bekommen.“

Olaf Harms, der ehrenamtliche Vorsitzender von ver.di Hamburg, will daher die Belastungssituation und das Arbeitspensum stärker in den Vordergrund ­rücken: „Bei vielen Kolleginnen und Kollegen wird das E-Mail-Postfach nie leer, die Belastungssituation steigt massiv an. Daher müssen wir anfangen, mit unseren Betriebsräten das Arbeitspensum an den Arbeitsplätzen zu thematisieren und ­ähnliche Systeme zu schaffen wie zum Beispiel in den Krankenhäusern. Dort müssen Mehrbelastungen über eine bestimmte Anzahl von Patienten hinaus dokumentiert und ausgeglichen werden. Das gleiche System sollten wir auf andere Bereiche ausweiten.“

Und auch Bildungsurlaub könnte helfen, die Beschäftigten zu entlasten, aber kaum jemand nutzt ihn. Dabei haben Hamburger Arbeitnehmer*innen das Recht auf bis zu zehn bezahlte Arbeitstage innerhalb von zwei Jahren für politische oder berufliche Weiterbildung. Der Arbeitgeber trägt dabei die Freistellung von der Arbeit, die Kursgebühren ragen die Bildungsurlauber*innen. Auch diese Botschaft ist bei den beiden Senator*innen angekommen. Und hier haben sie sich ins Pflichtenheft geschrieben, das aktiv zu befördern, zumindest in den städtischen Betrieben. „Den Bildungsurlaub nehmen wir in unsere Betriebe mit“, sagte Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard zu. „Wir müssen zeigen, dass Bildungsurlaub ein echter Mehrwert ist.“

Also: Auf, auf Kolleg*innen, hier geht es direkt zur Entlastung in der Transformation – jede und jeder darf, bis zu zehn Tage im Jahr (weiter)bilden: bildungsurlaub-hamburg.de