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Beschäftigte in Dienstleistungsberufen wie der Krankenpflege leisten EmotionsarbeitFotos: Pia Kiara Hilburg
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Luca möchte ihre Jeans umtauschen, hat aber keinen Kassenzettel. Und jetzt? Als Verkäufer ist Sam gefragt, gut zuzuhören, Verständnis zu zeigen, Argumente ­vorzutragen und gemeinsam eine Lösung ­zu finden. Mitten in der Ausstellung „Dienstleistung“ im DASA-Arbeitsschutz-Museum in Dortmund steht eine breite, ­silberne Rutsche zu der ein weißes Podest hochführt: Bei dem Rollenspiel gilt es, in die Rollen der Kundin und des Verkäufers zu schlüpfen – und Stufe für Stufe das Podest hinaufzusteigen. Gelingt ein Happyend? Dann rutschen beide Hand in Hand hinunter.

Interaktionsarbeit ist harte Arbeit

Die Ausstellung lenkt den Blick darauf, welche enormen Sozialkompetenzen die Arbeit in Dienstleistungsberufen erfordert. „Oft werden sie nur als ‚soft skills‘ benannt, dabei handelt es sich um grundlegende Fähigkeiten“, sagt Sarah-Louise Rehahn aus dem Kuratorenteam. Erst durch Interaktion sei die Arbeit mit Menschen überhaupt möglich. Dabei spielten Sprache, Emotionen und Respekt eine ganz zentrale Rolle.

Ob im Supermarkt, im Café, in der Kita, im Krankenhaus, im Pflegeheim, im Callcenter, in der Arztpraxis oder, oder, oder: Tagtäglich müssen die Beschäftigten auf die Bedürfnisse von Menschen eingehen, mit ihren Wünschen und Launen umgehen, sich blitzschnell auf neue Situationen einstellen, Konflikte entschärfen, Missverständnisse vermeiden, mit den eigenen Gefühlen umgehen – und dabei stets freundlich bleiben. Egal, ob sie blöd angeblafft werden oder selbst mal einen schlechten Tag haben. „Das gelingt nicht einfach nebenbei“, sagt Jonas Wehrmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Wichtig sei, überhaupt erst einmal bewusst zu machen, dass Interaktionsarbeit harte Arbeit sei. Und dass damit besondere Anforderungen und Belastungen einhergehen. „Unser großes Ziel ist, diese Arbeit sichtbarer zu machen und mehr wertzu­schätzen.“

Die Macht der Sprache

Die neue Dauerausstellung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz erinnert auf den ersten Blick an ein Shoppingzentrum, mit einem Café mit Muffins hinter der Theke und einem schicken Store in Petrolfarben. An einer Kasse können die Besucher einen Scanner in die Hand nehmen und testen, wie gut sie selbst Mimik und Gestik verstehen. Ist die Frau in der grünen Weste auf dem Video wütend? Traurig? Ängstlich? Oder ungeduldig? Sie können sich in einen Fotoautomaten hocken und erfahren, wie leicht Missverständnisse entstehen.

Statt mit Maschi­nen arbeiten die Beschäftigten in Dienstleistungs­berufen mit Menschen und leisten hoch anspruchsvolle Emotionsarbeit.

Und sie können in einer Telefonzelle auf der Tastatur eine Nummer eintippen, sich den pinken Hörer ans Ohr halten und zuhören, was Beschäftigte über die „Macht der Sprache“ zu sagen haben. So berichtet ein Sozialarbeiter aus einer Wohngruppe, wie er Jugendliche motivieren kann. Die jungen Menschen hätten in der Vergangenheit viel Blödes erfahren und Traumata erlebt. „Man kann viel bewegen bei Jugendlichen, ihre Sicht auf die Welt ins Positive bringen.“ Wichtig sei, sich Zeit für sie zu nehmen und auf Augenhöhe zu reden. „Sonst sorgt es oft dafür, dass sie verstummen.“ Unter einer anderen Nummer betont eine Markt­leiterin aus einem Supermarkt, wie sehr sie auf ihre Sprache aufpasst, damit sie nicht falsch verstanden wird. Immer ­wieder erlebe sie, dass Menschen sie „wie Fußvolk“ behandelten und nicht mal ­Guten Tag sagten. Sie selbst bleibe immer höflich. „Wenn jemand aufbrausend ist und man ruhig bleibt, kann man ihn auch superschnell wieder runterholen.“

Erforscht

Die Ausstellung basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Grundlage ist ein aktueller Forschungsförderschwerpunkt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Interaktionsarbeit. ver.di hat Dienstleistungs- und Interaktions­arbeit schon vor langem zum Thema gemacht und konnte wichtige Impulse beisteuern. Die Arbeit in der Industrie sei ergiebig erforscht, sagt ver.di-Gewerkschafssekretärin Anke Thorein von der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung, doch die Dienstleistungsberufe blieben lange bei der Forschungsförderung außen vor. Dabei arbeiten drei von vier Beschäftigten in der Branche, oder in Zahlen: über 34,5 Millionen Menschen. „Die Anforderungen an sie werden oft überhaupt nicht benannt und gewürdigt“, kritisiert sie. „Übrigens auch nicht beim Entgelt.“

In der Industrie sei exakt bemessen, wie lange welcher Arbeitsschritt im Produktionsprozess dauert. Doch statt mit ­Maschinen arbeiteten die Beschäftigten in Dienstleistungsberufen mit Menschen und leisteten hoch anspruchsvolle Emotionsarbeit. Es gelte als Leistung anzuerkennen, mit jemand zu sprechen, eine Person zu trösten, zu motivieren oder zu beruhigen. Dafür müsste genug Zeit eingeplant werden. Und Personal. Zudem sei wichtig, die Auswirkungen auf die Gesundheit in den Blick zu nehmen. So wie ein Stahlarbeiter einen Hitzeschutzanzug trägt oder ein Bauarbeiter einen Ohrenschutz, müssten die Beschäftigten in Dienstleistungsberufen vor psychischen Belastungen geschützt werden.

In der Ausstellung lädt eine Videoinstallation dazu ein, bewusst eigene Emotionen wahrzunehmen: Bunte Kügelchen hopsen zu Musik über die Wände, mal düster und hektisch, mal fröhlich und leicht. „Die Beschäftigten erleben auf der Arbeit tagtäglich ein Wechselbad der ­Gefühle“, erklärt Kuratorin Magdalena Höbel. Ein paar Schritte weiter an Bistrotischen im Café erfahren die Besucher per Kopfhörer, wie sehr es ihnen auf der ­Arbeit oft an Respekt mangelt. Die Gruppeninterviews drehen sich unter anderem um die Frage: „Ist der Kunde König?“ Eine Kollegin aus dem Einzelhandel betont: „Ich muss nicht hüpfen, wenn der Kunde sagt: hüpf! Das vergisst der ein oder andere Kunde zunehmend.“ Die Ausstellung sei auch ein Appell, respektvoller mit den Beschäftigten umzugehen, sagt Sarah-Louise Rehahn.

Respektschwelle sinkt

Für die Ausstellung wurden Interviews mit über 100 Beschäftigten geführt. Nicht erwartet habe er, so Jonas Wehrmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, in welchem Ausmaß die Beschäftigten von Respektlosigkeit betroffen seien: Die Erwartungen seien enorm gestiegen, die Hemmschwelle gesunken. Kundinnen und Kunden grüßten nicht, unterbrächen Gespräche, wollten keine Sekunde warten und verlangten, dass alles für sie parat steht. „Das passiert nicht einmal am Tag, sondern hundertfach“, sagt der Wissenschaftler. Ob in der Pflege, im Einzel­handel oder der Gastronomie. Zugleich müssten die Beschäftigten stets freundlich bleiben. „Das macht etwas mit ­einem.“ Die Forschungsergebnisse zeigten, dass Erschöpfung und Müdigkeit die Folgen sein können.

Ob die Belastungen auf Dauer krank machen, hängt vor allem von den Rahmenbedingungen ab. Blaue Symbole hinter einer Glaswand zeigen, worauf es ankommt: Ein Geldsack und eine Leiter stehen für Anerkennung und Wertschätzung, ein Sofa für Rückzugs­orte. „Wichtig ist, die Tätigkeiten auch tarifpolitisch aufzuwerten“, betont der Forscher.

Was aber auch nicht vergessen werden darf: Wie gerne die Menschen ihre Arbeit machen. Warum, ist auf einer digitalen Anzeige per Laufschrift zu lesen: Gute Laune haben – Dankbarkeit erfahren – Leben retten – Beitrag leisten. Dahinter hängen von der Decke gelbe Stoffbahnen, darauf mit schwarzem Filzstift die Zitate von Beschäftigten: „Weil von 100 wenigstens einer gut drauf ist“, heißt es da zum Beispiel. Und: „Weil Menschen unerwartet wunderbar sind.“

DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund, Öffnungszeiten: Mo bis Fr 9bis 17 Uhr, Sa und So 10bis 18 Uhr,

Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 3 Euro, Kinder und Schüler*innen bis 18 Jahre frei, mehr Infos: dasa-dortmund.de