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Foto: Shai Franco

Noga Erez: The Vandalist

Manchen Menschen scheint einfach alles zu gelingen. Noga Erez aus Tel Aviv ist einer von ihnen. Sie hat Komposition und Jazz studiert und entdeckte bald ihre Leiden­schaft für Synthesizer, Sampler und die Linguistik. Sprich: für die Finessen des Rap. Sie wechselte das ­Genre; Apple Music machte aus einem ihrer Tracks ­einen Werbejingle und sie schlagartig bekannt. Sie ist musikalisch eigenwillig, klug und lustig; ihre Texte sezieren messerscharf den Zeitgeist unserer digitalen Transformation.

Das weltweit agierende Berliner Indie-Label City Slang musste die 31-Jährige 2017 erst überreden, die Aufnahme eines ganzen Albums überhaupt in Betracht zu ­ziehen; Noga Erez fand bis dahin in den sozialen Medien statt. Das dritte Album der Rapperin, Sängerin und Produzentin erscheint nun bei einem Major-Label, was ihr nicht geschadet hat. Nach wie vor macht sie Musik, wie es ihr beliebt: experimentell und wortversessen, aber jetzt mit Showtreppe. Vermehrt ziehen sich Bläsersätze, James-Bond-Grandezza oder einfache Harmoniefragmente durch ihre kybernetischen Arrangements, ohne dass sie eine Verniedlichung ihrer Person oder Stimme erlauben würde.

Mühelos, dynamisch und zuweilen in einem Affenzahn entgleiten dieser Gangsterbraut clevere Wortspiele und knackige Reime aus Eminems Schule. Genau wie der US-Sprachkünstler und Rapper selbst ist sie Chefin der Plosivlaute, der Knallkonsonanten. Mit denen hält sie die Breakbeats von Tracks wie Dumb oder PC People in Schach, stakst durch den Reggaeton von Ayayay oder hängt sich in den Oldschool-Rap von A+.

Für Neid auf die vielen Talente von Noga Erez gibt es ­keinen Grund. Sie gehört zur Generation Therapie, die gelernt hat, sich über Depressionen, Therapie, schlaf­lose Nächte, Wut und Verzweiflung auszutauschen. Das geistert leitmotivisch durch die Songs und bildet ­lyrische Identifikationsenzyme zum Andocken. Robbie Williams kennt das Gefühl und kommt für ein verliebtes Duett (Danny) vorbei. An dessen Ende ruft ein Freund an und rät ihr, den vorletzten Song Mind Show als Brief an sich selbst zu schreiben, mit dem sie ihre Versagensängste bekämpft und sich selbst Mut macht. „Niemals“ singt sie daraufhin sanft im Astrid-Gilberto-Stil, „wärst du zu anderen so hart wie zu dir selbst“. Am Ausgang dieses verführerischen Albums schließlich rappt uns Noga Erez noch eine aufschlussreiche Liste ihrer kulturellen Wegbereiter ins Ohr.  Jenny Mansch

NEON GOLD/ATLANTIC/WARNER

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Paula Carolina: Extra

Ihr großes Vorbild sei Nena, sagt Paula Carolina. Und tatsächlich kann man die frühe, rotzgörenfreche Nena, die noch nicht ins esoterisch Verstrahlte gekippt war, auf Extra hören – aber eben auch noch jede Menge andere starke Frauen aus der deutschen Popgeschichte von Schwester S. über Tic Tac Toe bis zu Mia. Oder aktueller: Nina Chuba und Paula Hartmann. All diesen Referenzgrößen ist gemeinsam, dass sie sich einen Dreck um die männliche Meinung scherten und sogar mit der Ablehnung von Mehrheitskonventionen kokettierten – und so ist auch die aus Mannheim stammende Paula Carolina auf ihrem Debüt­album laut, wenn sie es sein will, und selten leise, wenn es sein muss. Erste ­Erfolge feierte sie als sensible Lieder­macherin, doch auf diesem Album wütet sie gegen Typen, die ihr ungefragt Dickpics schicken, findet Bodyshaming völlig zu Recht bescheuert und bringt ihr Lebensgefühl im treffend titulierten Kein Bock auf den Punkt: „Ich mach kein’ Pop, ich mach jetzt Lärm, Mama.“ Dass sie auch vielschichtig und poetisch kann, demonstriert sie ausgerechnet in Angst frisst Demokratie: Der Titel kürzt sich nicht umsonst ab zu „AfD“ und der Text ist eine komplexe Betrachtung der aktuellen Lage in diesem Land. Mit Extra ist Paula Carolina einfach mal aus dem Schatten von Nena herausgetreten. Thomas Winkler

SUPERPOLRECORDS/CARGO

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Tord Gustavsen: Seeing

Das Pianotrio-Format zählt seit vielen Jahrzehnten zu den Standardbesetzungen im Jazz. In der jüngsten Vergangenheit hat diese Besetzung eine neue Blüte erlebt. Der Pianist Tord Gustavsen ist dagegen kein Newcomer. Seit 2003 erscheinen seine Alben beim Münchner Label ECM. Und besonders wohltuend bei Gustavsen: Er zählt nicht zu den Schnellspielern, die möglichst viele Töne in einem Takt unterzubringen versuchen. Stattdessen erscheint seine Musik wie eine Entdeckung der Langsamkeit, ohne sich allerdings in Langatmigkeit zu ergehen. Da lässt sich einer Zeit, um die Themen behutsam auszugestalten, ganz unabhängig davon, ob ihm Traditionals, Gospel, Blues und Choräle von J.S. Bach dabei als Ausgangspunkt für die improvisatorischen Ausflüge dienen. Nicht zu unterschätzen ist die hohe Qualität der Aufnahme, die auch kleinste Details wahrnehmbar macht. Mit ­Seeing ist dem Norweger Gustavsen und ­seinen langjährigen Partnern Ateinar Rajnes am Kontrabass und Jarle Vespestad am Schlagzeug ein Fest der Entschleunigung gelungen. Klar und rein und von großem dramaturgischem Geschick. Peter Rixen

ECM RECORDS