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Sie fordern: Schluss mit den "selbstgebastelten Regeln"Foto: Robin Rotloff/ver.di

Die Gesundheits- und Krankenpflegerin Silvia Schillig war schon bei einem städtischen Krankenhaus angestellt, und in einer kommerziellen Klinik. Seit knapp zwei Jahren arbeitet sie in der Geburtshilfe des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar, das zur Diakonie gehört. "Ob Kommune, Konzern oder Kirche – an meiner fachlichen Arbeit ändert das nichts", sagt die 49-Jährige. Nicht nachvollziehen kann sie deshalb, dass ihr Arbeitgeber mit Verweis auf die kirchliche Trägerschaft keine Tarifverträge schließen und den Beschäftigten das Recht absprechen will, Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen zu nehmen, auch mit Streiks.

Silvia Schillig und ihre Kolleg*innen wollen den sogenannten "Dritten Weg" der kirchlichen Arbeitgeber und kirchlichen Wohlfahrtsverbände nicht länger hinnehmen. Hunderte haben sich in ver.di zusammengeschlossen und fordern das, was anderswo selbstverständlich ist: einen Tarifvertrag.

"Ich kümmere mich professionell und mit Herzblut um Schwangere, Mütter und Neugeborene", betont Silvia Schillig, die sich in der ver.di-Tarifkommission engagiert. "Aber nicht nur aus reiner Nächstenliebe, sondern um meinen Lebensunterhalt zu verdienen." Die Krankenpflegerin sieht nicht ein, dass sie und ihre Kolleg*innen schlechtere Bedingungen haben als andere, nur weil sie in einem kirchlichen Haus arbeiten.

Vor allem langjährige Beschäftigte und Hilfskräfte verdienen deutlich weniger als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Statt diesem gelten die sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Mitteldeutschland. "Die Kirche bastelt sich ihre eigenen Regeln. Die Löhne werden hinter verschlossenen Türen festgelegt, als Beschäftigte haben wir keinen Einfluss", kritisiert Silvia Schillig. "So etwas geht in der heutigen Zeit doch nicht mehr. Wir leben in einer Demokratie!"

Viele wandern ab

Die Gesundheits- und Krankenpflegerin Katharina Wagner bezeichnet sich als "tief gläubig". Dennoch hält sie es für "völlig veraltet", dass die Kirche auf ihrem Sonderweg beharrt. "Dass wir Beschäftigte keine Möglichkeit haben, über unsere Arbeitsbedingungen mitzubestimmen, stört mich sehr", sagt die 37-Jährige. Bei Tarifverhandlungen bestimmten die Kolleg*innen hingegen selbst, wo es langgeht. "Die Mitglieder unserer Tarifkommission kommen aus vielen unterschiedlichen Bereichen und Berufsgruppen. Wir arbeiten im Krankenhaus als Team, und wir entscheiden gemeinsam, was wir fordern."

Katharina Wagner geht es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um die Zukunft des Krankenhauses. "Ich habe meine Ausbildung hier gemacht, bin seit fast 20 Jahren da", erklärt sie. "Ich möchte, dass die Klinik langfristig besteht. Das geht aber nur mit besseren Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Bezahlung." Gerade junge Pflegekräfte seien in den vergangenen Jahren nach der Ausbildung oft in andere Häuser gegangen, wo sie mehr verdienen, berichtet die Praxisanleiterin. Um das zu verhindern, engagiert sie sich mit ver.di für einen Tarifvertrag.

Und viele andere mit ihr. Nahezu die Hälfte der betroffenen Beschäftigten hat sich der Gewerkschaft angeschlossen. Noch vor wenigen Jahren war nur eine Handvoll Kolleg*innen organisiert. Einer der ersten war Mario Golleo, der den kirchlichen Sonderweg beim Arbeitsrecht schon länger für ein Auslaufmodell hält. "Die Kirche redet viel von Dialog und Nächstenliebe, aber das wird letztlich nicht gelebt", findet der Physiotherapeut. "Richtig wütend" macht ihn, dass die Kirchenspitze nicht nur Tarifverhandlungen verweigert, sondern auch noch juristisch gegen die gewerkschaftlichen Aktivitäten ihrer Beschäftigten vorgeht. Noch bevor ver.di zum ersten Warnstreik aufrief, reichten Kirche, Diakonie und Klinikleitung beim Erfurter Arbeitsgericht eine Unterlassungsklage ein. Eine erste Güteverhandlung blieb am 30. August ohne Ergebnis.

Auch Kirchenaustritte

"Das ist wirklich aberwitzig", findet Silvia Schillig. "Wir verlangen nichts anderes, als dass man sich mit uns an einen Tisch setzt und verhandelt", betont die Krankenpflegerin aus der Geburtshilfe. "Nicht einmal dazu ist die Kirchenleitung bereit. Stattdessen reicht sie gleich Klage ein. Über so wenig Wertschätzung kann man nur den Kopf schütteln." Aus Unmut darüber seien einige bereits aus der Kirche ausgetreten.

Klar ist: Die Kolleg*innen in Weimar wollen sich von juristischen Winkelzügen nicht einschüchtern lassen. Das machten am 5. August rund 250 Beschäftigte mit einer "aktiven Mittagspause" vor dem Klinikum lautstark deutlich. "Die Beschäftigten wollen sich ihre Grundrechte nicht nehmen lassen", bekräftigt der ver.di-Verhandlungsführer Bernd Becker. "Sie sind weiter bereit, sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen. Der Arbeitgeber sollte dieses Engagement nicht länger blockieren."