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Auch hinter jedem Ausverkauf steckt oftmals AusbeutungFoto: Juan Moyano / Stocksy United

Niklaas Hofmann vom DGB-Bildungswerk bittet die Zuhörerschaft, die Augen zu schließen. Im Kopf besuchen nun alle ­einen Supermarkt und sollen sich vorstellen, wie der ohne Importartikel aussähe. Augen auf: Ein Foto zeigt einen Laden mit fast leeren Regalen. Sofort wird deutlich, dass die meisten in Deutschland ­konsumierten Produkte zumindest Bestandteile aus anderen Ländern enthalten. Fast alle Elektroartikel und Textilien haben mehrere tausend Kilometer hinter sich und bestehen aus Komponenten und ­Materialien, die oft von mehreren Kontinenten stammen. Beteiligt sind häufig viele verschiedene Verarbeiter und Handelsunternehmen.

Hofmann gelingt es mit der Kopfreise nicht nur, die Bedeutung von Lieferketten für den Alltag zu verdeutlichen. Ziel des von ver.di Gewerkschaftspolitische Bildung (GPB) und dem Next Economy Lab organisierten Seminars ist vor allem, die katastrophalen Arbeitsbedingungen in vielen Ländern zu thematisieren und den Gewerkschafter*innen Hebel zur Verbesserung an die Hand zu geben. „Wie Beschäftigte im globalen Süden und Norden zusammenarbeiten können“, nennt Projektleiterin Tanja Brumbauer den Fokus der Veranstaltungsreihe, die von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für entwicklungspolitische Zusammen­arbeit BMZ und der Postcodelotterie gefördert wurde. Im Zentrum steht die Rolle von Gewerkschaften bei der globalen ­sozial-ökologischen Transformation.

Wichtiger Schritt ­vorwärts

Jenny Jungehülsing von ver.di bezeichnet das Anfang 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) als „einen wichtigen Schritt vorwärts“. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NRO) hatten es ­lange gefordert. Vorausgegangen waren freiwillige Selbstverpflichtungen von ­Unternehmen, die zahnlos blieben und deshalb kaum Verbesserungen für die Kolleg*innen im globalen Süden brachten. Mit dem LkSG müssen Unternehmen nun Risikoanalysen durchführen und aktiv werden, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten erfahren. Bei Verstößen drohen hohe Buß­gelder und der Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe.

Die Umsetzung liegt bei einer neuen Außenstelle des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im sächsischen Borna. Jede und jeder kann dort Beschwerden einreichen – auch zum Beispiel Arbeiterinnen aus Bangladesch. „Die Frage ist natürlich, wie sie von dieser Möglichkeit erfahren“, so Jungehülsing. Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für die Zusammenarbeit von Beschäftigten an verschiedenen Stellen der Lieferkette.

Derweil wurde im Frühjahr, kurz vor den Europa-Wahlen, noch die europä­ische Lieferkettenrichtlinie verabschiedet, die bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss. An entscheidenden Stellen geht die EU-Vorgabe über das deutsche Gesetz hinaus. So können Unter­nehmen am Ende der Lieferkette künftig nicht nur zivilgerichtlich für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden, sondern auch für Umweltverstöße. Auch Gewerkschaften und NRO werden klageberechtigt sein. An ­einer Stelle ist die EU-Vorgabe jedoch schwächer als das deutsche Gesetz: Beim Umsetzungsstart gelten die Pflichten nur für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten; erst 2029 werden auch Betriebe mit 1.000 Mitarbeitenden einbezogen. Dagegen gilt das deutsche LkSG für ­Firmen dieser Größenordnung bereits heute.

Kuhhandel mit Meloni

Mit allen Mitteln hatte die FDP versucht, die europäische Richtlinie zunächst abzuschwächen und dann ganz zu blockieren. Dafür hatte sie einen Kuhhandel mit der italienischen Regierung versucht, der die neue EU-Verpackungsverordnung nicht passte. Als die jedoch im Sinne der Meloni-Regierung abgeschwächt worden war, stimmte Italien für die Lieferkettenregelungen. Deutschland enthielt sich auf Druck der FDP, konnte die Richtline aber nicht mehr stoppen. Weil die Ampelregierung in letzter Zeit bereits mehrfach bei fertig ausgehandelten Kompromissen mit Enthaltung gestimmt ­hatte, sprechen viele in Brüssel bereits spöttisch von „German Vote“.

Inzwischen hat die EU-Kommission ein 17-seitiges Papier zur neuen Richtlinie ­herausgegeben und zentrale Punkte ­näher erläutert. Anwendungsbereich, Sanktionsmöglichkeiten und die Sorgfaltspflichten der Unternehmen sind darin klar festgelegt. Nun müssen die Mitgliedsstaaten entsprechende Behörden und ­Infrastrukturen aufbauen – und alle Beteiligten können sich darauf einstellen.

Nur in Deutschland nicht – denn abermals schießt Finanzminister Christian Lindner quer. Mit Hinweis auf die EU-Richtlinie will der FDP-Chef schon jetzt durchsetzen, dass deutsche Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten erst 2029 behelligt werden. Das Ganze verkauft er als Bürokratieabbau und Teil der „Wachstumsinitiative,“ mit der die Bundesregierung die Konjunktur ankurbeln will. Die anderen Teile der EU-Lieferkettenrichtlinie will Lindner dagegen nicht vorziehen.

Es geht weiter nach deutschem Recht

Derweil sind Unternehmen und Ämter in Deutschland völlig verwirrt. Das BAFA verfährt erst einmal weiter nach geltendem deutschen Recht. So schritten ihre Kontrolleure unlängst ein, nachdem sich polnische LKW-Fahrer wegen ausbleibender Lohnzahlungen beschwert hatten.