Ausgabe 07/2024
Das berührt alle
Tagesschau, Tatort, Traumschiff – öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radioprogramme sind für viele Menschen so normal wie Butter aufs Brot, der Weg zur Arbeit oder der Strom aus der Steckdose. Sie sind so selbstverständlich, dass seit Jahren andauernde Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) meist mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen werden.
Dabei ist der ÖRR in großer Gefahr. Gerade haben die Ministerpräsident*innen und Regierungschefs der Bundesländer vier Reformstaatsverträge beschlossen, die einen massiven Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorschreiben. Manches in diesen Reformen geht in die richtige Richtung. Doch der zentrale Teil greift massiv in das Programmangebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein: Die Regierungschef*innen fordern von den Öffentlich-Rechtlichen künftig eine "Zusammenarbeit auf allen Ebenen".
Das ist ein politischer Angriff auf das Programm der Sender. Und der ist nach der Rundfunkverfassung der Bundesrepublik verboten. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der ÖRR durch die Westalliierten nach dem Vorbild der BBC bewusst "staatsfern" und "unabhängig" konzipiert – kein politisch beeinflusster Propaganda-Rundfunk, nicht aus Steuern finanziert und ausdrücklich unabhängig von politischer Einflussnahme.
Da alle Bürger*innen den Rundfunkbeitrag zahlen, war der ÖRR immer schon Gegenstand öffentlicher und politischer Kritik. Dazu haben auch überhöhte Intendant*innengehälter sowie Skandale wie beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) beigetragen. Doch immer öfter erliegen auch Vertreter*innen demokratischer Parteien dem Populismus der Demokratiefeinde der AfD und versuchen, mit teils plumper Kritik billige Punkte in der Öffentlichkeit zu machen.
Der ÖRR – inklusive aller Beschäftigten – verdient bei allem Reformbedarf nicht unseren Hass, sondern unsere volle Unterstützung
Keine Frage: Im ÖRR gibt es vielfältigen Verbesserungsbedarf und Reformnotwendigkeiten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Rundfunkanstalten arbeiten längst daran. Und selbstverständlich ist es richtig, in Zeiten veränderter Nachrichtennutzung nicht mehr ausschließlich auf lineares Fernsehen zu setzen, bei dem die Tagesschau um 20 Uhr, das ZDF-Sportstudio am Samstagabend nach 23 Uhr und spannende Reportagen, Dokumentationen oder innovative Filmprojekte erst zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt werden. Informationen, Bildungs- programme, Unterhaltung, Dokumentationen und Reportagen müssen rund um die Uhr auch digital verfügbar sein – ein Anspruch, den die Mediatheken selbstverständlich einlösen, meist schon, bevor die Sendung im "echten", also dem linearen Fernsehen gesendet wird. Gleiches gilt längst auch für die vielfältige öffentlich-rechtliche Radiofamilie.
Deshalb ist es verheerend, wenn die Ministerpräsident*innen jetzt verlangen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender rund ein Drittel ihrer Radioprogramme streichen und ihre Spartenprogramme zusammenlegen. Das gilt für die Infokanäle tagesschau24, ZDFinfo, Phoenix und ARD alpha, eines der Kinder- und Jugendangebote Ki.KA (Kinderkanal), ZDFneo, funk und ARDone soll gestrichen und der Kultursender 3sat komplett in arte aufgehen. Das kostet nicht nur Jobs, sondern Vielfalt, die nötig ist, um die ganze Gesellschaft abzubilden, jüngere Zielgruppen zu erschließen und Themen aufzugreifen, die auf den globalen Plattformen Facebook, Instagram, X/Twitter, bei Google oder TikTok im Strom von Propaganda, seichter Unterhaltung, Hass und Spaltung untergehen.
Die Perspektive der Beschäftigten
Bei all den Reformen wird vor allem eine Perspektive gar nicht berücksichtigt: Die, der vielen tausend Beschäftigten, die im Journalismus (fest und frei), in Technik, Verwaltung oder bei beauftragten Produktionsgesellschaften überhaupt erst die vielfältigen Inhalte schaffen, die uns überprüfte Nachrichten bringen, Hintergründe erläutern, Dinge besser verstehen lassen, Freude und Nervenkitzel bringen, Zusammenhänge herstellen und dafür sorgen, dass wir alle informierter und klüger unsere Lebensentscheidungen treffen können – nicht nur bei Wahlen, sondern Tag für Tag.
Diese Rundfunkreform mag gut gemeint sein. Gut gemacht ist sie nicht. Und sie gefährdet einen wesentlichen Pfeiler unserer Demokratie, der uns in die Lage versetzt, platte Parolen und falsche Versprechen in einer aufgeheizten, konfrontativen politischen Landschaft zu entlarven und uns ein vollständigeres Bild dieser durch Kriege, Krisen und Katastrophen aufgewühlten Welt zu verschaffen. Deshalb verdient der öffentlich-rechtliche Rundfunk – inklusive aller dort Beschäftigten –, bei allem Reformbedarf, nicht unseren Hass, sondern unsere volle Unterstützung.