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Schon als Siebenjährige erlag ich der Faszination von Wörtern. Ich verschlang jedes Buch. Es lag nahe, eine Buchhandels-Ausbildung zu beginnen. Nach einigen Jahren im stationären Buchhandel wechselte ich in den Import und Export von Büchern. Dort engagierte ich mich als ver.di-Mitglied im Betriebsrat – und wurde zur Vorsitzenden gewählt. Einige Jahre später entschloss ich mich, doch noch zu studieren. Ich belegte Völkerkunde, Volkskunde und Tibetologie in Hamburg. Nebenbei jobbte ich in der Seminarbibliothek. Zudem wurde mir eine halbe Stelle in der Museumsbibliothek des Hamburgischen Völkerkundemuseums angeboten. Eine glückliche Zeit. 1999 erkrankte ich und zog nach Kiel in der Hoffnung auf Besserung. Stattdessen endete mein gewohntes Leben. Eine neue Zeitrechnung begann. Duftstoffe, Medikamente und chemische Substanzen machen mich krank. Ich leide an einer vergiftungsbedingten Multisystemerkrankung. Mit 45 Jahren fragte ich mich, was ich tun würde, wenn mir nichts im Weg stünde: keine Erkrankung, keine Schulden. Meine Antwort lautete: Künstlerin werden. Seither schreibe ich, kann aber nur noch mit Tintenstiften malen.

Suchmaschinen mit Textbausteinen füttern

Mit 49 Jahren gründete ich ein internationales Netzwerk umweltkranker Künstler namens Creative Canaries. Die meisten der 55 Mitglieder waren Amerikaner*innen. Tagsüber textete ich Suchmaschinen-Texte, nachts und am Wochenende arbeitete ich als Telefonbereitschaft bei einem Kieler Bestatterkonsortium. Jahrelang gab es tausende Textaufträge zu verschiedensten Themen. Ich fütterte die Suchmaschinen mit Textbausteinen für Arztpraxen, Mode-Homepages und Sport-Blogs. Schreibend qualifizierte ich mich bis zur Qualitätsstufe journalistisches Schreiben. Ich hatte mein Auskommen. Für "Direct Orders" konnte ich höhere Honorare ansetzen. Jahrelang verzichtete ich auf Urlaube und freie Wochenenden. Meine Lebensfreude habe ich trotzdem nie verloren. Unter dem Künstlernamen Moon McNeill verfasse ich heutzutage Bücher im Selfpublishing-Verfahren. Aktuell laufen knorrige Geschichten aus dem Hohen Norden mit dem Titel "Einmal Matjes – aber bitte vegan" und krumme Geschichten aus Hönseböken mit dem Titel "Trude Takeltüch mischt mit" gut. Trotz fantasievoller Marketingmaßnahmen ist es nicht so leicht, bekannter zu werden.

Nach 36 Jahren Arbeit erhalte ich heute eine Rente von netto 502 Euro. Ich müsste weiterhin Suchmaschinentexte schreiben, um mein Auskommen zu haben. Doch die meisten Auftraggeber lassen ihre Webseitentexte inzwischen von Künstlicher Intelligenz schreiben. Von Geldsorgen und Armutsrenten sind viele Frauen betroffen. Laut Rentenversicherung erhielten 2023 knapp ein Drittel aller Frauen eine Altersrente unterhalb von 600 Euro. Als treues Mitglied weiß ich: ver.di fasst solche heißen Themen an und fordert höhere Renten. Dafür bin ich dankbar.

Protokoll: Moon McNeill; Foto: Mauricio Bustamante

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