Ausgabe 07/2024
Eins nach dem anderen bitte!
Ursprünglich bezeichnete das Wort Multitasking die Fähigkeit eines Computers, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu lösen. Dafür war ja das Ding erfunden worden. Bald wurden jedoch Menschen dazu gebracht, die eigene Leistung an die der Maschine anzupassen. Die Fähigkeit zum Multitasking ist heute eine hochgeschätzte persönliche Qualität. Für Beschäftigte bedeutet das, sich von einer eintönigen Arbeit zu befreien, indem man sie vervielfacht. Wer drei, vier Aufgaben auf einmal zu erledigen hat, hat wohl keine Zeit, sich zu langweilen. Für Arbeitgeber hingegen verspricht Multitasking die schöne Aussicht, dass zwei Jobs oder mehr von einer einzigen Person ausgeübt und die Lohnkosten entsprechend gesenkt werden. Eine Win-Win-Situation also. Daher stieß letztens eine Entscheidung des Beratungsunternehmens Ernst & Young (EY) bei Dutzenden Mitarbeitern auf Unverständnis.
Sie sind entlassen worden, weil sie an mehreren Online-Kursen gleichzeitig teilgenommen hatten. Jedes Jahr muss nämlich jeder Angestellte 40 Fortbildungspunkte absolvieren. Sie auf diese Weise schneller zu sammeln sei doch Schummelei, meint die EY-Leitung. Die Gefeuerten hätten gegen nichts weniger als die „ethischen Grundwerte“ und den „Verhaltenscodex“ des Unternehmens verstoßen. Zugegeben: Die Firma hat einen Grund, diesbezüglich empfindlich zu sein: 2022 musste sie der US-Aufsichtsbehörde 100 Millionen Dollar Strafe zahlen, weil Hunderte von Buchhaltern Antworten auf Berufstests untereinander getauscht hatten, darunter ausgerechnet auf Ethikprüfungen. Nun hat der jetzige Vorfall einen interessanten Streit um Multitasking, Moral und Unternehmenskultur ausgelöst. „Wir arbeiten doch alle mit drei Monitoren“, erklärt ein Mitarbeiter gegenüber der Financial Times. Wenn es unethisch ist, zwei Seminaren auf einmal zu folgen, wieso sollte es dann erlaubt sein, „zwei Kundengespräche auf Zoom zu führen und die Kamera ein- und auszuschalten, je nachdem, mit wem man gerade spricht“? Multitasking liege im Kern des Unternehmens. „Wie kann es anders gehen, meint ein weiterer Mitarbeiter, wenn man nur 45 Stunden pro Woche in Rechnung stellen darf, doch viel mehr Stunden tatsächlich leisten muss?“ Bleibt die Frage, ob die Firma nun eine Multi-Fortbildung erlaubt, oder ob sie endlich zugibt, dass Multitasking eine ungesunde und ineffiziente Praxis ist, die allgemein untersagt werden sollte? Die Antwort ahnt man schon.
Guillaume Paoli