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Farah Hareb, Intensivpflegekraft, kämpft um ihren AufenthaltOle Spata/dpa/picture alliance

Farah Hareb muss in den Libanon reisen, trotz des Krieges. Und das so schnell wie möglich. „Ich habe keine Wahl“, sagt die Fachkrankenpflegerin für Anästhesie- und Intensivpflege, die an der Medizi­nischen Hochschule Hannover (MHH) ­arbeitet. „Nur wenn ich beweise, dass ich im Libanon geboren bin, können meine Familie und ich endlich in Sicherheit leben. Und dafür brauche ich amtliche Dokumente, die ich nur in Beirut bekommen kann.“

Hintergrund ist eine jahrelange Aus­einandersetzung mit dem Ausländeramt Hameln, das ihre Identität bestreitet und seit Jahrzehnten immer wieder mit Abschiebung aus Deutschland droht. 1986 kam die damals Zweijährige mit ihrer ­Familie nach der Flucht aus dem Libanon in das Städtchen an der Weser. Ihre ersten beiden Lebensjahre hatte sie in Beirut verbracht, mitten im Bürgerkrieg. Bei jedem Schuss, bei jeder explodierenden Handgranate versteckte sie sich unter der Spüle, so erzählt es ihre Mutter. Sie selbst hat keine Erinnerung daran.

„Ich bin in einem friedlichen Land aufgewachsen“, blickt die heute 40-Jährige zurück. Nach ihrem Abitur machte sie am Klinikum Region Hannover eine Aus­bildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Seit vielen Jahren arbeitet sie nun schon an der MHH auf einer internistischen Intensivstation. Während der Pandemie diente die als Corona-Intensivstation. Rund um die Uhr versuchten Farah Hareb und ihre Kolleg*innen, das Leben von ­Covid-Patient*innen zu retten. Nachdem sie sich an einem hochinfektiösen Patienten ansteckte, kämpfte Farah selbst wochenlang mit der Krankheit.

Die Krankenpflegerin ist eine der ­„Heldinnen der Pandemie“, die von den Balkonen und im Bundestag beklatscht wurden. Doch jetzt muss sie zurück in den Libanon, in den Krieg. Gezwungen wird sie dazu vom Ausländeramt, das als Beleg ihrer Herkunft ein amtliches Dokument verlangt. Denn in den Wirren des Bürgerkriegs in den 1980er Jahren hatte Familie Hareb keine gültigen Ausweis­dokumente aus dem Libanon mitgebracht. Farahs Geburt wurde zwar von einer Hebamme bescheinigt, eine offizielle Geburtsurkunde liegt jedoch nicht vor. Die Krankenpflegerin will nun so schnell wie möglich offizielle Papiere ­holen – „solange die staatlichen Strukturen im Libanon noch bestehen“. Mitte Dezember will ihr das Amt einen vorläufigen Reisepass dafür ausstellen, befristet auf neun Monate. Dann muss sie sofort los, hinein in den Krieg.

Ein Leben in Angst und Ungewissheit

Nils Hoffmann weiß, was Krieg bedeutet. Der Personalratsvorsitzende der MHH brachte in den 1990ern sieben Jahre lang Hilfsgüter zu den Opfern des Bürger­krieges nach Bosnien – erst mit den Johan­nitern, dann auf eigene Faust. Seit Jahren unterstützt der Krankenpfleger seine ­Kollegin Farah Hareb in ihrem Kampf um ein dauerhaftes Bleiberecht. „Die deutschen Behörden treiben eine junge Frau wissentlich in ein Kriegsgebiet, das macht mich fassungslos“, sagt der ver.di-­Vertrauensmann. Bereits 2020 hatte er eine Online-Petition gestartet, mit der binnen kurzer Zeit Zehntausende das Bleibe­recht für Farah Hareb forderten.

Hoffmann kontaktierte den dama­ligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den Bundestagsabgeordneten Adis Ahmetovic, den ehemaligen Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (beide SPD) und viele weitere namhafte Politiker*innen, die versprachen, sich für die Krankenpflegerin einzusetzen. Doch am zuständigen Ausländeramt in Hameln prallte alles ab. Das Amt beharrt darauf, Farah Hareb komme aus der Türkei. Amtliche Belege gibt es dafür aber nicht. Auf die Bitte um eine Stellungnahme, kommt eine Absage. Grund seien „fehlende personelle Kapazitäten“ in der Behörde, „Das Ausländeramt will mich zwingen, eine nationale Identität anzunehmen, die ich schlicht nicht habe“, sagt Farah Hareb. Um das zu beweisen, hat sie einiges in Kauf genommen. Auf Drängen der Behörde machte die Kranken­pflegerin 2022 sogar einen DNA-Test. Den Abstrich nahmen ihre Kolleg*innen an der MHH, unter Aufsicht eines Behördenvertreters. Entwürdigend fühlte sich das für sie an – als wäre sie eine Kriminelle. Die Uniklinik übernahm die Kosten, um ihrer Angestellten endlich einen sicheren Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Doch von den angeblichen türkischen Verwandten war niemand bereit, ebenfalls einen DNA-Test zu machen. Daher fehlte die Vergleichsprobe, die die Behauptung des Ausländeramtes hätte widerlegen können.

„Meine Arbeit mit den Patienten und Kollegen ist das einzige, das mich davon abhält, durchzudrehen.“
Farah Hareb

„Ich fühle mich wie eingesperrt, das ist so ein Psychodruck“, sagt Farah Hareb. „Es gab Phasen, da habe ich mich gefragt: Wofür stehe ich morgens auf?“ Seit zwei Jahrzehnten – seitdem das Ausländeramt kurz nach ihrem Abitur den Staatenlosenausweis nicht mehr verlängerte – lebt sie in Angst und Ungewissheit. Immer wieder wird ihre Duldung für wenige Monate verlängert. Mehrfach wird sie zur Ausreise aufgefordert – in die Türkei, ein ihr unbekanntes Land. Ihr wird mit Abschiebehaft und dem Entzug der Arbeitserlaubnis gedroht. „Nicht mehr arbeiten zu können, wäre für mich das Schlimmste“, betont die Krankenpflegerin. „Meine Arbeit mit den Patienten und Kollegen ist das ein­zige, das mich davon abhält, durchzu­drehen.“

Auch in der Gewerkschaft ist Farah ­Hareb engagiert. Die montelange Tarifbewegung für Entlastung hat sie voll und ganz unterstützt. „Als Beschäftigte im Krankenhaus müssen wir laut werden, sonst ändert sich nichts.“ Sie freut sich, dass so viele aktiv geworden sind. „So können wir unsere ­Arbeitsbedingungen, aber auch die ­Qualität der Patientenversorgung ver­bessern.“

Voll integriert und hoch qualifiziert

Schon ihre Tätigkeit an der MHH sei Grund genug, Farah Hareb ein uneingeschränktes Bleiberecht zu gewähren, argumentiert ihr Kollege Nils Hoffmann. „Farah ist voll integriert und hoch qualifiziert. Wir können auf solche Menschen nicht verzichten“, erklärt der Krankenpfleger. „An allen Ecken und Enden fehlen Pflegekräfte – ganz besonders im Bereich der Intensivmedizin. Und so jemand soll nicht bei uns bleiben? Das ist doch verrückt.“ Der Gewerkschafter verweist darauf, dass Politik und Kliniken große Mühen darauf verwenden, Pflegefachpersonen in aller Welt anzuwerben – oft mit mäßigem Erfolg. Erst kürzlich setzte die Bundesagentur für Arbeit ein mit Brasilien abgeschlossenes Vermittlungsabkommen aus, weil die dortige Regierung klar machte: Die Pflege­kräfte werden im Land selbst gebraucht.

An der Medizinischen Hochschule ­Hannover hat man mit der Anwerbung ausländischer Pflegekräfte gemischte ­Erfahrungen gesammelt. Von den spanischen Kolleg*innen, die oft mit anderen Erwartungen an die hiesigen Arbeits­bedingungen nach Deutschland kamen, seien die meisten wieder weg, berichtet Nils Hoffmann. „So oder so: Dass Farah, die hier aufgewachsen ist, eine deutsche Ausbildung und Fachweiterbildung abgeschlossen hat, keinen sicheren Aufenthaltsstatus bekommt, ist absolut paradox.“

Unterstützung von Kolleg*innen

Farah Hareb ist fest entschlossen, diesen Zustand durch ihre Reise in den Libanon zu beenden. Noch steuert die libanesische Fluggesellschaft Middle Eastern Airlines den Flughafen in Beirut an, obwohl in dessen unmittelbarer Umgebung immer wieder Granaten explodieren. Ist das im Dezember noch so, will Farah Hareb fliegen, sonst auf anderem Wege nach Beirut gelangen. Dort hat sie Kontakt mit dem Bürgermeister des Bezirks aufgenommen, in dem sie geboren wurde. Er kannte ihre Großeltern, fragte Farah Hareb nach ihrer Familie aus, und ist nun von ihrer Identität überzeugt. Doch ein offizielles Dokument ausstellen können die libanesischen Behörden nur, wenn sie persönlich kommt. „Ich gelte im Libanon als verschollen, das kann man nicht übers Telefon klären“, erläutert die Krankenpflegerin.

Die Klinikleitung hat zugesagt, sie kurzfristig aus dem Dienstplan zu nehmen und ihr unbezahlten Urlaub zu geben, sobald sie den vorläufigen Reisepass in ­Händen hält. Dass ihr Arbeitgeber, ihre Kolleg*innen und Freunde hinter ihr stehen, motiviert Farah Hareb, nicht aufzugeben. „Die große Unterstützung tut so gut, das lässt mich durchhalten.“