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Frank Werneke ist seit 2019 der ver.di-VorsitzendeFoto: Renate Kossmann

ver.di publik – Bis Mitte November soll der Bundeshaushalt für 2025 stehen. Schon der Kompromiss, auf den sich die Ampelparteien verständigt haben, war sehr knapp auf Kante kalkuliert. Was bedeuten die Aussagen des Arbeitskreises Steuerschätzung von Mindereinnahmen in Höhe von 12,7 Milliarden Euro weniger als angenommen für den Kompromiss?

Frank Werneke – Die Steuerschätzung sollte der Bundesregierung ein Weckruf sein. Setzt sich jetzt noch Bundesfinanzminister Christian Lindner, FDP, mit seinen Steuersenkungsplänen durch, würde das die Einnahmebasis des Staates zusätzlich verringern. Das wäre fatal, denn die Handlungsfähigkeit des Staates steht auf dem Spiel. Die Grünen haben das Vorhaben jetzt erstmal gestoppt, das ist gut so: Es würde die Einnahmelücke bei Bund, Ländern und Kommunen nochmal um 23 Milliarden Euro vergrößern.

Als Reaktion auf die Steuerschätzung und -senkungen droht jetzt mit dem allfälligen Verweis auf die Schuldenbremse eine weitere Verschärfung des Sparkurses. Dabei wäre genau das Gegenteil richtig. ‚Investieren statt Kaputtsparen‘, muss das Motto jetzt lauten. Was Deutschland angesichts der lahmenden Konjunktur zur Stärkung der Binnennachfrage jetzt braucht, ist eine um­fassende Investitionsoffensive, die die Finanzierung von Kitas, Schulen und der sozialen Sicherungssysteme ebenso sicher­stellt wie eine Reparatur und den Ausbau der zunehmend maroden Verkehrsinfrastruktur.

Wo siehst Du Möglichkeiten, die Einnahmebasis wieder zu erweitern?

In Deutschland ist die Zahl armer Menschen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Gleichzeitig werden die Reichen immer reicher. Die reichsten 10 Prozent in Deutschland besitzen rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens, das reichste Prozent der Bevölkerung nahezu 35 Prozent und allein die reichsten 0,1 Prozent (!) der Bevölkerung verfügen über bis zu 20 Prozent. Auf der anderen Seite steht der Staat vor erheblichen finanziellen Herausforderungen. Müssten alle Leute mit mehr als 4,6 Millionen Euro Vermögen nur 2 Prozent Vermögenssteuer zahlen und Multimilliardäre 5 Prozent an die Staatskasse abführen, kämen in Deutschland laut ­einer Oxfam-Studie von 2024 über 85 Milliarden Euro zusammen. Das würde den Bundeshaushalt um knapp 20 Prozent erhöhen und wäre genug, um den Umbau anzuschieben und grundlegende Verbesserungen in Bildung, Gesundheit und Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen. Deswegen setzen wir uns aktuell wieder zusammen mit weiteren Organisationen dafür ein, dass die 1997 ausgesetzte Vermögenssteuer wieder eingeführt wird. Wir lassen da nicht ­locker!

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bündnis 90/Die Grünen, hat einen schuldenfinanzierten Investitions- und Infrastrukturfonds angekündigt. Unternehmen sollen 10 Prozent ihrer Investitionen vom Staat erstattet bekommen. Hältst Du das für einen sinnvollen Vorschlag, um die Wirtschaft anzukurbeln?

Das Ganze wirkt auf mich wie ein Überbietungswettbewerb innerhalb der Ampel­regierung, Unternehmern Geld hinterherzuwerfen. Dabei wird nicht geschaut, wie Klimaziele erreicht und tatsächlich nachhaltig die Wirtschaft gestärkt werden kann. Das wäre tatsächlich durch eine Stärkung der Binnenkonjunktur zu erreichen und ist mit so einem Gießkannenprinzip fraglich.

Innerhalb der Ampel ist über die ,richtige‘ Wirtschaftspolitik ein erneuter Streit ausgebrochen. Wie lange ist die Ampelregierung noch in der Lage zusammenzuarbeiten?

Die Bundesregierung selbst hat den „Herbst der Entscheidungen“ ausgerufen. Jetzt wird sich zeigen, ob die drei Parteien noch zu einem Mindestmaß an Gemeinsamkeiten in der Lage sind. Ich hoffe darauf, denn neben dem Bundeshaushalt stehen weitere wichtige Entscheidungen an, etwa zur Rente und zur Stärkung der Tarifbindung. Alarmiert bin ich darüber, dass unter dem monströs daherkommenden Schlagwort der Entbürokratisierung ein Prozess des Abbaus von Schutzrechten organisiert wird. Etwa, wenn laut über Öffnungen im Arbeitszeitgesetz nachgedacht wird und die Axt an das Lieferkettengesetz gelegt wird. Mühsam erkämpfte Rechte zum Schutz vor Ausbeutung und Kinderarbeit werden den Interessen der Wirtschaft geopfert.

„Allen, die sich jetzt noch im ideologischen Schützengraben der Schuldenbremse einbuddeln, wie beispielsweise CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, sollte klar sein: Je länger eine grund­legende Reform vor sich hergeschoben wird, je schlimmer wird die Lage.“

Wie schätzt Du die Chancen ein, dass die Schuldenbremse abgeschafft, überarbeitet oder zumindest ausgesetzt wird?

Es gibt etliche Fürsprecher*innen für eine Reform der Schuldenbremse, übrigens auch in von der CDU geführten Landesregierungen, sie ist eine Zukunftsbremse. Allen, die sich jetzt noch im ideologischen Schützengraben der Schuldenbremse einbuddeln, wie beispielsweise CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, sollte klar sein: Je länger eine grund­legende Reform vor sich hergeschoben wird, je schlimmer wird die Lage.

Bei allen Vorschlägen und Streitereien hat der Haushalt eine Schlagseite zu Ungunsten der Arbeitnehmer*innen. Zudem wird für die Daseinsvorsorge hierzulande und die sozial Schwachen nur wenig getan. Das schadet auch dem gesellschaft­lichen Zusammenhalt. Was muss die Ampel tun?

Sie muss entschlossen in diesen Zusammenhalt investieren und zeigen, dass der Staat tatsächlich in der Lage ist, den ­Laden am Laufen zu halten. Es gilt, Vertrauen zu stärken und da wieder aufzubauen, wo es jetzt schon an viel zu vielen Stellen verloren gegangen ist: In Form maroder Infrastruktur, ob auf Straßen, im Gesundheitswesen oder in der Bildung, um nur drei Beispiele zu nennen.

Bundesfinanzminister Lindner will auch beim Bürgergeld Milliarden sparen. Unter anderem will er Ukrainer*innen das Bürgergeld streichen und für Wohnkosten will er nur noch Pauschalen auszahlen lassen. Wird hier bei denjenigen gespart, die Unterstützung dringend brauchen?

Hier wird über populistische Restriktionen der falsche Weg eingeschlagen. ­Richtig wäre, auch den ukrainischen Geflüchteten über eine unkompliziertere Anerkennung ihrer Qualifikationen, über Sprachkurse und Integration Wege in den deutschen Arbeitsmarkt zu ebnen, wo sie gebraucht werden und Teil der Gesellschaft werden können, statt sie auszugrenzen und ihnen vermeintliche „Almosen“ zu streichen.

Die Entscheidungen zum Haushalt bereiten auch den Weg für das Rentenpaket 2. Was spricht dafür, es zumindest in der vorliegenden Form zu verabschieden?

Das Rentenpaket 2 ist ein zentrales Versprechen der Ampelkoalition. Die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent ist unverzichtbar in einem Moment, wo mit den Boomern viele Menschen vor dem Renteneintritt stehen, die jahrzehntelang hart gearbeitet haben und nun Anspruch auf eine auskömmliche Alterssicherung haben. Auch die, die jetzt Mitte 50 sind, brauchen eine verlässliche Perspektive im Alter. Und übrigens profitieren davon auch diejenigen, die heute jung sind. Sie werden in Teilen des öffentlichen Diskurses gegen die Älteren ausgespielt – ich halte das für gefährlich!

Welche weiteren Verbesserungen sind aus der Sicht von ver.di notwendig, damit die Renten weiter zukunftsfest sind?

Wir haben als ver.di immer gesagt, dass das Rentenniveau perspektivisch bei über 50 Prozent festgeschrieben werden müsste, insofern ist das Rentenpaket 2 nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Statt, wie von der Bundesregierung geplant, Geld für den Aufbau der sogenannten Aktienrente auszugeben, sollten die Milliarden besser in die Rentenkasse fließen.

Auch das Tariftreuegesetz ist noch nicht in trockenen Tüchern. Während SPD und Grüne auf die Umsetzung der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag pochen, blockiert Finanzminister Lindner den Entwurf aus dem Bundesarbeitsministerium. Wie schätzt Du die Chancen ein, dass der vorliegende Entwurf zum Gesetz wird?

Es ist ein weiteres zentrales Vorhaben der Ampelkoalition: Ich setze darauf, dass es jetzt endlich umgesetzt wird. Alle staatlichen Aufträge sollten nur an Unter­nehmen gehen, die Tarifbedingungen einhalten, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ein wichtiger Schritt hin zu mehr Tarifschutz.

Interview: Heike Langenberg