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Illustration: Johanna Anders

Sich mit einer Versicherung zu streiten, kostet Nerven. Will sie einen Schaden nicht begleichen, verweist sie oft auf das Kleingedruckte. Während die Haus­jurist*innen des Unternehmens sich damit bestens auskennen, beschäftigen sich viele Privatleute oft zum ersten Mal intensiver mit dem Vertragswerk. Viele haben das Gefühl, die Gegenseite säße am ­längeren Hebel. Doch es gibt eine Organisation, die den Sachverhalt unabhängig und kostenlos prüft: Der Versicherungsombudsmann e.V.. Der Verein existiert seit 2001 und hat den „Mann“ im Vereinsnamen beibehalten, obwohl er inzwischen erstmals von einer Frau geleitet wird, der Ombudsfrau Sibylle Kessal-Wulf.

Egal ob Rechtsschutz-, KFZ-, Lebens- oder Hausratversicherungen: Für jeden Bereich gibt es hier hochkompetente Teams. „In manchen Fällen brauche ich für die Beurteilung des Sachverhalts durchaus mal zwei Tage“, berichtet eine Mitarbeiterin, die in der fünfköpfigen Abteilung für Rechtsschutzversicherungen sitzt und wie alle hier das zweite juristische Staatsexamen vorweisen kann. Sie studiert die Unterlagen, recherchiert Urteile und diskutiert sie mit dem Team. Ist die Gruppe uneinig, bezieht sie die Ombudsfrau ein.

Ombudsfrau Sibylle Kessal-Wulf war zwölf Jahre als Richterin am Bundesverfassungsgericht tätig. In ihrem Auftrag werden am Ende alle Entscheidungen unterschrieben. Nach spätestens 90 Tagen liegt eine gut begründete Entscheidung vor. Die Versicherten müssen diese nicht annehmen; der Rechtsweg steht ihnen offen. Die Versicherungen hingegen sind bei einem anberaumten Schadensausgleich von weniger als 10.000 Euro verpflichtet, der Expertise des Ombudsmanns e.V. zuzustimmen – und zu zahlen.

Die Fälle der Rechtsschutzabteilung sind vielfältig. Oft stecken persönliche Schicksale dahinter. So wandte sich ein Mann an die Organisation, der auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Auto einen schweren Unfall erlitten hatte und zum Invaliden geworden war. Seine Rechtsschutzversicherung wollte ihn beim Prozess gegen seine private Unfallversicherung nicht unterstützen, weil es aus ihrer Sicht ein Arbeitsunfall war.

Auf fast drei eng bedruckten Seiten kommt die Stellungnahme der Streitschlichtungsstelle zu dem eindeutigen Schluss: Die Klage des Unfallopfers hat Aussicht auf Erfolg, die Rechtsschutz­versicherung muss die Kosten für den Prozess übernehmen. In einem anderen Fall unterstützt der Verein dagegen die Position einer Versicherung, die nicht für den Prozess über die Rückabwicklung einer Lebensversicherung zahlen wollte. Jeder Fall ist einzigartig und muss individuell geprüft werden.

Vom Wasserschaden bis Berufsunfähigkeit

Über 18.000 Streitigkeiten landeten letztes Jahr bei den Arbeitsgruppen des Vereins. Es geht um Wasserschäden, Dieselgate-Autos, stornierte Fernreisen, Fälle von Berufsunfähigkeit und Haftpflicht. Ist der Versuch der Versicherten, die Sache mit dem Unternehmen selbst zu klären, gescheitert, kann man sich an den Ombudsmann wenden. Ihre Beschwerden und Anliegen können Betroffene per E-Mail oder Post schicken oder die Unterlagen auch persönlich in die jeweilige Schlichtungsstelle bringen.

Dort sichtet das aus Versicherungskaufleuten bestehende Serviceteam die Dokumente, prüft die Zuständigkeit und bereitet sie für die juristischen Abteilungen vor. Manchmal ruft auch jemand bei den Antragstellenden an, um herauszufinden, welches Ziel sie mit ihrem Prüfantrag verfolgen. Sobald das herausgearbeitet ist, erhält die Versicherung Post. Drei Wochen hat das Unternehmen Zeit, sich zu äußern. Bleibt es bei seiner Position, bekommt der Kunde die Begründung zugeschickt und kann zu den Argumenten der Gegenseite Stellung nehmen. In manchen Fällen geht das wie beim Ping Pong ein paarmal hin und her. Sind die Positionen geklärt, scannt das Serviceteam Papierdokumente ein und sendet sie an die Kolleg*innen in den juristischen Abteilungen, die ausschließlich digital arbeiten. „Die Erfolgsquote bei Beschwerden zu allen Sparten außer der Lebensversicherung liegt bei knapp über 50 Prozent“, berichtet Geschäftsführer Constantin Graf von Rex. Bei Lebensversicherungen sind die Aussichten auf einen Erfolg etwas geringer.

Schneller als das Gesetz

Insgesamt 43 Menschen arbeiten beim Verein Versicherungsombudsmann. Gegründet wurde die Schlichtungsstelle 2001 von der Versicherungswirtschaft selbst und kam so der gesetzlichen Regelung zuvor, die in Deutschland drei Jahre später in Kraft trat. Hinter der Organisation stehen etwa 315 Unternehmen und damit die meisten Assekuranzen im deutschen Privatkundengeschäft. „Jedes Mitglied muss unsere Vereinssatzung und die Verfahrensordnung akzeptieren“, erklärt Graf von Rex und betont, dass die Ombudsstelle eine neutrale, unabhängige Instanz ist. Sibylle Kessal-Wulf ist nicht beim Verein angestellt und keinen Weisungen unterworfen.

Aus Sicht der Versicherungsunternehmen bietet die Ombudsstelle den Vorteil, Gerichtsprozesse zu verhindern und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Auch Auseinandersetzungen mit schwierigen Vertragspartnern können auf diese Weise oft befriedet werden. „Manche Streitigkeiten zwischen Versicherungen und Versicherten sind kommunikativ so verfahren, dass es für beide Parteien Sinn macht, wenn es einen Schlichtungsvorschlag gibt“, sagt Graf von Rex. Nicht mitzumachen schade aber dem Image und damit auch dem Geschäft. Schließlich sind Unternehmen per Gesetz verpflichtet, auf ihrer Homepage und in den AGB darüber zu informieren, ob sie zur Verbraucherstreitschlichtung bereit sind.

Staatliche Gelder für die Organisation gibt es nicht. „Die Schlichtungsstelle ­finanziert sich ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Fallpauschalen“, versichert Pia Frigge vom Bundesamt für ­Justiz. Auch Beschwerden gegen Versicherungsvermittler können eingereicht werden; allerdings haben die Streitschlichter hier keine vergleichbaren Kompetenzen wie gegenüber Versicherungen. Für Auseinandersetzungen mit privaten Krankenkassen und Pflegeversicherungen ist der Ombudsmann der Privaten Krankenversicherungen in Berlin zuständig. Dort versuchen 15 Beschäftigte, außergerichtliche Einigungen zu erzielen.

versicherungsombudsmann.de

Editorial Verbraucherschutz:

Den Schnäppchen ein Schnippchen

Eigentlich sollten Verbraucher*innen vor den Tricks und Hacks von Handelsunternehmen systematisch geschützt werden, und falsche Versprechen dürfte es gar nicht geben. Die Realität aber sieht anders aus, überall lauert der Betupp. Auf den folgenden Seiten geben wir Tipps und Infos zu betrügerischen Anrufen, zum Greenwashing und Cybermobbing. Wir analysieren, wie ver.di sich mit gezielter Bildungs-und Lobbyarbeit um gute Arbeit in Nord und Süd kümmert. Blättern Sie sich also sorglos durch unser Verbraucherschutzspezial und schlagen Sie den falschen Schnäppchen ab jetzt ein Schnippchen. Jenny Mansch