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Yesika Rocha engagiert sich trotz massiven Drucks durch ParamilitärsFoto: Katherine R. Garcia

ver.di publik: Die Bundesregierung will im Rahmen einer Migrationskooperation medizinische Fachkräfte aus Kolumbien anwerben. Was hältst Du von dem Vorhaben?

Yesika Rocha: Natürlich denken in Kolumbien viele Ärzte oder Krankenpfleger darüber nach, ins Ausland zu gehen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern, ihre Familien zu unterstützen oder sich weiterzuentwickeln, und ich wünsche allen dabei das Beste. Schön wäre es, wenn es bei diesem Abkommen um Austausch gehen würde – also auch deutsche Fachkräfte nach Kolumbien kommen. Aber so ist es nicht. Wir haben in Kolumbien wegen der niedrigen Löhne bereits heute das Problem, dass viele gut ausgebildete Leute im Gesundheitssektor das Land verlassen. Die Vereinbarung mit Deutschland wird das noch einmal verstärken.

Mit eurer Gewerkschaft versucht ihr, etwas an den schlechten Arbeitsbedingungen zu verändern.

In meiner Region Arauca gibt es einige Betriebe, die recht gut bezahlen, andere zahlen gerade einmal den Mindestlohn, der bei umgerechnet 280 Euro im Monat liegt. Tatsächlich liegt er aber oft noch darunter, weil die Angestellten viele unbezahlte Überstunden machen. Dazu kommt, dass viele Arbeitskräfte auf Honorarbasis beschäftigt werden. Das war zum Beispiel die Situation von 95 Prozent der Mitarbeitenden in einem der größten öffentlichen Gesundheitskonzerne, in dem wir mit ANTHOC sehr aktiv sind. Wir konnten zwar nicht alle unsere Forderungen durchsetzen, aber wir haben erreicht, dass alle Angestellten einen festen Vertrag bekamen und so nach teilweise mehr als 15 Jahren im Betrieb das erste Mal Urlaub oder Krankengeld erhielten. Das war ein großer Erfolg. Im privaten Sektor ist die Lage oft noch schwieriger. Dort ist es oft so, dass die Beschäftigten, die in Gewerkschaften eintreten, ent-lassen werden.

Sowohl ANTHOC als auch der Dachverband CUT haben ein sehr politisches Profil.

Wir begreifen unseren gewerkschaft­lichen Kampf auch als einen für das grundsätzliche Recht auf Gesundheit. Wir fordern eine öffentliche, kostenlose Gesundheitsversorgung, zu der alle Zugänge haben, auch in den entlegensten Regionen in Kolumbien. Stattdessen ist Gesundheit in Kolumbien eine Ware in den Händen einiger privater Konzerne und deren Eigentümern. Das System krankt an allen Enden, die Wege zum nächsten Krankenhaus sind weit, die Wartezeiten auf Operationen sind so lang, dass einige Patienten unterdessen sterben. Die Privatisierung des Systems hat in unseren Augen das Land mehr Tote gekostet als der bewaffnete Konflikt. Die jetzt geplante Gesundheitsreform der neuen linken Regierung geht in die richtige Richtung. Sie soll den Einfluss von privaten Krankenkassen beschränken, stattdessen sollen medizinische Leistungen direkt vom Staat bezahlt werden. Doch die Regierung bringt diese Reform nicht durch das Parlament, wo die Interessen der Konzerne stärker vertreten sind. Dabei wäre eigentlich noch ein viel tiefgreifender Wandel notwendig. Wir müssten Gesundheit viel präventiver denken. Gesundheit beginnt schon beim Zugang zu gesunder Ernährung, frei von Agrargiften. Gesundheit heißt, Zugang zu sauberem Wasser zu haben.

Auch die Gewerkschaftsfreiheit ist in Kolumbien ständig in Gefahr. Wie ist die Situation aktuell?

Seit 1990 wurden mehr als 100 ANTHOC-Gewerkschafter ermordet. Andere wurden eingesperrt, einige sind ins Exil ­gegangen. Auch aktuell haben drei Genoss*innen Morddrohungen erhalten. Im Moment sind es vor allem die Abspaltungen der ehemaligen FARC-Guerrilla, die uns zum militärischen Ziel erklärt haben. Ich war im Januar 22 bei einer Versammlung im Gewerkschaftshaus in Saravena, als eine Abspaltung der FARC mit einer Autobombe einen Anschlag auf uns verübte. Doch all das ist nicht neu. Weil wir uns auch politisch gegen Privatisierungen einsetzen, haben wir viele Feinde. Es gab Anfang der 2000er Jahre eine Zeit, da war die staatliche Gewalt gegen uns so stark, dass sich unsere Gewerkschaft fast aufgelöst hätte. Aber auch heute schützt der Staat uns nicht. Nach dem Anschlag 2022 wurde uns nur eine gepanzerte Tür mit einer Überwachungskamera finanziert. Ein weiteres Beispiel: In einem Dorf, das etwa fünf Stunden von der Regionalhauptstadt Arauca entfernt ist, gibt es einige Menschen, die gerne unserer Gewerkschaft beitreten möchten. Es gibt für uns aber wegen der schlechten Sicherheitslage keine Möglichkeit, in dieses Dorf zu fahren.

Manchmal werden wir gefragt, warum wir trotzdem Gewerkschaftsarbeit machen, ob uns denn unsere Familie und unsere Kinder egal seien. Ich antworte dann immer: Gerade, weil mir meine Kinder nicht egal sind, bin ich hier – weil ich will, dass sie mit besseren Bedingungen aufwachsen. Deswegen bleibe ich auch trotz der Bedrohungslage, weil ich glaube, dass alles, was es an Fortschritten in Kolumbien gegeben hat, letztlich durch die politische Organisierung von unten erreicht wurde.

Interview: Fabian Grieger