Ausgabe 08/2024
Beschissene Zustände
Für Büroangestellte ist es meist nur ein kurzer Gang den Flur hinunter zur Toilette, andere Beschäftigte finden eine an den Pausenraum angrenzende hygienische Einrichtung. Doch in einigen Berufen sieht die Realität ganz anders aus.
Für das Fahrpersonal im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) zum Beispiel ist die Notdurft oft ein täglicher Kampf mit unwürdigen Bedingungen. Unhygienische Toiletten, fehlende Reinigungen und mangelnde Einrichtungen prägen den Alltag vieler Fahrerinnen und Fahrer. ver.di hat dieses Problem mit einer „Preisverleihung“ der schmutzigsten Toiletten Deutschlands ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.
Besonders im ländlichen Raum fehlen oft jegliche Toiletten. Fahrerinnen und Fahrer sind gezwungen, ihr Geschäft in der Natur zu verrichten. Wenn Toiletten vorhanden sind, sind diese häufig verschmutzt, verschlossen oder schlicht zu weit entfernt. „Wir nehmen den Welttoilettentag zum Anlass, um auf die teils unwürdigen und unhygienischen Umstände für die Beschäftigten im ÖPNV aufmerksam zu machen“, erklärt Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende.
„Wir tun so, als schauen oder reparieren wir etwas, nur um schnell unser Geschäft zu erledigen.“ Jens, Busfahrer
Dem Unternehmen BördeBus in Vahldorf kann man nun gratulieren. Es ist Spitzenreiter und ausgezeichnet mit dem 1. Platz der schmutzigsten Toiletten Deutschlands. Jens*, ein Fahrer des Busunternehmens, hat mit der Einsendung seiner Fotos ein Schlaglicht auf die katastrophalen Sanitäranlagen werfen wollen. Er sagt: „Das ist kein Preis, auf den die Geschäftsführung stolz sein sollte. Es ist beschämend.“
Er und sein Kollege Markus* berichten, dass es zwar an Bahnhöfen, zentralen Omnibusbahnhöfen (ZOBs) und anderen Knotenpunkten teilweise Toiletten gebe, die seien jedoch nur eingeschränkt zugänglich. In Magdeburg beispielsweise gäbe es am ZOB eine Toilette, die speziell für Busfahrer eingerichtet wurde. Allerdings benötige man dafür einen Schlüssel. Insgesamt gibt es drei Schlüssel für etwa 140 Fahrer*innen.
„Oder im Börde Park gibt es noch eine andere Toilette, die wir nutzen können. Die gehört eigentlich einer anderen Firma, und da gibt es auch nur ein bis zwei Schlüssel. Wenn die nicht verfügbar sind, hat man Pech gehabt“, so der Busfahrer weiter. Markus ergänzt: „In Wolmirstedt haben wir eine neue Toilette bekommen, die ist modern und sauber und mit einem Zahlenschloss ausgestattet, das funktioniert gut. Allerdings hat sich die Haltestelle verschoben. Jetzt halten wir nicht mehr am ZOB, sondern in der Geschwister-Scholl-Straße. Da haben wir oft Fahrgäste an Bord, wenn wir Pause machen. Und ich kann den Fahrgästen ja schlecht sagen: „Steigen Sie bitte aus, ich muss auf die Toilette.“
Saubere Fahrt, dreckige Pause
Den Vogel schießt die Toilette in Rottmersleben ab. Mit ihr hat BördeBus sozusagen den 1. Platz erklommen. „Dort ist uns ein Pausenplatz zugewiesen worden, aber es gibt keine richtige Toilette. Da steht einfach nur ein Dixi-Klo auf einem verlassenen Schulhof. Um dorthin zu kommen, müssen wir den Bus verlassen und durch die Dunkelheit einen Hügel hochlaufen“, berichtet Jens. „Und das betrifft nicht nur uns Männer – für die weiblichen Fahrerinnen ist das eine noch größere Zumutung.“ Eine solche Lösung sei nicht nur unwürdig, sondern schlichtweg unakzeptabel.
Fehlende oder unhygienische Toiletten treffen weibliche Beschäftigte besonders hart, erklärt Silke Kobow, Vorsitzende des ver.di-Bundesfachgruppenvorstandes Busse und Bahnen und Betriebsrätin: „Für Frauen ist es wirklich schlimm. Gerade, wenn du deine Periode hast, kannst du dich auf Dixi-Klos weder reinigen noch die Hände waschen.“ Aber ob Dixi oder nicht, auch die Reinigung der Toiletten ist oft problematisch. „Nur weil man sie in Auftrag gibt, heißt das nicht, dass es immer vernünftig gemacht wird – das muss überprüft werden“, fordert Kobow. Gleichzeitig zeige sich bei der Gestaltung von Unisex-Toiletten, dass Frauen oft gar nicht mitgedacht werden. „Dann ist das Urinal direkt neben die Toilette gesetzt, sodass Frauen praktisch mit dem Gesicht im Urinal sitzen.“
Auch wenn die männlichen Fahrer in Notlagen eher improvisieren können, ist es dennoch entwürdigend: „Gerade auf langen Strecken bleibt uns oft nur die Motorhaube als Ausrede. Wir tun so, als schauen oder reparieren wir etwas, nur um schnell unser Geschäft zu erledigen. Mit Händewaschen ist da nix“, gibt Jens zu und lächelt dabei gequält.
Gesundheitliche Folgen
Die Konsequenzen dieser unhaltbaren Zustände machen sich auch beim Krankenstand bemerkbar. Viele Beschäftigte trinken während der zum Teil 12-Stunden-Schichten absichtlich zu wenig – aus Angst keine Toilette zu finden. Das führt regelmäßig zu Schwindel und Kreislaufproblemen. Bei den weiblichen Fahrerinnen oft genug zu Blasenentzündungen. „Der Krankenstand ist entsprechend hoch“, sagt Jens.
Das bewusste Zurückhalten des Harndrangs ist nicht nur unangenehm, sondern kann ernste gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen. Harnverhalt, Blasenentzündungen und sogar Nierenschäden sind mögliche Folgen. Auch das Zurückhalten des Stuhldrangs birgt Risiken wie Verdauungsprobleme oder schmerzhafte Hämorrhoiden. Die physischen Belastungen durch mangelnde Pausen und schlechte Toilettenbedingungen erhöhen zudem den Stress für die Fahrer*innen erheblich.
Es gibt jedoch auch positive Beispiele. Bei den Magdeburger Verkehrsbetrieben (MVB) zeigt sich, dass Veränderungen möglich sind, wenn Beschäftigte gemeinsam Druck ausüben. „Dort hat der Betriebsrat konsequent die Pläne und Dienste blockiert, bis die Geschäftsleitung nachgegeben hat“, berichtet Markus. Infolgedessen gibt es bei den MVB nun an jeder Endhaltestelle beheizte Toiletten mit fließendem Wasser.
Doch das sei nicht überall möglich, erklärt Silke Kobow. „Wenn die Grundstücke nicht den Verkehrsunternehmen gehören, können sie keine Toiletten bauen. Die Stadt muss das bewilligen – das ist oft die Grundlage des Problems.“ Das führt zu improvisierten Lösungen wie Dixi-Klos oder weit entfernten Sanitäranlagen.
Vereinbarungen mit Cafés, Kiosken oder anderen Geschäften könnten eine kostengünstige Lösung sein, um dem Fahrpersonal Zugang zu Toiletten zu ermöglichen, findet Kobow. Solche Vereinbarungen seien oft einfacher und günstiger umzusetzen, erfordern jedoch Engagement von den Verkehrsunternehmen. Fehlt es allerdings am Willen der Geschäftsführung, bleibt nur noch der Hebel der Gefährdungsanzeigen.
Druck machen
Gefährdungsanzeigen sind ein juristisches Mittel, um den Arbeitgeber auf Missstände aufmerksam zu machen, die die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten gefährden. Jens und Markus planen, diese gezielt einzusetzen, um ihre Geschäftsleitung zum Handeln zu zwingen. „Wir hoffen, dass wir durch die Gefährdungsanzeigen endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die dieses Problem verdient. Es ist unser letzter Ansatzpunkt, um Druck zu machen“, sagt Markus.
Mit der „Preisverleihung“ der schmutzigsten Toiletten Deutschlands möchte ver.di nicht nur auf die Missstände hinweisen, sondern auch die Politik und die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Es geht nicht nur um hygienische Standards, sondern um die Würde und Gesundheit der Beschäftigten. „Diese Zustände sind nicht nur unwürdig, sie sind auch eine Gefährdung für die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen“, betont Christine Behle.
Die Forderung ist klar: flächendeckend saubere, zugängliche und ausreichend vorhandene Toiletten für das Fahrpersonal. Dass dies machbar ist, zeigt das Beispiel der Magdeburger Verkehrsbetriebe.
*Name von der Redaktion geändert