In schwierigen Situationen immer den Sündenbock ausmachen: Kurz vor seinem Abgang hatte Finanzminister Lindner den Grund für Deutschlands miese Wirtschaftslage erkannt. Schuld seien ­telefonische Krankschreibungen. Im ­Normalfall dürfen Arbeitnehmer bis zu drei Tage ohne ärztliche Bescheinigung zu Hause bleiben. So sei doch keine Wirtschaftswende zu schaffen! Jetzt ist Lindner weg, doch vermutlich wird im kommenden Wahlkampf das Thema nicht fehlen, und wieder werden wir vom Niedergang der Arbeitsmoral und verstärkten Kontrollen hören. Fakt ist: Noch nie war die Zahl der Fehltage so hoch. Im Durchschnitt ist jeder Arbeitnehmer

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15 Tage im Jahr krankgemeldet. Hauptgrund dafür bleiben Atemwegserkrankungen, und seit der Corona-Krise achtet doch jeder mehr darauf, andere durch seine Präsenz nicht zu infizieren. Nach Muskel-Skelett-Erkrankungen stehen an dritter Stelle psychische Leiden wie Depressionen oder Belastungs- und Anpassungsstörungen. Sie haben sich seit 20 Jahren mehr als verdoppelt, was laut DAK auf das vermehrte Aufkommen kurzer Krankschreibungen zurückzuführen ist. Ein Drittel der Beschäftigten sind schon einmal wegen zu viel Stress bei der Arbeit ausgefallen. Davon abgesehen, dass über ein Viertel wiederum trotz Krankheit arbeiten gehen, relativieren diese Daten das Zerrbild des Blau­machers. Eine kurze Pause zu machen, ehe man wirklich krank wird, das ist doch berechtigte Gesundheitsvorsorge. So sehen es zumindest 39 Prozent der Befragten. Übrigens machen jüngere ­Generationen häufiger blau als die ­Babyboomer... und die Führungskräfte häufiger als ihre Angestellten!

Mit positiven Anreizen wird versucht, die Tendenz umzukehren. Neuerdings zahlen Unternehmen wie Daimler und Amazon ihren Mitarbeitern Anwesenheitsprämien, wenn sie pünktlich zur ­Arbeit erscheinen. In Musks Tesla-Fabrik in Grünheide werden einerseits krank­gemeldete Mitarbeiter unangekündigt kontrolliert, andererseits die, die niemals fehlen mit 1.000 Euro belohnt. Das geht aber nach hinten los, warnen Motivationsforscher. In Betrieben, die Anwesenheit belohnen, melden sich angeblich noch mehr Mitarbeiter krank als sonst üblich. Offenbar werden die Boni als ein Angebot interpretiert: Du hast die Wahl, ob du dir eine Pause gönnst oder mehr Geld bekommst. Ist es da nicht in diesen trüben Zeiten eine gute Nachricht, dass auf diese Weise das alte Sprichwort „Geld ist nicht alles“ bestätigt wird?